Keiner schießt häufiger aufs Tor, keiner hat mehr Scorerpunkte: Bayer-04-Stürmer Victor Boniface mischt die Bundesliga auf.
„Nicht nur ein Bomber - er ist komplett“Boniface verzaubert Bayer 04 und die Bundesliga
Es ist Ende Juli 2023. Bayer 04 Leverkusen bereitet sich in Österreich auf die neue Bundesliga-Saison vor. Gerade haben die Verantwortlichen einen neuen Stürmer für die Werkself verpflichtet. Sein Name ist Victor Boniface Okoh. Zwölf Fragen haben die mitgereisten Journalisten in die Vorstellungsrunde des 22-Jährigen mitgebracht. Das Gespräch dauert 3:44 Minuten. Es ist schnell klar: Der Neue ist kein Mann der großen Worte. Dass er vielmehr ein Mann der Tat ist, zeigt sich in den folgenden anderthalb Monaten.
Zur Länderspielpause im September führt Boniface die Bundesliga-Scorerliste nach drei absolvierten Partien mit sechs Punkten an - vier Tore, zwei Assists. 270 Minuten haben gereicht, um eines der Top-Gesprächsthemen im deutschen Fußball zu werden. Und alle fragen sich: Wieso konnte ausgerechnet Bayer 04 einen Stürmer holen, der anscheinend alles kann?
Die Antwort ist vielschichtig, aber eine Ebene ist schlicht und einfach Glück. Denn Xabi Alonso und Simon Rolfes durften Boniface - dessen Name englisch ausgesprochen wird - im Rahmen der Bayer-04-Pflichtspiele scouten. Im Achtelfinale der Europa League in der Vorsaison traf die Werkself auf Royale Union Saint-Gilloise - mit Boniface, der beim 1:1 im Hinspiel traf und mit seinem ganzen Auftreten für Aufsehen sorgte. Alonso und einige Bayer-04-Akteure lobten den bulligen Angreifer nach den Spielen. Der Angreifer berichtet rückblickend, dass es nur wenige Tage nach diesen Partien gedauert hätte, bis sein Berater ihm signalisiert habe, dass es die Möglichkeit geben könnte, nach Leverkusen zu wechseln. „Seit diesem Moment wollte ich nur zu Bayer 04“, erzählt Boniface, der sich bereits vor dem feststehenden Transfer auf Instagram-Fotos und -Videos im Werkself-Trikot zeigte.
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Boniface erregt Aufmerksamkeit in Europa League
Doch warum ist Boniface keiner anderen europäischen Spitzenmannschaft mit noch größeren finanziellen Mitteln aufgefallen? Schließlich sind Top-Mittelstürmer ein äußerst rares Gut. Nun, zunächst waren seine Statistiken gut, aber keineswegs überragend. In viereinhalb Spielzeiten für Saint-Gilloise und den norwegischen Klub FK Bodø/Glimt traf Boniface in keiner Saison zweistellig. In der nigerianischen Nationalmannschaft spielte er keine Rolle. Erst in der vergangenen Saison erregte er mit sechs Treffern und zwei Assists in der Europa League so richtig die Aufmerksamkeit der Scouts.
Der weitaus triftigere Grund, warum ihn einige Sportdirektoren direkt von ihren Wunschlisten gestrichen haben, ist seine Verletzungshistorie. Boniface hatte bisher nicht mit vielen Verletzungen zu kämpfen, aber er hat vor seinem 20. Geburtstag bereits zwei Kreuzbandrisse erlitten - in jedem Knie einen. Zwischen März 2019 und November 2021 fiel er mehr als 500 Tage aus, verpasste 69 Pflichtspiele bei Bodø/Glimt. Rolfes streitet nicht ab, dass dieser Fakt auch bei Bayer 04 diskutiert wurde: „Natürlich müssen wir unsere Hausaufgaben machen, das untersuchen, und einschätzen, wie wir das Risiko und die Situation sehen. Wir haben gesagt, wir gehen das ein, weil wir von ihm überzeugt sind und davon, dass die Knie gut sind.“
Beobachter der ersten Bundesliga-Spiele des 1,90-Meter-Manns können feststellen, dass die beiden schweren Verletzung allem Anschein nach nun wirklich keinen Einfluss auf Athletik und Dynamik haben. Boniface überzeugt auf ganzer Linie - er ist ein wichtiges Rädchen in einer neu zusammengestellten Elf, die schon früh in der Saison wie ein Uhrwerk funktioniert. „Er hat einen Super-Einstieg bei uns gehabt“, sagt Rolfes. „Es ist auch ein gutes Miteinander mit den anderen, die ihn gut einsetzen. Er hat die Präsenz als Neuner, um Bälle zu halten. Das ist für die Spieleröffnung wichtig. Die Innenverteidiger wissen, dass du jemanden hast, den du anspielen kannst. Das ist genauso wichtig wie seine Tore.“
Xabi Alonso mit Ritterschlag für Boniface
Die Mannschaftsdienlichkeit hebt auch sein Trainer hervor. „Er hilft mit seinem Spiel der Mannschaft“, sagt Alonso. Der Coach ist nicht dafür bekannt, wie etwa Pep Guardiola in Superlative zu verfallen, wenn er über seine Spieler spricht. Umso erstaunlicher ist Alonsos Boniface-Analyse: „Er will das Spiel genießen. Aber nicht nur für sich. Er ist nicht nur ein klassischer Stürmer, nicht nur ein Bomber - er ist komplett.“ Ein Ritterschlag.
Seine zwei Vorlagen unterstreichen die Uneigennützigkeit. Wie torhungrig er als Neuner dennoch ist, zeigt ein Blick in die Statistik. Union Berlin hat als Team in dieser Spielzeit bisher 28 Mal aufs Tor geschossen. Bei Bayer 04 hat es allein Boniface schon 21 Mal versucht. Er führt damit auch hier die Liga-Statistik an - und das überdeutlich. Auf Platz zwei liegt Harry Kane mit 13 Torschüssen.
Granit Xhaka hat in seinen sieben Jahren beim FC Arsenal einige Top-Stürmer hautnah erlebt. Was dem Führungsspieler besonders gefällt, sei die Demut, mit der der Angreifer sein Tagwerk verrichte. „Boni ist ein bodenständiger Junge“, sagt der 30-Jährige, „es ist nur gut für die Mannschaft, dass man sieht: Wir haben da vorne einen, der hungrig ist, der Erfolge feiern möchte. So wird man auch besser. Er macht die Mannschaft besser, er macht sich selbst besser. Wir sind froh, dass wir so einen wie ihn bei uns haben.“
Der gerechte Lohn: Boniface wurde erstmals für die nigerianische Nationalmannschaft berufen. Am Sonntagabend könnte er sein Debüt in der Afrika-Cup-Qualifikation gegen São Tomé und Príncipe geben. Fest steht: Vor einem Sturmduo mit seinem Namensvetter Victor Osimhen vom SSC Neapel werden sich auch größere Fußballnationen fürchten.