Rudi Völler wäre froh, wenn der Jung-Star noch bis 2021 in Leverkusen spielen würde.
Bei Bayer 04 glaubt man nicht, dass der Markt für die allerbesten Spieler einbricht.
Bayern München, Liverpool, Real Madrid und Barcelona gelten als logische Ziele.
Im Sommer 2010 begann in Leverkusen die Geschichte eines mit Fußballtalent gesegneten Jungen, der den Aufstieg vom D-Jugend-Kicker bis an den Rand der Weltklasse geschafft hat, ohne auch nur einmal zu stolpern. Genau ein Jahrzehnt später, so haben alle bis vor kurzem geglaubt, würde das nächste Kapitel des Fußball-Märchens aufgeschlagen. Die Welt war längst auf die Fähigkeiten des jungen Bayer-Profis Kai Havertz (20) aufmerksam geworden. Vor einem Jahr waren er und sein Arbeitgeber Bayer 04 deshalb übereingekommen, trotz bester Angebote noch mindestens eine Saison lang beieinander zu bleiben. Und wenn dann ein Verein käme, der einen Preis jenseits von 100 Millionen Euro bezahlen würde, sollten die Dinge ihren unvermeidlichen Lauf nehmen. Denn es sind fast alle großen Vereine an diesem Spieler interessiert.
In den Tagen seit dem Neustart der Bundesliga konnten auch Leute, die sich zuvor nicht so genau mit Havertz befasst hatten, sehen, warum das so ist. Gegen Werder Bremen (4:1) und Borussia Mönchengladbach (3:1) hat er auf der Position des Mittelstürmers jeweils zwei Tore erzielt. Schon vor der Corona-Pause hatte er nach seinem ersten Karriere-Tief in der Vorrunde für beeindruckende Zahlen gesorgt. So ergibt sich eine Bilanz von acht Toren und sechs Vorlagen alleine in der Bundesliga-Rückrunde. Wettbewerbsübergreifend hat Havertz in diesem Jahr elf Tore erzielt und sieben Vorlagen gegeben. Und das in 15 Partien. Erstaunlich ist, dass er in seinen ersten Spielen als Mittelstürmer mit der Regelmäßigkeit eines Top-Torjägers traf.
"Kai ist der talentierteste Spieler, den wir je hatten"
In vier Begegnungen hat ihn Trainer Peter Bosz nach der Verletzung von Kevin Volland als offensivsten Angreifer nominiert. Dreimal in der Bundesliga, einmal in der Europa League. Havertz hat dabei sechsmal getroffen. Das Erschreckende an dieser Leistung ist: Tore zu erzielen, ist nur eine der vielen Fähigkeiten dieses jungen Profis, der in allen (!) Positionen vor der Abwehr bereits mehrfach eingesetzt wurde und überzeugt hat.
Rudi Völler sagt es so: „Wir hatten in der Geschichte von Bayer 04 viele herausragende Spieler mit absolutem Weltklasse-Format. Aber Kai Havertz ist in seiner Vielseitigkeit und Begabung der talentierteste Spieler, den wir jemals hatten.“ Der Geschäftsführer des Werksklubs ist seit vier Jahrzehnten im Geschäft und hat fußballerische Klasse in allen Formen und Farben gesehen. Völler war als Weltmeister von 1990 selbst eines der größten Stürmer-Talente seiner Zeit. Aber auch er würde sich mit Kai Havertz nicht vergleichen.
Das Problem mit fußballerischer Klasse ist in diesen Wochen allerdings, dass sie massiv an Wert verliert. Alle Experten prophezeien einen massiven Einbruch auf dem Transfermarkt. Summen, wie sie zuletzt normal waren, werden in der Corona-Krise nicht mehr zu erzielen sein. In Leverkusen müsste Nervosität herrschen, weil die 100-Millionen-Plus-Rechnung mit Havertz nach dieser Logik nicht mehr funktionieren könnte. Und bei seinem bis 2022 laufenden Vertrag müsste auch 2021 bei nur noch einjähriger Laufzeit mit einem Wertverlust zu rechnen sein.
Allerdings scheinen die Geschäftsführer Rudi Völler und Fernando Carro, die einen engen Austausch zur Familie Havertz und den Beratern pflegen, anders zu rechnen. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Gesetze des veränderten Transfermarktes für die Allerbesten der Welt nicht gelten. Rudi Völler sagt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Dass Kai in absehbarer Zeit bereit ist für einen Wechsel zu einem europäischen Top-Klub, dürfte jedem klar sein. Er wird den nächsten Schritt gehen. Wann das sein wird, wird man sehen, aber wir wären glücklich, wenn er noch ein weiteres Jahr bei uns spielen würde.“
Diese Ruhe würde kein Klub ausstrahlen, der befürchten müsste, dass ihm in naher Zukunft bis zu 50 Millionen Euro entgehen, mit denen er fest geplant hat. Die Logik hinter dieser Gelassenheit scheint klar: Wenn die besten Vereine der Welt um einen der wenigen Auserwählten kämpfen, kann es keinen Rabatt geben. Bayern München gilt als logische Zieladresse für den nächsten Schritt, aber auch Real Madrid, der FC Liverpool und der FC Barcelona sind hinter dem Deutschen her. Sollte Kai Havertz wegen temporärer Marktunsicherheit dennoch ein Jahr länger als geplant bei dem Klub spielen, der ihn ausgebildet hat, wäre der Schaden für alle überschaubar. Dann fände das Wettbieten eben 2021 statt.