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Bayer 04 in der KriseWie Trainer Seoane gegen den Psycho-Fluch seiner Stürmer kämpft

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Bayer Kommentar Foto2

Sardar Azmoun ist frustriert

Leverkusen – Gerardo Seoane hat nach der 1:2-Pleite gegen Augsburg im Gespräch mit Journalisten zwei Fragen gestellt. Und die Antworten selbst gegeben. „Kannst du auf einem Bein stehen und dir die Nase anfassen?“, wollte der Trainer von Bayer 04 Leverkusen wissen und fuhr fort: „Klar kannst du das. Aber kannst es auf einem Hochhaus an der Kante? Schwieriger. Und das ist Fußball-Bundesliga.“

Dreimal sind die Profis von Bayer 04 Leverkusen, um im Bild zu bleiben, mit der Hand an der Nase in die Tiefe gefallen. Wobei das Pokal-Aus beim Drittligisten in Elversberg eher der Sturz von der letzten Treppenstufe im Parterre war. Die Fallhöhe ergab sich hier alleine aus der Unwahrscheinlichkeit des Ereignisses. Doch die Herausforderung wird mit jeder Wiederholung des Versagens größer.

Der letzte Tabellenplatz der Liga, den der dreifache Schweizer Meister-Trainer Seoane aus eigenem Erleben kaum kennt, wirkt auf der Hochhauskante wie eine zusätzliche Leiter. Und es geht jetzt darum, dass seine Spieler all das im nächsten Spiel gegen die TSG Hoffenheim (Samstag 15.30 Uhr, Bay-Arena) ausblenden: Den Ärger, die Peinlichkeit, den Ergebnisdruck und die zuletzt gezeigte Unfähigkeit, den Ball aus kürzester Distanz ins Tor zu schießen.

Trainer aus der Generation Weisweiler, Happel, Lattek und Magath hätten ihre Mannschaft nach solchen Spielen in der Öffentlichkeit massiv kritisiert, ihr Straftraining befohlen und die Kommunikation mit den Verlierern eingestellt, bis sie wieder angefangen hätten, zu gewinnen. Im heutigen Fußball ist so etwas nicht mehr denkbar. Hier versucht eine kleine Armee von Analysten, das Spiel in seine Einzelteile zu zerlegen, die Fehler im Detail zu finden, Lösungen zu erarbeiten. Der Cheftrainer kommuniziert die Ergebnisse mit seinen Profis und fasst sie, je nach psychischer Konstitution, etwas härter oder weicher an.

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Gerardo Seoane erklärt: „Wir müssen natürlich darüber sprechen, was nicht gut war. Intern sind wir immer sehr selbstkritisch, auch nach Siegen. Aber was würde es bringen, wenn ich nach dem Spiel komplett die Nerven verliere? Unsere Aufgabe ist es, alles richtig einzuordnen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Nach dem 1:2 gegen Augsburg lautet der Schluss: „Wenn man die Leistungen in der Liga ohne die Ergebnisse anschaut, gibt es keinen Grund, Panik zu verbreiten. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die andere sind die Resultate. Mit denen sind wir nicht zufrieden.“

Die Tage nach einer Niederlage stehen stets im Zeichen einer emotionalen Transformation, die der Fußball-Lehrer so beschreibt: „Man ist nach dem Spiel enttäuscht, unmittelbar vielleicht frustriert. Aber diese Gefühle müssen sich im Laufe der Woche Tages umwandeln in Energie und Lust. Das haben wir letzte Saison öfter geschafft, diese Saison noch nicht, aber daran arbeiten wir.“

Am Beispiel der hoch talentierten Fehlschützen Patrik Schick, Sardar Azmoun und Moussa Diaby sieht die Arbeit so aus: Erfolgserlebnisse durch einfachere Torschussübungen im Training zu schaffen. „Alle unsere Spieler haben die Fähigkeit, Tore zu machen“, sagt der Trainer, „wir versuchen, jede Woche Abschlüsse zu trainieren. Du schaffst viel über Wiederholung, du kannst dir so Vertrauen und Sicherheit zu holen. Aber es bringt nichts, gleich mit der schwierigsten Übung zu beginnen.“ Lieber erst einmal auf dem Balkon auf einem Bein mit der Hand an der Nase stehen. Im ersten Stock, dann im zweiten. Dann die Dachterrasse. Bevor man sich an die Kante wagt. So ist das Prinzip.

Abschied von Amiri und Paulinho nicht sicher

Allerdings hat der Leverkusener Cheftrainer auch ein höchst physisches Problem: Nach dem voraussichtlich zweimonatigen Ausfall seiner Offensivspieler Amine Adli (Schlüsselbeinbruch) und Karim Bellarabi (Außenmeniskusriss) wird es auf den Außenseiten im Angriff ziemlich luftig. Top-Talent Adam Hlozek, der da spielen können soll, fühlt sich in der Phase der Eingewöhnung zentral offensichtlich wohler. Und der geplante Transfer von Mykhaylo Mudryk (Donezk) ist nach den immensen Forderungen der Ukrainer, die bis 30 Millionen Euro reichten, erst einmal geplatzt.

„Man kann sich vorstellen, dass wir uns intensiv Gedanken machen“, sagt Seoane. Aber Mudryk war eben auch als Nachfolger von Moussa Diaby geplant gewesen, falls der für viel Geld zu einem Top-Klub gewechselt wäre. Diaby blieb aber zur Freude aller. Allerdings können keine Transfer-Einnahmen verteilt werden. Bei Stürmer Paulinho und Mittelfeldspieler Nadiem Amiri stehen bereits sicher geglaubte Abschiede auch auf der Kippe. Womöglich werden sie zu dringend benötigt.

Über allem steht sowieso der kurzfristige Erfolg. Alle brauchen den ersten Sieg der Saison. Deshalb sagt der Trainer durchaus selbskritisch: „Normal reicht jetzt nicht mehr, da muss mehr kommen. Eine bessere Qualität.“ Sonst droht der nächste Absturz mit der Hand an der Nase.