- Christoph Kramer, geboren am 19. Februar 1991 in Solingen, begann bei BV Gräfrath und kam 1999 zu Bayer 04 Leverkusen. 2011 bis 2013 Ausleihe an den VfL Bochum, 2013 bis 2015 an Borussia M’gladbach.
- 2015/16 kehrte er zu Bayer zurück. 2016 von Gladbach fest verpflichtet. Kramer bestritt zwölf Länderspiele, stand 2014 im WM-Finale und wurde Weltmeister.
- Im Interview spricht er unter anderem über Geisterspiele und den 1. FC Köln.
Herr Kramer, Sie standen am 11. März beim ersten Geisterspiel der Bundesliga zwischen Gladbach und dem FC auf dem Platz. Vier Tage zuvor hatten Sie mit Borussia noch gegen Dortmund vor 54.000 Fans gespielt. Wie haben Sie das damals empfunden?Surreal. Damals konnte niemand die Corona-Lage richtig einschätzen. Ich hatte mir vorher nie vorstellen können, was passieren muss, dass ein Bundesliga-Spiel ganz ohne Fans ausgetragen werden muss. Und ich hatte gehofft, dass der Spuk schon bald wieder vorbei sein würde. Über ein halbes Jahr später sind wir alle schlauer. Das war damals der Anfang des Weges in eine ganz komische Zeit.
Den Derbysieg feierten Sie mit den Fans, die vor dem Stadion an der Nordkurve auf das Team gewartet hatten.
Das war sehr emotional. Wenn ich heute daran zurückdenke, wirkte das fast wie ein Abschied. Bis dato war das ja der letzte intensive Kontakt zur Nordkurve. Aber immerhin bestritten wir zuletzt zwei Spiele vor ein paar tausend Fans. Ein Anfang. Ein Lichtblick, der richtig gut tat.
Samstag in Köln werden wenige oder keine Fans erwartet. Kann man von einem geschrumpften Derby sprechen?
Was das Ambiente angeht – natürlich. Rund um das Derby gibt es normalerweise so viele Emotionen, auch schon in den Tagen zuvor, die sich dann auch auf den Platz übertragen. Dieses Spiel lebt ganz besonders von der Atmosphäre, die Fans sind dabei das Salz in der Suppe. Diese Stimmung fehlt natürlich, die Partie hat dieses Mal nicht diesen krassen Derby-Charakter. Dennoch wissen wir Spieler um die Bedeutung, denn es geht für beide Teams um ganz wichtige Punkte. Was mich gewundert hat, ist das hohe Niveau der Geisterspiele bisher. Oft war das besser als zuvor in den Spielen mit Fans.
Warum ist das so?
Das ist schwierig zu beantworten. Faktoren, die ansonsten das Spiel beeinflussen wie die Stimmung und das Stadion, spielen derzeit nicht die ganz große Rolle. Viele Partien laufen nach dem gleichen Muster ab. Die Abläufe sind klarer, die Verständigung auf dem Platz besser. Dann gibt es natürlich auch Spieler, die vor leeren Rängen weniger Druck verspüren, andere wiederum brauchen die Fans, um sich noch mal mehr zu pushen. Dennoch hoffen wir natürlich alle, dass Geisterspiele oder Spiele vor wenigen Fans nicht zum Dauerzustand werden.
Wie beurteilen Sie den Umgang der Bundesliga mit der Pandemie?
Man muss da der DFL ein Kompliment machen. Sie tut weiter alles dafür, dass wir spielen können und sich die Mannschaften und Fans sicher fühlen. Denn in erster Linie geht es um die Gesundheit aller. Mit ihren Konzepten und ihrer Kommunikation ist die DFL ein Vorreiter und Vorbild für andere Ligen und Sportarten.
Wie gehen Sie selbst mit der Krise um? Im Mai sollen Sie selbst positiv auf das Coronavirus getestet worden sein.
Ich nehme das Virus ernst, halte mich an die Regeln, aber ich bin auch nicht ängstlich. Wir Fußballer leben seit Wochen zudem in einer Blase. Ich selbst hatte im Mai erst einen positiven, dann drei negative Tests und auch keine Antikörper gebildet. Erst war ich verunsichert, aber nicht geschockt, da sich keine Symptome einstellten. Zu der Zeit bin ich auch kaum jemandem begegnet, da ich verletzt war.
Ihre Mannschaft war eine der ersten, deren Spieler in der Krise auf Gehalt verzichteten.
Wir müssen uns dafür als Mannschaft nicht rühmen, denn das sollte in solch einer Krise eine Selbstverständlichkeit und keine große Sache sein. Wir hatten das einstimmig so beschlossen.
Irgendwann wird die Krise beendet sein. Werden dann die Klubs und Profis eine gewisse neue Sensibilität entwickelt haben, oder wird wieder alles so sein wie vorher?
Ich rechne nicht mit einem großen Umdenken, nicht im Fußball, aber auch nicht in der Gesellschaft. Ich habe das schon mal gesagt: Ich fürchte, das wird wie nach einem vierwöchigen Urlaub auf Bali mit Büchern und Yoga. Dort genießt du die Ruhe und nimmst dir vor, davon etwas in den Alltag rüber zu retten. Doch dann bist du wieder zurück im Büro – und alles ist wieder wie vor dem Urlaub. Das ist schade, aber eben auch menschlich.
Die Krise sorgt dafür, dass der Zeitplan immer straffer wird. Erst recht für einen Klub wie Borussia, der auch in der Champions League dabei ist.
Ja, es wird vielleicht ungewohnt sein, dass wir zum Beispiel am 2. Januar auf dem Platz stehen. Aber wir sollten uns insgesamt nicht so anstellen. Wir haben alles investiert, um in der Champions League dabei zu sein. Wir freuen uns sehr auf den Wettbewerb, der für Borussia etwas ganz Besonderes ist. Aber wir werden nicht die Bundesliga vernachlässigen. Und erst recht nicht ein Derby.
In diesem steht welches Team mehr unter Druck? Borussia hat erst einen Punkt, der FC keinen.
Wir sollten nicht schon am dritten Spieltag von großem Druck reden. In der Liga gab es schon zwei Trainerentlassungen, das ist schon extrem. Mir geht das heute alles zu schnell. Natürlich steht viel auf dem Spiel, aber mir herrscht da ein zu negativer Geist. Der Spaß und die Freude bleiben zu oft auf der Strecke. Darüber sollten wir zumindest mal nachdenken.
Der 1. FC Köln hat aber saisonübergreifend zwölf Spiele nicht mehr gewonnen. Wie schätzen Sie ihn ein?
Stärker, als es die Resultate widerspiegeln. Gegen Hoffenheim hätten die Kölner auch gewinnen können, in Bielefeld verlieren sie durch ein Eiertor. Ins Derby werden sie alles reinwerfen. Wir werden sie darum auf keinen Fall unterschätzen.
Bekommen Sie die Unruhe im Umfeld des Klubs mit?
Ja, ich habe einiges gelesen, ich kann mir da aber kein Urteil bilden. Aber dass bei Klubs wie dem FC, dem HSV oder Schalke oft große Unruhe herrscht, das ist ja nichts Neues, das ist fast ein Klassiker.
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Bei Borussia schätzen Sie die Ruhe?
So ruhig ist es hier ja auch nicht, denn Borussia ist ein großer Verein mit enormer Strahlkraft. Aber es stimmt schon, dass man hier eher in Ruhe etwas aufbauen kann. Ich schätze die Struktur des Klubs, seine Kontinuität und die ehrliche Art, mit der man hier miteinander umgeht.
Sie sind in Solingen geboren, spielten auch für Leverkusen und Düsseldorf. Gab es nie eine Anfrage vom FC?
Doch, in der Jugend, aber Leverkusen war für mich damals näher als das Geißbockheim. Ich habe im Rheinland für drei Klubs gespielt – da muss ich jetzt nicht auch noch in Köln vorstellig werden. Ich habe meine fußballerische Heimat gefunden. Aber es ist auch nicht so, dass ich eine Abneigung gegen den FC habe. Im Gegenteil: Der FC ist ein toller Klub, hat ein tolles Stadion mit tollen Fans. Ich möchte auch nicht, dass Köln absteigt. Ich mag diese Derbys, diese Rivalität.
Werden Sie eigentlich noch oft auf das WM-Finale 2014 und Ihren Knockout angesprochen?
Der Witz mit meinen Gedächtnislücken ist nach sechseinhalb Jahren ausgelutscht. Ich habe die Nationalmannschaft nicht mehr so auf dem Schirm, mein letztes Länderspiel war 2016.
Sie haben stets in einem Radius von 60 Kilometern zu Ihrer Heimatstadt gespielt. Reizt Sie noch ein Abenteuer?
Mein Vertrag bei Borussia läuft noch bis 2023. Ich bin nicht der Typ, der unbedingt eine neue Liga entdecken muss, um glücklich zu sein. Ich bin ein Kind und Fan der Bundesliga und weiß es zu schätzen, dass ich seit Jahren dort spielen darf.