- Der „kicker“ feiert in diesen Tagen 100. Geburtstag.
- Unser Redakteur erinnert sich an sein erstes Sonderheft im Jahr 1977, sein erstes Abo, das er als Konfirmationsgeschenk bekommen hat und seine Zeit im Ausland, in der er sich die Print-Ausgabe nach Frankreich schicken ließ.
- Dass der „kicker“ in diesen Tagen 100 wird, ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte medialer Beharrlichkeit, liegt aber auch an einer einzigartigen Fähigkeit seiner Macher.
Köln – Die Oma hatte meinem Cousin und mir fünf Mark für die Kirmes in Uerdingen zugesteckt, das war im Sommer 1977. Doch als wir an dem großen Platz mit den Buden ankamen, mussten wir einen Kiosk passieren, an dem ich stehen blieb. Ein überwiegend blaues Heft stach ins Auge. Links außen war in roter und schwarzer Schrift auf gelben Grund zu lesen: „Alles über die Bundesliga 1977/78“. Und in gelb auf blau: „Sondernummer“. Ich sagte meinem Vater, dass ich dieses Heft unbedingt haben müsse. Er entgegnete: „Wenn du es bezahlst, kannst du es natürlich gerne kaufen. Aber dann hast du kaum noch Geld für die Kirmes.“
Ich bezahlte – und nach der Investition von 3,50 Mark öffnete sich im Alter von zehn Jahren eine neue Welt für mich. Die Kirmes interessierte mich nicht mehr. Ich verlor mich stattdessen im Sonderheft des „kicker-sportmagazins“, das damit glänzte, dass es alle Teams der Bundesliga und der Zweiten Liga farbig abbildete (die Poster der Erstligisten hingen kurz darauf in meinem Zimmer), dazu lieferte es einen statistischen Überbau mit für mich fantastischen Zahlen und Daten. Alles zusammen las sich wie eine Erleuchtung und all diese Dinge von 18 Bundesligisten zu entdecken, wurde nie langweilig.
Erstaunliche Erfolgsstory
Wenig später bekam ich mit, dass es ja auch und sogar noch jeweils montags und donnerstags einen wöchentlich erscheinenden „kicker“ gibt. Meine Großeltern machten mir daher das beste Konfirmationsgeschenk, das es für mich geben konnte: Ein Abo. Das habe ich heute noch, auch wenn ich inzwischen selbst derjenige bin, der es zahlt – Print und digital im E-Paper, die Zeiten ändern sich ja.
57 Jahre war der „kicker“ 1977, im besten Alter sozusagen. Dass er in diesen Tagen seinen 100. Geburtstag feiert, ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte medialer Beharrlichkeit, liegt aber an der überkommenden Fähigkeit seiner Macher, den Spiel- und Wissenstrieb des fußballinteressierten Kindes im Erwachsenen zu beleben und zu füttern. Und immer noch besticht das Magazin mit Zahlen, Daten und Fakten, seine Reporter, allesamt stolz darüber, das Produkt füllen zu dürfen, begreifen sich als Fachjournalisten eines Fachmagazins, das sie fach- und sachgerecht vollschreiben. Bestechend dabei ist die Nähe zum Objekt und der Informationsgewinn nach der Lektüre.
Instagram löst Nähe ab
Auch wenn sich das Thema „Nähe zu den Stars“ inzwischen gewandelt hat. Kinobesuche mit Protagonisten der Bundesliga, bunte Abende mit Spielern im Vereinsheim oder Spaziergänge mit Stars gibt es so nicht mehr. Denn längst haben die Vereine die Hoheit über ihre Angestellten übernommen, die unbedingt die Klubräson zu respektieren haben. Und wenn sie etwas von sich erzählen wollen, brauchen sie dafür nicht mehr den „kicker“ und seine legendären „Homestorys“, sondern liefern selbst den Input via Twitter, Instagram oder Facebook. Doch dem Produkt schadet das nicht, wie etwa Christoph Kramer erzählt, der Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach: „Obwohl der »kicker« gar nicht so nah dran ist, wie er tut, hat man das Gefühl, dass er ganz nah dran ist.“ Das ist ein großes Lob.
Das könnte Sie auch interessieren:
Das Fachmagazin „kicker“ ist gleichwohl auch berüchtigt – für seine bisweilen allzu ernste Herangehensweise ohne ironische Brechung, im Gegensatz etwa zum Fußballmagazin „11 Freunde“. Und für seine klischeehafte, Reimzwängen gehorchenden und in Namensspielchen verliebten Texte und Überschriften. Ein paar Beispiele: Da ist von „Schulz und Sühne“ die Rede, vom „Böller von Völler“, davon, dass sich der Torwart Reck vergebens reckte und der (Olaf) Thon die Musik macht.
Große Internet-Präsenz
Inzwischen hat sich die Arbeitsweise der „kicker“-Redakteure sehr gewandelt. 24/7 sei man nun im Einsatz, erzählte einmal ein Kollege, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Arbeiten für die Homepage ist damit gemeint, denn der „kicker“ hat eine große Internet-Präsenz und dort auch große Klick-Erfolge, vor allem mit seinem Liveticker.
In einer Zeit, als es das alles noch nicht gab, außerdem auch nicht die Möglichkeit, eine Zeitung oder Zeitschrift via E-Paper überall auf der Welt abrufen und lesen zu können, war man im Ausland auf das Papierprodukt angewiesen – und die damit verbundene Kiosksuche. Während meines Studienjahres in Aix-en-Provence 1994/1995 fügte es sich, dass ich meinen (Bonner) Mitbewohner mit dem in den Süden Frankreichs per Post gelieferten „kicker“ zweimal die Woche vor Neid erblassen lassen konnte – während sich meine Großeltern über die plötzlich so viel höheren Abokosten wunderten. Damals gab es noch Starschnitte. In unserer Wohnung hing also bald lebensgroß Bernd Schuster und ließ auch die französischen Gäste staunen. Im März 1995 hatte das alles leider ein Ende, da begannen die Briefträger zu streiken. Und wenn in Frankreich jemand streikt, dann tut er es lange. Bis zu unserer Abreise im Juli kam die Zeitschrift nur noch unregelmäßig. Das war ein herber Rückschlag.
Eine Rakete gezündet
Der „kicker“ hat 1991 noch mal eine Rakete gezündet, als er das Managerspiel erfand. Es geht darum, dass sich selbst ernannte Kenner der Bundesliga-Szene eine Mannschaft zusammenkaufen können, die Punkte sammelt, die auf Basis der Noten des Magazins erstellt werden. Hinzu kommen Sonderwertungen für den Einzug in die „Elf des Tages“, für Tore und Vorlagen, sowie Minuspunkte für die Gegentore der Abwehrspieler. Es lässt sich durchaus sagen, dass dieses Spiel um den Anerkennungs-Thron – bei uns in einer Achtergruppe ausgefochten – die Leidenschaft am Bundesliga-Fußball noch einmal auf eine neue Ebene gehievt und eine Nähe zu den zumeist unbekannten „kicker“-Redakteuren hergestellt hat, deren Notengebung wir schon des öfteren bis in alle Ewigkeit verdammt haben. Oder gelobt. Das Erscheinen des Montag-„kickers“ hat somit etwas von einer Zeugnisübergabe.
Kurzum: Bitte weiter so, liebe Leute vom „kicker“. Aber Alphonso Davies könntet ihr durchaus ein bisschen besser bewerten. Und Jadon Sancho auch.