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„Das ist einmalig in meinem Handballer-Leben“Kreisläufer Jannik Kohlbacher freut sich auf die Heim-EM

Lesezeit 7 Minuten
Jannik Kohlbacher im Spiel gegen Ägypten

Jannik Kohlbacher im Spiel gegen Ägypten

Kreisläufer Jannik Kohlbacher im Interview mit dem KStA über die Heim-EM, das Weltrekordspiel und einen riesigen Wels.

Herr Kohlbacher, die Heim-EM beginnt für Sie am Mittwoch mit dem Spiel gegen die Schweiz. Zuletzt hatten Sie noch zwei Testspiele gegen Portugal, die Sie beide gewannen. Wo steht die Mannschaft nun am Vorabend des Turniers?

Jannik Kohlbacher Wir haben das gegen die Portugiesen so gelöst, wie wir uns das vorgestellt haben. Sie waren ein richtig guter Gradmesser, denn es wurde vor allem im ersten Spiel noch mal richtig knapp. Aber wir haben gespürt, dass wir uns steigern müssen im Spiel, und dass das gut geklappt hat, stimmt mich positiv. Wir sind also bereit. Wozu es reicht, ist offen. Ich setze aber auf eine Welle der Euphorie, denn die ist in der Lage, uns weit zu tragen.

Die Euphorie dürfte schon am Mittwoch, in Ihrem ersten Spiel bei dieser EM gegen die Schweiz aufkommen. Es werden 54 000 Zuschauer in der Düsseldorfer Fußballarena erwartet, das ist Weltrekord. Was löst das in Ihnen aus?

Es ist für einen Handballer sehr schwer, sich das vorzustellen. Wir kennen Zahlen von 20.000 Zuschauern etwa in Köln, das ist für uns normalerweise das Höchste der Gefühle. Mehr als doppelte so viele Zuschauer heißt auch, mehr als doppelt so viel Stimmung. Das ist wirklich cool. Und wahrscheinlich auch einmalig in meinem Handballer-Leben.

Schwere Auftaktpartie gegen die Schweiz

Die Schweiz verfügt über starke Einzelspieler, die Partie gegen diese Auswahl hat eine enorme Bedeutung für das deutsche Team, weil aus Ihrer Vierervorrundengruppe, zu der noch Nord-Mazedonien und Frankreich gehören, nur zwei Mannschaften weiterkommen. Wie gehen Sie es an?

Das wird ein schweres Spiel. Die Schweizer haben viele junge, talentierte Spieler dabei. Sie stellen mit Manuel Zehnder aus Eisenach den aktuell besten Torschützen der Liga, Andy Schmid hat jahrelang herausragend in der Bundesliga gespielt. Wir kennen die Schweizer, wir fürchten uns aber weder vor ihnen noch vor einer anderen Mannschaft und werden uns also entsprechend gegen sie wehren.

Von DHB-Seite war zu hören, dass das Erreichen des Halbfinales das Traumziel für den Verband wäre. Was ist Ihrer Meinung nach möglich für ihr Team?

Unser Torwart Andy Wolf sagt immer, dass er als Profisportler nicht zu einem Turnier fährt, um nur dabei zu sein. Da schließe ich mich auf jeden Fall an. Aber ich denke nur kurzfristig, von Spiel zu Spiel. Und wenn du jedes Spiel gewinnen möchtest, dann ist auch das Ziel am Ende klar. Aber: An Frankreich und auch an Dänemark führt in der Frage nach den Titelkandidaten kein Weg dran vorbei.

Die deutsche Mannschaft hat mit Alfred Gislason einen sehr erfolgreichen und erfahrenen Trainer. Wie nehmen Sie ihn wahr?

Alfred ist natürlich schon wegen der Erfolge, die er mit Magdeburg oder dem THW Kiel feiern konnte, eine absolute Ikone. Du merkst in jeder Trainingseinheit, dass er über ein unglaubliches Wissen verfügt. An der Seitenlinie ist er ein isländischer Vulkan. Aber er agiert taktisch besonnen. Wenn wir seine Vorstellungen allerdings nicht ungesetzt bekommen, kann es in dem Vulkan auch mal brodeln. Alfred verfügt aber über eine sehr gute Mischung, er hat seine Jungs im Griff und hinter sich.

Europameister sind Sie ja schon, das gelang 2016. Damals waren Sie 20 und haben durch Ihre rustikale Arbeit am Kreis auf sich aufmerksam gemacht. Wie war das damals?

2016 waren wir ein Außenseiter. Da hat sich die Mannschaft von Spiel zu Spiel in eine Euphorie gesteigert. Wir haben damals mit einer jungen, begeisternden Mannschaft eine Menge Leute abgeholt, das haben wir danach auch in der Liga gespürt. Das hat sich fortgesetzt bis 2019, das war ja für uns eine Heim-WM, geteilt mit Dänemark. Da haben wir es bis ins Halbfinale geschafft. Es war faszinierend zu spüren, was damals für eine Stimmung in Köln herrschte. Das zu erleben, das war Gänsehaut pur.

Der härteste Job des Handballs

Als Kreisläufer sind Sie in einer Zone aktiv, in der Sie immer besonders viel einstecken müssen. War Ihnen dennoch von Anfang klar, dass das Ihre Position sein wird?

Das hat sich so entwickelt. In der Jugend habe ich links im Rückraum oder Rückraum Mitte gespielt. Ich bin dann später über die Auswahlmannschaft nach vorne in die Rolle des Kreisläufers gewechselt.

Ist Kreisläufer der härteste Job für einen Handballer?

Ich finde es ganz angenehm. Ich habe nicht bei dem heutigen Spiel 20, 25, 30 Mal Eins-gegen-Eins-Situationen. Ich muss auch nicht mit drei Schritten Anlauf gegen die Abwehr springen. Und wenn man sieht, wer da zum Teil im Mittelpunkt steht und einem da ständig eins auf die Brust haut, dann denke ich mir: Ist gar nicht so schlecht am Kreis. Da gibt es nur kurze Impulse. Natürlich ist das auch anstrengend und hart, aber das gefällt mir ein bisschen besser.

Kreisläufer sind in der Regel ganz besonders kräftig. Zumindest trifft das auf Sie idealtypisch zu. War das auch ein Grund für Sie und Ihre Trainer, diese Position auszuwählen?

Schon. Die 100-Kilo-Marke habe ich schon relativ früh geknackt. Mit 16 war das. Mit 1,93 Meter bist du auch nicht der prädestinierte Rückraumschütze. Insofern: Ja, ich hatte schon einen körperlichen Vorteil.

Sie haben sich durch Bankdrücken auch entsprechende Muskelmasse für diesen Job aufgebaut...

... ja, das war damals mit Andi Wolf, wir waren zusammen in der Nationalmannschaft und in Wetzlar. Da gab es kleine Machtspielchen und Wettkämpfe zwischen uns. Er macht ja relativ gerne Krafttraining und demnach musste ich da notgedrungen damals mit einsteigen. Bei mir ging das sukzessive und sehr, sehr schnell nach oben, was die Kraft angeht. Ich hatte den Andy relativ schnell überholt, so dass er sich einmal kleine Frotzeleien anhören musste.

Hat Andy Wolf inzwischen aufgeholt?

Er würde sich jetzt wahrscheinlich darauf berufen, dass er 110 Kilo zehn Mal in Folge drücken kann und ich nur acht Mal. Dafür ist bei ihm bei 140 Kilo Schluss. Bei mir liegt die Grenze bei 160 Kilo. Er sagt daraufhin gerne, er sei im Kraftausdauerbereich besser. Das möchte ich ihm lassen.

Welchen Stellenwert hat der Handball Ihrer Meinung nach in Deutschland?

Ich sehe uns auf dem zweiten Platz der Teamsportarten hinter dem Fußball in Deutschland. Man muss auch mit einbeziehen, dass wir im Handball die stärkste Liga der Welt in Deutschland haben. In der Bundesliga ist das Level hoch, es kann dort jeder jeden schlagen. Jetzt kommt die Heim-EM dazu, 2027 sogar noch eine Heim-WM, das sind Faktoren, die bestätigen können, dass der Handball die Nummer zwei im Land ist. Gerade beim Handball und für den Erfolg der gastgebenden Mannschaft spielt das Publikum aber eine ganz große Rolle. In dieser Hinsicht wird die deutsche Mannschaft bei dieser EM tatsächlich sehr verwöhnt.

Über das Weltrekordspiel in Düsseldorf haben wir ja schon gesprochen. Bei einer Qualifikation für die Zwischenrunde stehen dann Spiele in Köln an. Dort wurden Sie im Frühjahr Pokalsieger, dort haben Sie auch schon 2019 bei der WM mit der Nationalmannschaft gespielt. Was erwartet Sie in Köln?

Beim Pokalevent kam auch der Begriff von Köln als Handball-Mekka auf. Das kann man stehen lassen aus meiner Sicht. Die Stimmung wird gigantisch sein, davon gehe ich aus. Ich kenne Köln auch privat, die Stadt kann einiges.

Abseits der Platte sind Sie als Angler aktiv. Wann finden Sie Zeit für dieses Hobby?

In den Wintermonaten ist es schwer. Hin und wieder gehe ich aber dennoch mal abends mit einem Freund am Rhein und Neckar angeln. Ich spiele ja bei den Rhein-Neckar Löwen mit den Zentren Mannheim und Heidelberg. Wir angeln dann zwei, drei Stunden und lassen den Tag entspannt ausklingen. Mich interessiert das aktive Angeln auf Zander, Wels und Bar. Denen versuchen wir nachzustellen und laufen dafür einige Plätze ab. Damit machst du am Abend auch mal drei, vier Kilometer, das ist ein gemütliches Auslaufen.

Sie haben gerade in Bezug auf den Wels schon ganz erstaunliche Fänge an Land gezogen ...

... das stimmt. Tatsächlich habe ich in Spanien in einem Gewässerkomplex im Sommer einen Wels von 2,59 Metern gefangen. Der wog so 120 Kilo, also in etwa meine Gewichtsklasse. Ich habe großen Respekt vor einem solchen, bestimmt 40 Jahre alten Lebewesen. Und lasse es wieder frei. Da habe ich große Ehrfurcht.