Leverkusen – Bevor zur Feier des Abends die Höhner auftraten und die geladenen Gäste mit ihren Klassikern unterhielten („Mir jonn zom FC Kölle, mir jonn zom KEC“) hatte die Stunde der Anekdoten geschlagen. Rudi Völler stand mit dem Mikro in der Hand auf der Bühne des Gartensaals im Bayer-Kasino und unterhielt das Publikum mit Geschichten aus seinem bewegten Leben im Profi-Fußball. Es wurde still, obwohl viele der Weggefährten wie Otto Rehhagel (sein Trainer bei Werder Bremen), Lothar Matthäus (Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1990), Reiner Calmund (Ex-Manager von Bayer 04), Horst Heese (erster Trainer bei Kickers Offenbach), Waldemar Hartmann (Nebendarsteller des legendären Weißbier-Interviews), Christoph Daum (Ex-Trainer des Werksklubs) und zahlreiche mehr die eine oder andere Pointe vielleicht schon kannten.
„Nach meiner Zeit in Marseille 1994 hatte ich einige Angebote, darunter aus Paris und Lissabon“, erzählte Völler, „wir hatten damals ein wunderschönes Haus am Mittelmeer und meiner italienischen Frau Sabrina gefiel das Leben dort sehr gut“. Als der damals 34-Jährige („Eintracht Frankfurt und der 1. FC Köln hatten auch Interesse“) nach dreitägigen Verhandlungen wieder in Marseille eintraf, kam es zu folgenden Dialog: „Meine Frau fragte mich: »Was ist es jetzt: Paris oder Lissabon?« Und als ich antwortete: »Leverkusen«, sagte sie: »Leverkusen, was ist das?«“
28 Jahre später weiß Sabrina Völler, die den Schock inzwischen überwunden hat, was Leverkusen ist: Der Ort, an dem ihr Mann ein zweites Profi-Leben aufgebaut hat, ohne seinen Status als Liebling des deutschen Fußballs zu verlieren.
Am Samstag hat Rudi Völler ein wenig Abschied genommen von Leverkusen. Er ist nicht länger Sport-Geschäftsführer der Fußball-GmbH Bayer 04. Der Werksklub hatte ihm einen würdigen Abschied bereitet. Alle Bayer-Anhänger in der ausverkauften Bay-Arena erhielten gratis ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift „Danke Rudi!“ Die Fans verabschiedeten sich bei der offiziellen Choreo mit den besten Völler-Sprüchen, emporgereckt auf riesigen Bannern. Es gab Blumen, Umarmungen und einen am Ende sogar spektakulären 2:1-Sieg der Werkself über den SC Freiburg.
Das richtige Fest begann aber erst, als die Inszenierungen vorüber waren. Auf der letzten Ehrenrunde im Kreis des Teams rief der Anhang den Weltmeister von 1990 plötzlich nach oben. Völler erklomm den Platz, auf dem normalerweise der Einpeitscher steht und seinen Scharen mit dem Megafon den Takt vorgibt. Wie im Ausguck der Gorch Fock stand er da und fragte ins Mikrofon: „Kann mir jetzt einer sagen, was ich tun muss?“ Als ihm die Lettern des Bayer-Schlachtgesanges souffliert wurden, buchstabierte Völler souverän und am Ende sangen sie gemeinsam: „Ufta täterääää!!“
Das war von einer spontanen Herzlichkeit, die alle übermannte. „So eine Stimmung wie heute, besser geht es nicht“, erklärte Rudi Völler, dem es alles gar nicht zu viel wurde. Später in der guten Stube des Bayer-Konzerns zwischen all den Mitarbeitern, Weggefährten und Lobpreisungen, wirkte der 62-Jährige immer noch stolz und bewegt. Werner Wenning (75), der mächtige Vorsitzende des Gesellschafterausschusses, in dem Völler künftig die Rolle seines wichtigsten Beraters einnehmen wird, hatte die Menschlichkeit des so oft Besungenen in einer 25-minütigen Laudatio gerühmt. Im Publikum saß Werner Baumann, aktueller Vorstandsvorsitzender des Bayer-Konzerns und erhielt Nachhilfe in deutscher Fußball-Geschichte aus erster Hand.
"Ich hatte so viel Glück in meinem Leben"
Natürlich musste noch einmal erzählt werden, wie es Rudi Völler im wichtigsten Spiel seiner Karriere gelang, den Schiedsrichter zum Elfmeterpfiff zu bewegen. Und wie Andreas Brehme in diesem WM-Finale gegen die Argentinier unter deren wilden Protesten fünf Minuten vor Ende der regulären Spielzeit versuchte, sich auf den folgenden Schuss zu konzentrieren. „Er war so fokussiert wie nie zuvor und nie danach in seinem Leben“, berichtete Völler, „und dann bin ich zu ihm hin und habe ihm gesagt: »Andy, wenn du jetzt triffst, sind wir Weltmeister!« Und er antwortete nur: »Danke Rudi, vielen Dank!«“
Wie wir alle wissen, hat Andreas Brehme dem zusätzlichen Druck standgehalten, den Ball im Olympiastadion von Rom ins linke untere Eck geschossen und eine Nation am 8. Juli 1990 glücklich gemacht. Er saß im Publikum, als sein Kumpel Rudi Völler im Bayer-Kasino die Schlussworte sprach: „Ich hatte so viel Glück in meinem Leben, Mein Wunsch ist, dass ihr alle das Glück und die Zufriedenheit habt, die ich hatte. Und dass ich noch viele Jahre Zeit bekomme, um euch dabei zuzusehen.“