AboAbonnieren

Bayer 04Chronologie einer Transferposse – Warum Jonathan Tah nicht zum FC Bayern wechselte

Lesezeit 7 Minuten
Jonathan Tah von Bayer 04 Leverkusen nach dem Bundesligaspiel bei Borussia Mönchengladbach

Jonathan Tah von Bayer 04 Leverkusen nach dem Bundesligaspiel bei Borussia Mönchengladbach

Jonathan Tah wollte zum FC Bayern München, bleibt aber bei Bayer 04 Leverkusen – der Stoff für das Bundesliga-Sommertheater

Er ist noch da – so ganz genau weiß keiner, warum. Jonathan Tah kokettiert seit zwei Jahren mit einem Weggang von Bayer 04. Im Sommer 2023 bekräftigt er seinen Traum, in der Premier League spielen zu wollen. Doch keiner seiner Wunschklubs beißt an, eine Ausstiegsklausel über knapp 20 Millionen Euro verstreicht. Am Ende bleibt der 28-Jährige in Leverkusen, wird einer der Führungsspieler unter Trainer Xabi Alonso und feiert den Doublesieg. Danach beginnt eine Transferposse, die ganz Fußball-Deutschland unterhält. Tah will zum FC Bayern, der ihn in Person von Max Eberl heiß auf den Wechsel gemacht hat. Doch es kommt anders. Die Chronologie eines gescheiterten Transfers:

April

Da Tahs Vertrag 2025 ausläuft, will Bayer 04 mit ihm verlängern. Der Grundsatz beim Werksklub: Spieler sollen nicht ins letzte Vertragsjahr in Leverkusen gehen und den Verein ablösefrei verlassen können – entweder wird verlängert, oder der Spieler verkauft. Dies könne er „voll und ganz nachvollziehen“ sagt Tah später und kündigt eine zeitnahe Entscheidung an. Der FC Bayern signalisiert über Berater Pini Zahavi Interesse an Tah.

Mai

Die Saison ist vorbei, die EM steht vor der Tür. Tah und seine Berater hinterlegen bei Bayers Verantwortlichen den klaren Wunsch, dass er zum FC Bayern wechseln möchte. Zudem heißt es: Tah werde seinen Vertrag nicht verlängern. Nach neun Jahren in Leverkusen wolle der 28-Jährige eine neue Herausforderung annehmen – in München. Vereinsintern hat man dafür Verständnis – ein Wechsel ins Ausland wäre den handelnden Personen jedoch lieber gewesen.

Münchens Sportvorstand Eberl verständigt sich mit Tahs Team auf einen Fünfjahresvertrag, der ihm rund neun Millionen Euro Grundgehalt zusichern soll. Nun legen sich beide Vereine intern eine Verhandlungsstrategie zurecht. Bei Bayer 04 einigen sich Sportchef Simon Rolfes, Geschäftsführer Fernando Carro und Werner Wenning, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses, darauf, dass man Tah keinesfalls unter einem Gesamt-Transfervolumen von 30 Millionen Euro ziehen lassen werde. Der Wunsch wären 35 bis 40 Millionen Euro. Generell signalisieren die Bayer-Verantwortlichen gegenüber Tah, dass sie ihm den Wechsel ermöglichen werden, allerdings nur zu ihren Bedingungen – was Tah nachvollziehen kann.

Juni

Dass die Bayern andere Vorstellungen haben, wird beim ersten Angebot an die Leverkusener deutlich. Es beträgt weniger als 20 Millionen Euro. Bayer 04 lehnt ab. Tah spielt derweil als Stamminnenverteidiger in der DFB-Elf bei der EM. Eberl und Rolfes telefonieren. Rolfes lässt durchblicken, dass er davon ausgeht, dass sich beide Klubs einigen werden. Zum Ende des Monats gibt es ein neues Angebot des FC Bayern. Diesmal ist die Rede von 20 Millionen fixer Ablöse und fünf Millionen Bonuszahlungen. Bayer 04 bleibt hart: Unter 30 Millionen wird Tah nicht gehen.

Juli

Tah scheidet mit der DFB-Elf im Viertelfinale bei der EM gegen Spanien aus. Er geht davon aus, dass er nach seinem Urlaub an der Säbener Straße beginnen wird. Doch in München wird immer deutlicher, dass sich die Führung uneins ist. Nun sieht alles danach aus, als würde Tah Opfer der Transferpolitik der Münchner. Rund 125 Millionen Euro wurden für Hiroki Ito (Stuttgart), Michael Olise (Crystal Palace) und João Palhinha (FC Fulham) ausgegeben. Für weitere Zugänge fehlt das Geld. „Es kommt überhaupt kein Spieler mehr, wenn nicht vorher zwei, drei Spieler gehen. Max Eberl und Christoph Freund (Sportdirektor, Anm. d. Red.) wissen genau, dass keiner mehr kommt, wenn nicht der ein oder andere prominente Spieler geht. Der FC Bayern hat keinen Geld-Scheißer“, sagt Ehrenpräsident Uli Hoeneß.

Einer der Abgangskandidaten ist Mathijs de Ligt. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: Geht der Niederländer, kann Tah kommen. Doch es ist auch zu hören: Während Trainer Vincent Kompany und Eberl den gebürtigen Hamburger unbedingt wollen, sind Hoeneß und andere Führungspersönlichkeiten in den Kontrollgremien nicht überzeugt. Tah steigt ins Leverkusener Training ein, reist mit ins Trainingslager nach Donaueschingen. „Wir haben zu jeder Zeit ein gutes Verhältnis zu Jona gehabt, deswegen ist es überhaupt kein Problem“, sagt Rolfes. „Es ist ja nicht der Fall, dass er nicht gerne für Bayer 04 Leverkusen spielt. Viele Freunde in der Mannschaft freuen sich, dass er ab Sonntag wieder dabei ist. Von daher ist die Situation entspannt.“ Zudem betont der Sportvorstand: „Es gibt keinen neuen Stand. Es ist weiter der Stand, dass es keine Anfrage oder ein Angebot von irgendeinem Verein gibt, das für uns akzeptabel ist – kein Angebot, von dem wir überzeugt sind, dass es seinem Wert entspricht, weil er ein ganz wichtiger Spieler für uns ist.“

August

Rolfes hat – um genug Zeit zu haben, einen Ersatz zu verpflichten –, den Bayern eine Deadline für die zweite August-Woche gesetzt. Eberl wird Ende des Monats erklären: „Ich habe Simon Rolfes schriftlich gesagt: Simon, danke für die Deadline. Danke für den Betrag, den du uns genannt hast. Wir können beides nicht erfüllen.“ Bayer 04 will weiter 30 Millionen Euro, ist aber bereit, bei einem Angebot von 25 Millionen sofort plus fünf Millionen Boni zuzustimmen. Der FC Bayern verkauft de Ligt an Manchester United, nimmt mehr als 40 Millionen Euro ein. Dennoch gibt es kein neues Angebot. Es wird deutlich, dass vor allem der Aufsichtsrat nicht ganz von Tah überzeugt ist. Eberl schafft es nicht, das Gremium geschlossen hinter den Deal zu bekommen. Mitte August attackiert Bayer-Klubchef Carro bei einem Fantreffen Eberl: „Ich halte von Max Eberl nichts, absolut nichts! Und ich würde nicht mit ihm verhandeln.“

Nach Schließung des Transferfensters behauptet einer von Tahs Beratern, Max Bielefeld, dass diese Aussage die Gespräche vergiftet und den Deal quasi unmöglich gemacht hätte. Tah sagt, dass Bielefelds Statement nicht mit ihm abgestimmt gewesen sei. Je näher die Schließung des Transferfensters am 28. August rückt, umso kürzer werden die Abstände der Wasserstandsmeldungen. Zunächst erklärt Eberl, dass der Kader der Bayern trotz der Verletzungen der Defensivspieler Hiroki Ito und Josip Stanisic stehe, es keine weiteren Zugänge geben würde. In Leverkusen nimmt man das als endgültige Entscheidung wahr. Rolfes und Carro sind sich einig, Tah und seinen Beratern im September oder Oktober noch ein neues Vertragsangebot zur Verlängerung vorlegen zu wollen.

Die Bayern starten in die Liga, gewinnen mit 3:2 in Wolfsburg, doch die Innenverteidiger Dayot Upamecano und Kim Min-Jae machen keinen guten Eindruck. Eberl wird zwei Tage vor Schließung des Transferfensters noch einmal beim Aufsichtsrat vorstellig, um das Gremium vom Tah-Deal zu überzeugen, falls Kingsley Coman den Klub noch verlassen sollte (Eberl: „Natürlich habe ich jetzt noch einmal nachgefragt – falls wir einen Verkauf hätten und noch mal Geld zur Verfügung hätten, ob wir es dann tun könnten“).

Am selben Tag macht Berater Zahavi öffentlich Druck: „Wir wollen es vermeiden, dass ein so verdienter Spieler wie Jona im kommenden Sommer ablösefrei den Verein verlässt. Deswegen hoffen wir, dass wir kurzfristig eine Lösung finden, mit der am Ende alle Seiten zufrieden sein können.“ Bayern will allerdings weiterhin 20 Millionen plus fünf Boni zahlen. Leverkusen beharrt auf den 30 Millionen Gesamtvolumen. Der Wechsel platzt. Eberl erklärt seine Version des Transfertheaters. Tah meldet sich bei Instagram zu Wort: „In letzter Zeit gab es viele Spekulationen um mich und meine Zukunft. Manche Hintergründe wurden nicht korrekt dargestellt, aber darauf werde ich auf jeden Fall noch zu gegebener Zeit im Detail eingehen. Es stimmt, dass ich zwischenzeitlich auch Wechseloptionen geprüft habe, aber nun steht fest, dass ich die zehn Jahre bei Bayer 04 vollmachen werde.“

Nach dem Bundesligaspiel gegen Leipzig, in dem er Bayer 04 als Kapitän aufs Feld geführt hatte, ergänzt er: „Ich würde lügen, wenn es nicht anstrengend ist. Am Ende sind es immer die Spieler, die in diesen Situationen am wenigsten Kontrolle haben über das, was passiert. Natürlich ist es anstrengend, wenn es so ein Hin und Her gibt. Am Ende akzeptiere ich das. Ich habe nie gesagt, dass ich mich hier unwohl fühle. Im Gegenteil: Ich bin super glücklich hier.“