Alex Feuerherdt ist nicht nur TV-Experte, sondern auch Schiedsrichter-Lehrwart im Kreis Köln. Er spricht über die Situation in der Stadt.
„Das empfinde ich als dramatisch“„Collinas Erben“-Experte Feuerherdt über die Schiedsrichter-Situation in Köln
Herr Feuerherdt, neben Ihrer TV-Experten-Tätigkeit bei Sky und ihres „Collinas Erben“-Podcasts sind Sie Schiedsrichter-Lehrwart im Kreis Köln und damit oberster Aus- und Fortbilder. Wie bewerten Sie die Situation der Schiedsrichter in Köln?
Grundsätzlich leiden wir in Köln unter einem ähnlichen Schiedsrichter-Rückgang, wie es ihn im gesamten Land gibt. Vor allem während der Corona-Pandemie haben sehr viele aufgehört. Wir sind bundesweit derzeit bei rund 50.000 Schiedsrichtern, 2008 waren es noch etwa 80.000. Das ist ein Riesen-Schwund. Es hören seit Jahren mehr Schiedsrichter auf, als wir neue gewinnen. Und Unparteiische zu gewinnen ist das eine, Unparteiische zu halten noch einmal etwas anderes. Im Januar hatten wir in der Bay-Arena den letzten Neulings-Lehrgang. Eine wundervolle viertägige Veranstaltung an einem tollen Ort, 66 potenzielle Schiedsrichter sind gekommen, 62 haben die Prüfung bestanden. Ich kann mich nicht daran erinnern, in meiner Kölner Zeit jemals so viele Neulinge auf einen Schlag gehabt zu haben. Keine Ahnung, woran genau das lag. Aber das Interesse ist auf jeden Fall da.
Sind diese Neulinge nur junge Menschen?
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Nein, das ist gemischt. Ungefähr 80 Prozent sind minderjährig. Der Rest ist älter. Aber auch ein 52-Jähriger kann vorbeikommen und sagen: Ich möchte Schiri werden.
Und der 52-Jährige fängt dann in der Kreisliga D an?
Genau, Erwachsene gehen dann zuerst in die Kreisliga D oder C. Wenn Sie zum Beispiel Lust hätten, Schiedsrichter zu werden, würden wir Sie in der Kreisliga einsetzen. Wenn Sie dann merken, dass es Ihnen Spaß macht, und Sie vielleicht Lust auf Bezirksliga hätten, dann würden wir Sie bei Ihren Spielen in der Kreisliga beobachten und dann entscheiden, ob wir Ihnen die Bezirksliga zutrauen. Für minderjährige Schiedsrichter gilt, dass sie normalerweise nur im Junioren-Bereich pfeifen und dort meist niemanden, der älter ist als sie selbst.
Wie viele von diesen 62 Schiedsrichter-Neulingen sind Ihrer Erfahrung nach im nächsten Jahr noch mit dabei?
Die Erfahrung zeigt: Es hören viele schon innerhalb des ersten Jahres wieder auf. Manche wegen des fehlenden Respekts vonseiten der Vereine, manche aufgrund von Überforderung, andere merken, dass sie es zeitlich nicht hinbekommen oder dass das Amt doch nichts für sie ist – Stichwort: Praxisschock.
Wo sehen Sie die Gründe für den Schiedsrichter-Schwund? Ist es die oft zitierte Gewalt auf den Plätzen?
Auch, aber nicht nur. Im letzten Jahr gab es eine große Untersuchung, die sich mit den Ursachen beschäftigt hat. Diese Angst vor Gewalt war demnach nicht das größte Problem. Vielmehr ging es allgemein um die fehlende Wertschätzung. Zunächst seitens der Vereine. Konkret heißt das: Es ist niemand da, der mich am Platz empfängt, mir die Schiri-Kabine zeigt, mir vielleicht mal eine Flasche Wasser anbietet. Vielleicht ist auch noch die Umkleidekabine verdreckt. Wenn es dann noch Stress auf dem Platz gibt, fühle ich mich immer mehr wie das fünfte Rad am Wagen. Aber auch mit den Verbänden ist es nicht immer leicht, wenn sich zu wenig gekümmert wird und vielleicht keine Aufstiegsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Dazu muss man aber wissen: Wir sind alle Ehrenamtler, unsere etwa 400 Schiris in Köln gleichermaßen gut zu betreuen, ist nicht einfach und eine zeitintensive Aufgabe. Gerade bei Nachwuchsschiedsrichtern, die man in ihren ersten Saisons noch viel mehr begleiten und unterstützen müsste.
Gibt es bei der Zahl der Schiedsrichter in Köln einen Kipppunkt, bei dessen Unterschreitung es zu großflächigen Spielabsagen kommen würde?
Das hängt nicht nur von der Zahl der Schiedsrichter ab, sondern auch von der Anzahl der Spiele, die jeder Schiedsrichter leiten möchte. In der vergangenen Saison hatten wir einen Kollegen, der über 250 Spiele geleitet hat. Andere dagegen wollen vielleicht nur ein- oder zweimal im Monat pfeifen. Deshalb kann ich keine konkrete Zahl nennen. Aber es ist schon jetzt so, dass wir einige Kreisliga-D-Spiele nicht mehr mit neutralen Schiedsrichtern besetzen können. Das empfinde ich persönlich als dramatisch.
Da pfeift dann ein Betreuer von einem der beiden Teams?
Ja, genau. Wenn das im untersten und jüngsten Jugendbereich passiert, ist es noch nicht so problematisch. Aber bei den Senioren? Das tut richtig weh.
Wie kann diesem Trend entgegengesteuert werden?
Mit mehr Wertschätzung. Es wäre vor allem wichtig, wenn jeder Verein einen Schiedsrichterbeauftragten hätte, einen Ansprechpartner für uns am Spieltag. Das ist vereinsintern aber oft kein angenehmer und angesehener Job, das weiß ich. Und manchmal sind es die kleinen Dinge. Ein Beispiel: Mein Kollege Tom Bauer, ein Drittliga-Schiedsrichter, ist selbst noch im Amateurbereich in Mainz aktiv. Er hat zu seinem Heimatverein, einem Kreisligisten, gesagt: Ihr stellt jetzt ein halbes Jahr lang dem Schiedsrichter vor jedem Spiel eine Flasche Wasser, eine Apfelschorle, eine Banane und einen Müsliriegel hin. Und was war nach einem halben Jahr? Die Schiedsrichter sind alle gerne zu dem Verein gekommen, die Stimmung war viel besser. Es braucht nicht viel, um Wertschätzung zu zeigen.
Wie schlimm steht es um den Umgangston auf den Plätzen?
Was man da teilweise in den Spielberichten nach den Wochenenden liest, ist schon dramatisch. Da kann ich auch verstehen, dass da immer mehr Schiedsrichter keine Lust mehr drauf haben. Im Binnenverhältnis auf dem Platz muss sich etwas ändern.
Wo liegt das größte Problem? Spieler, Trainer oder Zuschauer?
Ein 16-jähriger Schiedsrichter sollte kürzlich in Nippes zwei Spiele pfeifen, erst D- und dann C-Jugend. Er wurde nach dem ersten Spiel von den Heim-Betreuern und -Trainern aber so übel behandelt, dass er ganz aufgelöst von seinem Vater abgeholt wurde: „Mein Sohn pfeift jetzt nicht noch das zweite Spiel hier, wie benehmen Sie sich eigentlich?“ Bei Spielern und Trainern kommt so etwas vor, aber auch bei Eltern, die teilweise nicht nur ein bisschen zu ehrgeizig sind, sondern auch noch den jugendlichen Schiedsrichter beschimpfen.
Wie oft führen solche Situationen zu Spielabbrüchen?
911 Abbrüche gab es bundesweit laut dem DFB-Lagebild Amateurfußball in der Saison 2021/22. Es gab noch ungefähr 2400 Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle gegen Schiedsrichter, die nicht immer zu Abbrüchen geführt haben. Das sind gegenüber der letzten Vor-Corona-Saison deutliche Steigerungen. Natürlich kann man sagen, dass das bei knapp 1,2 Millionen erfassten Spielen eine kleine Zahl ist. Aber ich würde eher die Zahl der Schiedsrichter als Maßstab nehmen, dann sieht es gleich ein bisschen anders aus. 2400 Vorfälle in einem Jahr bei 50.000 Schiedsrichtern – da sind wir dann nicht mehr im Promillebereich. Wenn Sie die Schiedsrichter hier in Köln fragen, wer schon einmal Opfer von Gewalt, Gewaltandrohung oder Diskriminierung wurde, dann werden Sie bei 60 bis 70 Prozent landen.
Wir reden hier von einem absoluten Tabubruch im Sport.
Natürlich. Dass wir 2019 in einen unangekündigten Streik getreten sind und die Teams sich selbst pfeifen mussten, resultierte aus einer für uns inakzeptablen Situation. Es musste sich etwas verändern. Allerdings müsste ich lügen, wenn ich sagen würde, dass seitdem alles besser geworden ist.
Welche Aussichten hat ein Schiedsrichter-Talent, irgendwann mal in der Bundesliga zu landen?
Das ist schwer zu sagen und hängt von vielen Faktoren ab, auch von den richtigen Förderern und nicht zuletzt vom Glück. Der Flaschenhals ganz oben ist jedenfalls extrem dünn, den Sprung in den Profifußball schaffen nur ganz wenige, trotz Perspektiv- und Förderkadern. Aber man würde 16- oder 17-Jährige auch unnötig belasten, wenn man ihnen große Hoffnungen auf die Bundesliga machen würde. Die höheren Amateurklassen sind für talentierte Schiedsrichter ein viel realistischeres Ziel.
Bis ganz nach oben ist es ein harter Weg für Schiedsrichter.
So etwas wie bei Spielern, die mit einem Wechsel gleich mal mehrere Klassen überspringen, gibt es bei den Schiedsrichtern nicht. Alle, die ganz oben pfeifen, haben alle Klassen durchlaufen. Normalerweise wird niemand etwa von der Bezirksliga direkt in die Regionalliga hochgestuft. Ein Ausnahmetalent schafft es aber vielleicht, zweimal in einer Saison aufzusteigen.
Zur Person
Alex Feuerherdt (53), geboren in Bonn, ist einer der renommiertesten Schiedsrichter-Experten Deutschlands. Gemeinsam mit dem Sportjournalisten Klaas Reese betreibt Feuerherdt den Podcast „Collinas Erben“, in dem aktuelle Geschehnisse aus der Sicht von Schiedsrichtern beleuchtet werden. Seit 2021 ist Feuerherdt zudem als TV-Experte beim Pay-TV-Sender Sky im Einsatz.
Feuerherdt lebt in Köln und war selbst von 1985 bis 2005 Fußball-Schiedsrichter mit der Oberliga als höchster Spielklasse. Im Fußballkreis Köln ist er als Kreislehrwart für die Aus- und Fortbildung von Schiedsrichtern verantwortlich. (ksta)