Superstar kritisiert RegimeLeverkusens Azmoun riskiert für iranische Frauen alles
Köln – Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini am 16. September wird der Iran von Unruhen erschüttert. Die junge Frau starb in einem Teheraner Krankenhaus, nachdem sie zuvor wegen ihres angeblich zu locker sitzenden Kopftuchs inhaftiert worden war. Es wird vermutet, dass sie zu Tode geprügelt wurde.
Inzwischen haben die Proteste, bei denen für ihre Freiheit und Menschenrechte demonstrierende Frauen die Hauptrolle spielen, die iranische Fußball-Nationalmannschaft der Männer erreicht. Der sportliche Stolz des Landes absolviert gerade in Österreich die letzten Tests vor der Weltmeisterschaft in Katar. Nach dem 1:0-Sieg über Uruguay hat sich der für Bayer 04 Leverkusen spielende Stürmer Sardar Azmoun (27) eindeutig gegen das schiitische Regime in seiner Heimat positioniert.
Der populäre Profi postete via Instagram auf Persisch, sinngetreu übersetzt: „Wir durften nichts sagen, aber ich konnte es nicht mehr ertragen. Schmeißt mich raus. Wenn dadurch ein Haar einer iranischen Frau gerettet wird, hat es sich gelohnt. Schande über euch, die ihr Menschen so leicht tötet.“ Wenige Stunden später war der Post, wie von Azmoun in weiteren Posts bereits prophezeit, von dritter Seite gelöscht worden. Inzwischen sind alle Einträge seines Kanals verschwunden, die Zahl der Follower wuchs dennoch im Lauf des Montags von 4,8 auf 4,9 Millionen.
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Bis zu diesem Spiel war von Opposition im Kreis der iranischen Fußball-Nationalmannschaft wenig zu sehen gewesen. Beharrlich schwiegen die vor allem im Ausland spielenden Stars zu den Vorgängen in der Heimat, die bislang mehr als 50 Todesopfer gefordert haben. Die Machthaber hatten ihnen jede Meinungsäußerung vor allem in den sozialen Netzwerken untersagt und durch massive Anstrengungen verhindert, dass die Partie in der österreichischen Provinz vor Zuschauern stattfand. Daraufhin entlud sich im Internet die Wut vieler iranischer Fans, die ihren Idolen Feigheit und Duckmäusertum vorwarfen - bis alle Nationalspieler nach der Begegnung zum Zeichen der Solidarität ihre Profilbilder in den sozialen Netzwerken schwärzten und Sardar Azmoun mit dem Post seine Karriere als Nationalspieler aufs Spiel setzte.
Der Torjäger, der im Januar 2022 von Zenit St. Petersburg zu Bayer 04 Leverkusen wechselte, ist in seiner Heimat mehr als nur ein Fußball-Star. Er wirkt als Förderer des Frauen-Volleyballs und erringt mit seinen Vollblutpferden große Erfolge im internationalen Galopp-Sport. Mit seiner wütenden Anklage geht er ein persönliches Risiko ein. Allerdings kann er sich der vollen Unterstützung seines Klubs Bayer 04 Leverkusen sicher sein.
Bayer-Sportdirektor Rolfes: "Wir unterstützen Sardars persönliches Engagement"
Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes erklärte am Montagnachmittag: „Ich hatte Kontakt mit Sardar Azmoun, er wollte mit seinem Post vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in seinem Heimatland die iranischen Frauen und Frauen im Allgemeinen unterstützen. Für die Verbesserung speziell ihrer Lebensumstände setzt er sich schon seit Langem ein. Sardar fördert bekanntlich mit privaten Mitteln unter anderem ein Frauen-Volleyballteam, er solidarisiert sich sehr mit der weiblichen Bevölkerung Irans. Und natürlich unterstützen wir als Bayer 04 Leverkusen Sardars persönliches Engagement, weil er sich damit für die Wahrung und Stärkung demokratisch legitimierter Grundwerte einsetzt.“
Der Sportjournalist und Studienrat Farid Ashrafian, der auch für die Deutsche Welle arbeitet, meint im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zum Risiko, dem sich der Fußballer aussetzt: „Natürlich zieht Sardar Azmoun den Zorn der Machthaber auf sich, aber dadurch, dass Prominente wie er ein solch hohes Maß an Popularität in der Bevölkerung genießen, scheinen sie vor direkten Folgen erst einmal geschützt. Dennoch können sie und ihre Familien natürlich Repressalien wie die Enteignung ihres Vermögens im Iran erleiden.“
Dass die schiitische Führung allerdings auch nicht davor zurückschreckt, bekannte Sportler umzubringen, bewies die Hinrichtung des populären Ringers Navid Afkari im September 2020 durch den Strang. Afkari soll im Rahmen einer Demonstration 2018 in Schiras gegen die wirtschaftliche und politische Lage einen Sicherheitsbeamten getötet und die Tat auch gestanden haben. Das Geständnis wurde nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen unter Folter erzwungen. Farid Ashrafian sieht den iranischen Sport bei den Demonstrationen für Frauenrechte in einer stärkeren und aktiveren Rolle als bei allen Aufständen zuvor. „Dieses Mal hat das Ganze ein außergewöhnliches Ausmaß erreicht. Viele Sportler, die bisher zurückhaltend waren, bekennen jetzt Farbe. Die Freiheitsbewegung wird von der Sport-Welt im Iran massiv unterstützt.“
Sardar Azmoun gehörte schon vor der aktuellen Eskalation zu den wenigen aktiven iranischen Sportlern, die sich öffentlich für Frauenrechte eingesetzt haben. Der Sohn eines Volleyball-Nationalspielers und einer Volleyball-Nationalspielerin hat in einem Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Juli erklärt: „Im Iran kümmert man sich im Sport nicht viel um die Frauen. Aber wir haben viel weibliches Talent für Volleyball. So haben mein Vater und ich in meiner Heimatstadt Gonbad-e Kavus einen Verein gegründet. Er heißt Serik, wie mein Lieblingspferd. Ich bezahle unseren Spielerinnen jeden Monat ein Gehalt. Viele von ihnen sind Nationalspielerinnen.“ Azmoun berichtete davon, dass dies in seiner Heimat nicht die Normalität sei: „90 Prozent der Frauen-Klubs bei uns bezahlen ihre Spielerinnen nicht, dabei betreiben sie Sport auf wirklich hohem Niveau. Im Männersport, insbesondere im Fußball, ist das ganz anders.“
Wie es für den Fußball-Profi nach dem offenen Bruch mit der unnachgiebigen religiösen Führung seines Landes weitergeht, ist genauso offen wie seine eigene Zukunft in der Nationalmannschaft, für die er in 62 Spielen 40 Tore erzielt hat. Am Freitag hat Sardar Azmoun bis zu seiner Auswechslung im Spiel gegen Uruguay noch 70 Minuten lang das iranische Nationaltrikot getragen. Ob er selbst am Dienstag beim geplanten letzten WM-Test in Österreich gegen Senegal (15.30 Uhr) spielt ist ebenso ungewiss wie das Spiel selbst. Unter welchen Umständen der Iran in Katar seine WM-Vorrundenspiele gegen England (21. November), Wales (25. November) und die USA (29. November) austragen kann, steht ebenfalls in den Sternen.
Der Iran-Experte Hamidreza Azizi von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt, dass die Proteste auf lange Sicht zu einem Wandel in Iran führen, wenngleich er einen kurzfristigen Sieg über die Machthaber ausschließt. „Wir sollten realistisch bleiben, denn die Regierung hat eine Menge Mittel zur Unterdrückung, die sie noch nicht vollständig ausgeschöpft hat. Trotzdem hat sich etwas grundsätzlich verändert: Die Menschen haben keine Angst mehr“, sagt er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „die Regierung kann vielleicht für kurze Zeit die Kontrolle zurückerlangen, aber jede einzelne Frau, die ihren Hidschab abnimmt, vollzieht einen Protestakt gegen das politische System. Das ist etwas, wogegen die Regierung auf lange Sicht nicht ankommen kann.“
Sardar Azmoun sagte es im Gespräch mit dem Kölner Stadt-Anzeiger so: „Wir leben im Jahr 2022, wir müssen etwas verändern und können nicht leben wie vor 100 Jahren.“