Talkabend zum Beginn der Heim-EM im Handball mit Ikone Heiner Brand, dem Leverkusener Idol Renate Wolf und Journalist Erik Eggers.
„So ein Turnier kann etwas auslösen“Heiner Brand und Handball-Größen blicken gespannt auf Start dem EM
Heiner Brand, der deutsche Handball-Heroe aus Gummersbach, war als Spieler und Trainer Weltmeister. Er hat in seinem Sport alles erlebt und einen scharfen, abgeklärten Blick auf die Dinge. Dass die Europameisterschaft der Handballer, die ab dem 10. Januar zum ersten Mal in Deutschland stattfindet, mit einem Spiel zwischen Deutschland und der Schweiz vor der Weltrekordkulisse von 53.000 Zuschauern im Düsseldorfer Stadion eröffnet wird, gefällt ihm zwar. Er weiß es aber auch kritisch einzuordnen, und zwar so:
„Es ist ein Event, ein einmaliges Ereignis. Es entspricht dem Zeitgeist. Die Leute wollen feiern, einen Weltrekord sehen.“ Grundsätzlich müsse der Zuschauer beim Handball aber nah am Feld sitzen, um die Dynamik des schnellen Hallensports erleben zu können. Und: „Ich sehe die Zukunft in normalen Arenen, die sind groß genug.“ Brand meinte zum Beispiel die Lanxess-Arena mit ihren fast 20.000 Zuschauern, in der insgesamt 15 EM-Spiele stattfinden werden, darunter beide Halbfinals und das Endspiel.
Handball-EM 2024: Handball-Größen sprechen über Vorfreude in Köln
Neben Renate Wolf (66), Leverkusener Handball-Rekordnationalspielerin und Trainerin, und dem Journalisten und Autoren Erik Eggers (55) war Brand (71) am Dienstagabend zu Gast im Handball-Talk im Sport & Olympia Museum; moderiert von „Stadt-Anzeiger“-Redakteur Stephan Klemm, der mit den Dreien auf die Geschichte des Handballs in Deutschland blickte, seine Highlights, aber auch seine dunkleren Seiten.
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Ein historischer Meilenstein war die Weltmeisterschaft von 1978, der sensationelle Titelgewinn des BRD-Teams, das 20:19 im Endspiel gegen den großen Favoriten Sowjetunion. Der Erfolg sei vor allem Trainer Vlado Stenzel zu verdanken gewesen, meint Brand, der damals in Kopenhagen dabei war, Innenblock war seine Position. „Vlado war der erste richtige Hallen-Handball-Trainer in Deutschland. Wir haben durch sein hartes Training aufgeholt gegenüber dem damals überlegenen Ostblock, wir haben körperliche Defizite aufgeholt. Der WM-Sieg war trotzdem eine riesige Überraschung“, sagte Brand.
In jener Zeit war Renate Wolf, die ursprünglich aus Hamm stammt, schon in Leverkusen als Kreisläuferin aktiv. Es war einer der wenigen Orte in Deutschland, an dem der Frauen-Handball gefördert wurde. In der Bundesliga bekamen die Leverkusener Spielerinnen in den 80er Jahren immerhin 60 DM pro gewonnenem Punkt. Das war damals einzigartig im Frauen-Handball, der noch viel mehr als heute im Schatten der Männersparte stand. „Man wollte lieber Anmut sehen als Frauen, die sich kämpferisch betätigen“, sagte Wolf.
Obwohl sie landesweit immer zu den Besten der Besten gehörte, wurde sie in der Nationalmannschaft auf üble Art diskriminiert. Anfang der 80er Jahre habe sie erklärt, in einer lesbischen Beziehung zu leben, berichtete sie: „Ich war damals die Einzige, die dazu gestanden hat.“ Davon hörte der Bundestrainer der Frauen – und reagierte auf äußerst unschöne Art. „Er hat mich gefragt, ob es stimmt.“ Sie habe mit „Ja“ geantwortet und sei „ab diesem Zeitpunkt ausgegrenzt“ worden. „Ich wurde auf Reisen im Hotel immer auf einer anderen Etage untergebracht.“ Denn man habe befürchtet, lesbisch zu sein, „sei ansteckend“. Wolf: „Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind für mich entscheidend. Ich habe lange gebraucht, um diese Erfahrungen zu verarbeiten.“
Die Zeiten haben sich in dieser Hinsicht zum Glück geändert. Für ein solches Benehmen würde jeder Trainer heute hochkant aus dem Job fliegen. Dass der Frauen-Handball gleichzeitig aber immer noch ein Dasein als Randsport fristet, führt Wolf unter anderem darauf zurück, dass er keine mediale Präsenz habe. „Es geht heute nur um Vermarktung“, meinte sie. „Ich vermisse Fernsehzeiten bei den Öffentlich-Rechtlichen, solange da nichts passiert, bewegt es sich nur langsam.“ Eggers warf ein, dass sich der Frauensport durchaus vermarkten lasse: „In Norwegen sind die Handballerinnen genauso populär wie die Männer, in Ungarn sogar populärer als die Männer. Ich glaube, dass mehr machbar ist.“ Es scheitere hierzulande aber wohl am Geld: „Der Deutsche Handball-Verband ist nicht reich.“
Die EM-Spiele der Handball-Männer sind nun bei ARD und ZDF zu sehen. Welche Werbe-Wirkung solche Übertragungen bei gleichzeitigem sportlichen Erfolg haben können, zeigte sich 2007, als die deutsche Nationalmannschaft mit Brand, der von 1997 bis 2011 Bundestrainer war, in Köln ihr Wintermärchen erlebte und Weltmeister wurde. Durch ein 29:24 gegen Polen vor 19.000 Besuchern in der restlos ausverkaufen Lanxess-Arena.
Handball: Unglaubliche TV-Quote 2007
In der ARD kam das Endspiel auf eine Quote von 16,17 Millionen Zuschauer, eine Zahl, die man sonst nur aus dem Fußball kennt. „Die Entwicklung des Turniers war wie handgemacht“, meinte Brand. „ Es hat schlecht angefangen und wurde immer besser. Das Quäntchen Glück hatten wir auch, es war schon ein außergewöhnliches Ereignis. So ein Turnier kann etwas auslösen.“
Wolf erinnerte sich ihrerseits daran, dass die Euphorie so groß gewesen sei, dass die „Kids auf der Straße Handball spielten“. Die Vereine hätten damals so viele neue Anmeldungen gehabt, fügte Brand hinzu, dass die Kapazitäten dafür nicht ausreichten, da es nicht genügend Hallen für so viele Trainingsgruppen gibt.
Dem aktuellen Bundestrainer, dem Isländer Alfred Gislason (64), traut der Gummersbacher zu, dass er mit der Mannschaft 2024 sein Ziel, die Halbfinalteilnahme, erreichen kann – Brand: „Alfred hat Persönlichkeit und Erfahrung, um die Mannschaft zu führen. Sie braucht jemanden, der Ruhe ausstrahlen kann wie er.“ Und wenn man einmal im Halbfinale sei, dann wolle man auch mehr. Brand weiter: „Mit Unterstützung vom Publikum und Teamgeist ist vieles möglich.“