Köln – Tausche Berliner Heldensaga gegen Wolfsburger Tristesse und Abstiegskampf: Der Wechsel des Stürmers Max Kruse vom 1. FC Union zum VfL ist die größte Überraschung des Winter-Transferfensters der Fußball-Bundesliga.
Kruse ist kein von Social-Media-Agenturen und Beratern glattgebügelter Profi, er gehört in seiner Branche damit einer Minderheit an. Und selbst aus dieser sticht Kruse heraus: Der frühere Nationalspieler pokert, raucht Wasserpfeife, vergaß einst einen Geldkoffer im Taxi, produzierte Nackt-Bilder von sich, machte bei Olympia einen Heiratsantrag vor laufender Kamera, ist latent übergewichtig und gewann kürzlich die ProSieben-Show „Schlag den Star“. Doch Kruse ist nicht nur beim Boulevard beliebt – dank seiner herausragenden Qualitäten am Ball besetzt er vereinsübergreifend bei vielen Fans eine Kult-Nische.
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Oder besetzte er sie nur bis Sonntagabend, bis sein Abschied von den tapferen Köpenickern hin zum schwerreichen wie konfus geleiteten VfL bekannt wurde?
Es ist leicht, ausgiebig über den nicht vorhandenen Charme der VW-Stadt und Kruses Wegwerfen der Chance, mit Union Großes in der Bundesliga und dem DFB-Pokal zu erreichen, herzuziehen. Doch immerhin macht der mittlerweile 33-Jährige, im Anschluss an ein schwer zu verdauendes „unsere gemeinsame Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben“ keinen Hehl aus seinen Beweggründen für den Wechsel. Das Wolfsburger Angebot sei „langfristig und hoch dotiert“, heißt es in der offiziellen Mitteilung.
VfL Wolfsburg will Scheitern in Grenzen halten
Auch die beiden anderen Parteien sind zufrieden: Berlin erhält rund fünf Millionen Euro Ablöse für einen Spieler mit noch sechsmonatiger Vertragslaufzeit und ist damit ausreichend entschädigt. Und die Wolfsburger Verantwortlichen können den Versuch unternehmen, ihr Scheitern auf fast allen Ebenen noch irgendwie in Grenzen zu halten. Im Sommer hatten Geschäftsführer Jörg Schmadtke und Sportdirektor Marcel Schäfer etwa 50 Millionen Euro in den Kader gesteckt und Mark van Bommel als Trainer verpflichtet. Kaum etwas klappte. Und mit dem Wechsel an der Seitenlinie hin zu Florian Kohfeldt wurde alles nur noch schlimmer.
Nun hat Wolfsburg Führungsspieler wie Weghorst und Guilavogui abgegeben, seinen ausgelobten Jugend-Kurs über Bord geworfen und Kruse als Retter in der Not verpflichtet – alles Indizien für ein Panik-Manöver. Doch es könnte glücken, denn Kruse hat schon viel gesehen und erlebt. Nicht nur in Köpenick oder im Taxi, sondern auch als Zeitzeuge bei Werder Bremen: als Kohfeldt ein guter Trainer war und mit Kruse Erfolge feierte.
Der Stürmer hat sich also für viel Geld und die Aussicht auf eine deutlich kleinere Heldensaga beim VfL entschieden. Ein legitimer Weg, selbst wenn er Kruse seine Kult-Nische kosten sollte.