Hinter den Fußballerinnen von Bayer 04 Leverkusen liegt die stärkste Hinrunde der Klubgeschichte. Trainer Roberto Pätzold erklärt das Erfolgsrezept.
Bayer-Frauen-Coach Roberto Pätzold„Träume darf man niemandem verbieten“
Herr Pätzold, zum Abschluss des Jahres haben Sie zuletzt die Möglichkeit genutzt, Einblicke in die Übungseinheiten Ihres Kollegen Xabi Alonso, dem Coach des Leverkusener Männerteams, zu gewinnen. Welche Eindrücke haben Sie von dort mitgenommen?
Es war sehr interessant zu sehen, wie aktiv und fordernd Xabi im Training coacht. Er ist in den einzelnen Übungsformen sehr nah an der Mannschaft, spielt teilweise sogar mit und korrigiert permanent und lautstark in Zusammenarbeit mit seinem Team. Das Tempo und die Intensität des Trainings sind wirklich beeindruckend. Alle arbeiten sehr hart daran, sich Automatismen anzueignen, deren Umsetzung im Wettkampf dann oft so leichtfüßig und selbstverständlich wirkt. Es waren überaus interessante und lehrreiche Tage, aus denen ich natürlich unzählige Anregungen mitnehme. Viele aus dem Trainerteam inklusive Xabi haben mich zu unserer Hinrunde beglückwünscht. Das freut einen natürlich sehr und motiviert gleichzeitig, die gezeigten Leistungen zu bestätigen.
Zum Auftakt des letzten Hinrunden-Spieltags eroberte Ihre Mannschaft für rund 20 Stunden die Spitze der Frauen-Bundesliga. Mussten Sie sich nach dem 1:0 gegen den siebenmaligen Deutschen Meister VfL Wolfsburg am Freitagabend beim Blick auf die Tabelle kneifen, um zu wissen, dass Sie nicht träumen?
Tatsächlich war der Faktor Tabellenführung nicht der wichtigste, sondern vielmehr die Tatsache, eine der besten Mannschaften Deutschlands geschlagen zu haben, die bis dahin Spitzenreiter war. Vor allem aber hat mich die Art und Weise unseres Erfolgs beeindruckt. Wir haben den Sieg nicht ermauert. Unser grundsätzliches Ziel ist es, auch gegen die Mannschaften, die qualitativ und individuell besser besetzt sind, mutig zu agieren und unser Spiel auf den Platz zu bringen. Das ist uns schon beim 2:3 gegen den FC Bayern in vielen Phasen gelungen, gegen den VfL haben wir es noch besser gemacht. Wir haben Druck gemacht und waren unter dem Strich die deutlich torgefährlichere Mannschaft. Zudem haben wir aus dem Spiel heraus wenig zugelassen. Daher war es ein sehr verdienter Sieg. Das war das Entscheidende. Aber klar macht es auch ein bisschen stolz, Screenshots mit Bildern der Tabelle zugeschickt zu bekommen.
Dürfen die Fans von Bayer 04 jetzt von der Champions-League-Teilnahme oder gar dem Titelgewinn in der Bundesliga träumen?
Naja, Träume darf man niemandem verbieten. Aber wir können die Lage alle gut einordnen. Die Tabellenführung war eine Momentaufnahme. Wir haben im Verlauf der Hinrunde auch viele knappe Siege gefeiert. Da gab es Partien, in denen wir mit viel Aufwand in der Schlussphase unsere Führung verteidigen mussten. Außerdem haben wir auf eigenem Platz gegen die Topteams gespielt und sind weitgehend von schweren Verletzungen verschont geblieben. Grundsätzlich sieht man aber eine positive Entwicklung. Wir treten deutlich stabiler und reifer auf und haben die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte gespielt. Daher nehmen wir eine Riesenportion Selbstvertrauen mit ins neue Jahr, in dem wir die Leistungen bestätigen wollen.
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Sie haben vor Ihrem Engagement bei den Frauen von Bayer 04 auf Verbandsebene, im Junioren- und Männer-Profifußball gearbeitet. Stellen Sie im Frauenfußball Besonderheiten fest?
In der alltäglichen Arbeit gibt es keine großen Unterschiede. Die Trainingsformen sind ähnlich und auch der Fußball, den ich spielen lassen will, ist derselbe. Ich bin ein gradliniger Typ und erwarte daher hohes Tempo, Zielstrebigkeit, ein aktives Spiel mit und gegen den Ball. Ich erlebe aber eine andere Feedback-Kultur. Spielerinnen sagen eher, was sie bewegt, und bringen sich aktiv ein. Die Trainingsbiografie ist sehr unterschiedlich: Manche Spielerinnen haben mit sechs Jahren angefangen zu kicken, andere erst mit zwölf oder 13. Manche haben lange Zeit mit Jungs gespielt, andere in Mädchen-Leistungszentren. Der Sprung in den Seniorinnenfußball erfolgt schon nach der U 17, daher ist die Ausbildung kürzer und der Kader meist jünger als bei vielen Männerteams. Einige unserer Spielerinnen gehen noch in die Schule. Und weil es für Frauen schwieriger ist, sich mit dem Fußball ein langfristiges Auskommen zu erarbeiten, studieren viele schon während ihrer Karriere oder absolvieren eine Ausbildung.
Ist das eine besondere Schwierigkeit?
Ich habe einige Jahre Erfahrung in der Talententwicklung und Nachwuchsarbeit, was sicherlich einer der Gründe für meine Verpflichtung war. Mir macht es Spaß, junge Spielerinnen weiterzuentwickeln. Der Spagat zwischen Ergebnisorientierung und Weiterentwicklung ist uns zuletzt gut gelungen.
Zur Person: Roberto Pätzold, der in der Nähe von Berlin aufwuchs, ist seit Saisonbeginn Trainer des Frauenfußball-Erstligisten Bayer 04 Leverkusen. Der 45-Jährige spielte einst beim SV Rot-Weiß Werneuchen, dem SV Empor Berlin und der SpVg Wesseling-Urfeld. Er engagierte sich als Jugendtrainer und schloss das Studium an der Sporthochschule Köln als diplomierter Sportwissenschaftler ab. Pätzold arbeitete für verschiedene Landesverbände und den DFB, ehe er den Regionalligisten FC Eintracht Bamberg, die A-Junioren und später die Profis des FC Ingolstadt sowie den österreichischen Zweitligisten FC Admira Wacker Mödling coachte. (wok)
Sie haben insbesondere zum Saisonstart auf personelle Kontinuität gesetzt. War das das Erfolgsrezept?
Wir hatten einige Veränderungen im Kader und im Staff, dazu kam ich als neuer Trainer mit einer neuen Spielidee. Da braucht es natürlich Zeit, um sich Prinzipien zu erarbeiten, die alle verinnerlichen. Kontinuität ist wichtig, um Vertrauen in das eigene Handeln aufzubauen. Unsere Erfolge waren dafür selbstverständlich förderlich. Zudem sind wir wie gesagt weitgehend vom Verletzungspech verschont geblieben.
Hat Sie die starke Hinrunde überrascht?
Man weiß nie, wie sich Zugänge bewähren, die nie in der Bundesliga gespielt haben. Wir haben Spielerinnen aus Belgien, Dänemark, Schottland, Portugal geholt, die sich ohne Anlaufschwierigkeiten eingefunden haben. Die Scouting-Abteilung hat einen guten Job gemacht und vor allem haben sich die Spielerinnen sehr gut und schnell entwickelt.
Wer hat Sie am meisten überrascht?
Das kann ich nicht sagen. Ich bin ja im Sommer neu in die Liga und zu Bayer 04 gekommen, mir fehlt also der Vergleich. Fakt ist, die Spielerinnen haben sich physisch gut entwickelt und im Spieltempo Fortschritte gemacht.
Haben Sie denn einige künftige deutsche Nationalspielerinnen im Kader?
Sechs unserer Spielerinnen wurden inzwischen in die neue deutsche U-23-Nationalmannschaft berufen. Daher erscheint der Gedanke nicht abwegig. Die eine oder andere hätte angesichts ihrer Leistungen in der Hinrunde sicherlich eine Einladung verdient. Aber das ist auch immer abhängig davon, welche Art von Fußball der Nationaltrainer präferiert.
Kristin Kögel führte die deutsche U-23-Mannschaft sogar als Kapitänin auf das Feld. Hätte Sie eine Einladung zum A-Team verdient?
Sie ist eine unserer absoluten Führungsspielerinnen und hat so viele Tore wie nie zuvor zu diesem Zeitpunkt einer Saison erzielt. Ihre konstant starken Leistungen, ihr Engagement und ihre Professionalität machen sie zum Vorbild für unsere jungen Spielerinnen.
Haben Sie keine Sorgen, dass sie mit einer Berufung noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht und von einem anderen Verein abgeworben wird?
Die Gefahr besteht natürlich immer, gute Leistungen wecken nun mal Begehrlichkeiten. Aber wir befinden uns in einer guten Position: Einige unserer Leistungsträgerinnen haben langfristige Verträge, mit anderen sind wir bereits in guten Gesprächen über die Zukunft. Unser Ziel ist es, den Kader weitgehend zusammenzuhalten, um nicht im Sommer erneut einen größeren personellen Umbruch bewältigen zu müssen. Wenn uns Spielerinnen verlassen, um den nächsten Schritt zu gehen, ist das eine Auszeichnung für unsere Arbeit. Diesen Schritt können sie aber gerne auch bei uns gehen.
Sind Verstärkungen in der Winterpause nötig?
Im Sommer-Transferfenster hätten wir gern auf der ein oder anderen Position noch den internen Konkurrenzkampf verstärkt. Aber die Hinrunde hat gezeigt, dass wir sehr stabil sind und mit dem vorhandenen Personal performen können. Selbstverständlich sehen wir uns um und haben durch die gezeigten Leistungen als Klub an Attraktivität gewonnen. Auf Teufel komm raus werden wir aber nichts machen. Unsere große Motivation besteht darin, in der bestehenden Konstellation unsere Leistungen zu bestätigen. Das wird Herausforderung genug.