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Hradecky im Interview„Ich kassiere zu viele Tore, das kann ich nicht akzeptieren“

Lesezeit 7 Minuten
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Leverkusens Kapitän Lukas Hradecky

LeverkusenHerr Hradecky, hat Ihnen nach Leverkusens 2:3-Niederlage am Freitag in Mainz die finnische Eishockey-Nationalmannschaft mit ihrem Olympiasieg das Wochenende gerettet?

Nein, da hat mir Olympia nicht geholfen. Nach so einem Spiel wie unserem in Mainz musst du dich einfach ärgern, auch wenn die Niederlage unter dem Strich verdient war. Bei Olympia habe ich auch der Slowakei im Bronze-Spiel die Daumen gedrückt. Aber natürlich stand ganz Finnland nach dem Olympiasieg Kopf. Fußball ist da jetzt erstmal wieder zweitrangig.

In Ihrer Corona-Quarantäne Anfang Februar hatten Sie viel Zeit, um Olympia vor dem Fernseher zu verfolgen.

Das stimmt. Aber ich habe dann doch weniger geguckt als gedacht. Olympia in China und mit den ganzen Umständen – es war irgendwie komisch.

Wie haben Sie die Zeit in Isolation verbracht?

Ich habe mich in erster Linie erholt. Zwei Tage musste ich wegen Covid ein bisschen leiden, aber sonst ging es. Ich komme schon ganz gut alleine zurecht, ich bekomme nicht so leicht Langeweile. Ich habe mit meiner Familie gesprochen, skandinavische Krimis gelesen, online Schach gespielt und Serien und Filme gestreamt. Zuletzt „Reacher“, das war ganz unterhaltsam.

Die Ergebnisse von Bayer 04 erinnern zuletzt auch an Eishockey: 5:1, 2:5, 4:2 und 3:2. Damit können Sie als Torhüter trotz des guten Rückrundenstarts kaum glücklich sein.

Nein, das bin ich nicht. Obwohl ich im Vergleich zu meinen jungen Jahren schon nicht mehr so empfindlich bin. „Scheiße, jetzt habe ich so lange nicht zu Null gespielt“ – das hat mir früher viel größere Probleme bereitet. Natürlich hadere ich persönlich damit, dass die großen Torhüter-Paraden fehlen, mit denen ich dem Team helfen kann. Aber am Ende ist es ein Mannschaftssport. Und bis auf letzten Freitag haben wir viele Punkte geholt. Das zählt.

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Wissen Sie, wann Sie in der Bundesliga zuletzt zu Null gespielt haben?

Gegen Bochum, im November. Die Ergebnisse haben danach aber meistens gestimmt, sonst würde ich hier sicher nicht so fröhlich auftreten. Natürlich hatte ich schon bessere Phasen, da bin ich selbstkritisch, auch wenn keine großen Patzer dabei waren. Als Torhüter kann man aber nichts erzwingen. In Mainz habe ich zum Beispiel ein paar Bälle gar nicht gesehen, bevor sie mir um die Ohren geflogen sind.

In welchen Bereichen sind Sie besonders selbstkritisch?

Es sind eher Kleinigkeiten. Denn natürlich will ich ein besserer Lukas sein, als der Lukas Hradecky, der nach Leverkusen gekommen ist. Mein Anspruch ist es, mich ständig weiterzuentwickeln. Aber ich glaube, dass ich der Mannschaft sehr gut mit meiner Persönlichkeit und meiner Ruhe weiterhelfen kann – besonders den jungen Spielern.

Zuletzt hatte man trotz der vielen Gegentore das Gefühl, dass sich die Defensive im Vergleich zu den Wochen vor Weihnachten besser gefunden hat. Täuscht das?

Wenn es läuft, dann läuft es richtig. Dann sind Spaß und Leichtigkeit dabei. Aber wenn dann so ein Spiel wie gegen Mainz kommt, ging es zuletzt mit den Emotionen sehr schnell in den Keller. Mittlerweile haben wir eine bessere Emotionskontrolle, da sehe ich eine Steigerung. Unsere Reaktionen auf Gegentore sind auch viel besser geworden. Klar ist aber auch: Wir bekommen viel zu viele Gegentore, da hängt die ganze Mannschaft mit drin. Mit dieser Anzahl von Gegentoren können wir nicht mit den Bayern oder mit Dortmund konkurrieren.

Sollte sich ein Spitzenteam wie Bayer 04 also nicht hauptsächlich auf seine Offensiv-Qualitäten verlassen?

Wir sind auf jeden Fall zu abhängig von unserer Offensive. Diese allerletzte Konsequenz im eigenen Strafraum, das Tor ohne Rücksicht auf Verluste zu verteidigen, das fehlt mir ein bisschen.

Wünschen Sie sich als Torhüter manchmal eine defensivere Grundeinstellung der Mannschaft?

Ganz ehrlich: nein. Natürlich wünschen wir uns alle ein allgemein besseres Defensivverhalten und arbeiten auch hart daran. Aber wir sind trotzdem Tabellendritter. Würden wir anders spielen, hätten 15 Tore weniger kassiert, wären aber nur Sechster – damit wäre auch niemandem geholfen.

Die vielen Gegentore nehmen Sie als Preis für das offensive Spiel hin.

Ja, das ist wohl so. Deswegen darf ich auch nicht so sensibel sein. Ungeachtet dessen kassiere ich zu viele Tore momentan, in dem Umfang kann ich das auch nicht akzeptieren. Wir arbeiten daran. Aber es ist eine Sache der ganzen Mannschaft und nicht eines Einzelnen.

Wie schwer wiegt der Ausfall von Patrik Schick?

Einen Mann mit 20 Saisontoren zu verlieren, ist natürlich hart. Hoffentlich fehlt Patrik nicht allzu lange. Auf der anderen Seite habe ich noch nie einen schwachen Lucas Alario gesehen, wenn er viel Spielzeit bekommen hat. Er ist ja jetzt auch der beste Joker der Leverkusener Vereinsgeschichte. Da mache ich mir keine Sorgen. Und Sardar Azmoun kommt auch noch. Ich bin mit der Breite des Kaders zufrieden.

Wie ist Ihr erster Eindruck von Azmoun?

Er ist ein sehr bescheidener und sympathischer Mensch. Fußballerisch kann ich noch nichts über ihn sagen – ich habe mir bislang nur ein Highlight-Video von ihm angeschaut, das sah ganz gut aus. Ich dachte nur, dass er größer wäre. Denn er hat so viele Kopfballtore für St. Petersburg gemacht.

Bayer 04 empfängt am Samstag Arminia Bielefeld

Seit Sommer sind Sie Kapitän. Hat sich dadurch etwas geändert?

Die Aufmerksamkeit ist noch einmal größer geworden, vielleicht auch einige Anforderungen. Ich muss mich ab und zu noch selbst daran erinnern, dass ich zuerst Torwart und Spieler bin. Und dann erst Kapitän. Ich will mit meiner positiven Einstellung voran gehen. Und die Atmosphäre in der Mannschaft stimmt, wir verstehen uns gut. Da haben meine Vize-Kapitäne und ich einen guten Job zusammen gemacht.

Als Tabellendritter hat Bayer 04 vier Punkte Vorsprung auf Platz fünf. Ist es ein komfortables Polster?

Überhaupt nicht. Was passiert, wenn wir den Fuß vom Gas nehmen, haben wir schon oft genug erlebt. Damit haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Wir werden weiter Gas geben, alles andere lässt der Trainer auch gar nicht zu.

Zu den Bayern sind es 14 Punkte. Warum ist der Abstand so gewaltig?

Die Bayern haben einfach einen unglaublichen Biss. Sie spielen jede Woche gegen einen Außenseiter – und fressen den Gegner dann regelmäßig auf. Dieser Hunger ist einfach beeindruckend. Da ist bei uns noch Luft nach oben. Wir sollten nicht denken: Wir fahren nach vier Siegen in Folge nach Mainz und gewinnen das Ding auch eben mal so.

Haben Sie diese Einstellung in der Mannschaft gespürt?

Ja, da hat etwas gefehlt am letzten Freitag. Das hat uns auch die Analyse des Spiels am Montag gezeigt: Wie viele Zweikämpfe Mainz gewonnen hat, wie viele zweite Bälle sie geholt haben. Das ergibt dann ein eindeutiges Bild, das mein Gefühl auf dem Platz bestätigt hat.

Zuletzt gab es nach solchen Rückschlägen oft längere Formtiefs. Was spricht dafür, dass es diesmal am Samstag gegen Bielefeld (15.30 Uhr) direkt wieder nach oben geht?

Es ist das, was ich von uns als Mannschaft sehen will. Wir müssen vor allem uns selbst beweisen, dass uns dieser Entwicklungsschritt gelungen ist. Wer am Samstag vielleicht schon mit dem Kopf beim Bayern-Spiel in der Woche drauf ist, der muss Strafe zahlen. Julian Baumgartlinger und Kerem Demirbay treiben das Geld dann ein.

Am Freitag ist die Auslosung für das Achtelfinale der Europa League. Haben Sie einen Wunsch-Gegner?

Beim FC Barcelona würde ich gerne einmal spielen, das ist immer ein Traum von mir gewesen. Natürlich lieber in der Champions League – aber so würde ich es auch nehmen.

Die Europa League ist die letzte verbliebene Titel-Chance für Bayer 04 in dieser Saison.

Es sind sieben Spiele bis zum Titel, wie ein Pokal im Kleinformat. Ich sehe keinen Grund, warum wir den Titel nicht holen können.

Auch als Abschiedsgeschenk für Rudi Völler.

Ja, das wäre perfekt, er hat so viel für den Klub geleistet. Und wir als Mannschaft müssten uns nicht um eine Uhr oder so etwas kümmern (lacht).