Der Kurs ist anspruchsvoll, die Konkurrenz aus den anderen Nationen ist stark. Der ehemalige Radsportprofi André Greipel aus Hürth steht in seiner neuen Rolle als Bundestrainer vor einer großen Herausforderung: die Weltmeisterschaft im Straßenrennen in Glasgow.
Rad-WM in GlasgowDie schwierige Mission des neuen Straßenrad-Bundestrainers André Greipel
Seit Donnerstag hält sich André Greipel bereits in Glasgow auf. Es ist viel zu tun für den neuen Bundestrainer der Abteilung Straßenradsport im Bund Deutscher Radfahrer. Sein erster Einsatz wird die Weltmeisterschaft im Straßenrennen am Sonntag (6. August) sein.
Besichtigung der WM-Strecke, Erkundung heikler Punkte, Räsonieren über die Möglichkeiten, die der Parcours seinen Fahrern bietet – und als Summe aus all diesen Erkenntnissen eine Taktik für das Rennen in der schottischen Großstadt entwerfen. Deren Einhaltung verfolgt der einstige Weltklasse-Sprinter mit Wohnort in Hürth-Stotzheim am Sonntag diesmal aus dem Auto des Teamchefs heraus, eine Premiere.
Die wichtigste Aufgabe für Greipel (41), der 154 Karrieresiege aufweist – deutscher Rekord – bestand jedoch darin, eine Mannschaft zusammenzustellen. „Nicht so einfach“ sei das gewesen, sagt Greipel im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das war eine Herausforderung. Denn jedes Team hat ja eine eigene Planung, da musste ich viele Gespräche führen.“
Die sechs Mann, die er nun für den Kurs in Glasgow gefunden hat, kommen auf dem hügeligen Terrain zurecht. Gleichberechtigte Kapitäne sind Nils Politt (29), Greipels Freund und Quasi-Nachbar, denn auch Politt wohnt in Hürth, sowie der Veteran John Degenkolb (34). Der wiederum ist vor allem für die Ordnung im Team zuständig, für die Organisation von Gruppen und die Nachführarbeit.
40 Straßenecken, manche fast 90 Grad – Greipel erwartet „aktives Rennen“
Der Kurs ist anspruchsvoll. Gestartet wird das 271 Kilometer lange Rennen in Edinburgh, enden wird es in Glasgow. Nach zehn Runden à 14,1 Kilometer, am Ende stehen 3570 Höhenmeter auf den Radcomputern. Hinzu kommt: „Wir haben hier drei Kurven pro Kilometer. Da wird es schwer, Gruppen zu holen, deshalb erwarte ich ein aktives Rennen“, sagt Greipel.
40 Straßenecken müssen pro Runde umfahren werden, 19 scharfe Richtungswechsel sind dabei. Manche kommen einer 90-Grad-Kurve nahe, auch ein 200 Meter langes Kopfsteinpflasterstück ist pro Passage dabei. Weil sein Team nur sechs Mann umfasst, könne es kaum reagieren, weshalb Greipel eine aktive Fahrweise empfiehlt.
Die Favoriten kommen allerdings aus anderen Nationen. Die Belgier etwa bieten gleich drei Trümpfe auf – und was für welche: Sowohl der bergfeste Sprinter Jasper Philipsen, als auch der für jedes Terrain gemachte Wout van Aert und erst recht der Titelverteidiger und ewige Angreifer Remco Evenepoel kommen für die Goldmedaille infrage. Das gilt auch für den Niederländer Mathieu van der Poel oder den Slowenen Tadej Pogacar, der ohnehin nur eine Maxime auf dem Rad präsentiert – Attacke.
Greipel zu Politt: Hätte mich nicht für UAE-Wechsel entschieden
Nils Politt ist in dieser Riege ein Außenseiter, dennoch betrachtet Greipel ihn als stark genug, „um einen Top-Ten-Platz zu erreichen“. Eine solche Prognose will Politt nicht abgeben. Er fühlt sich zwar nach der Tour de France, die vor gut zwei Wochen endete, „richtig gut“, „aber ob es auch wirklich so ist, entscheidet sich dann im Rennen.“
Respekt hat Nils Politt vor einer 200 Meter langen Rampe an der Montrose Street, gut 1,5 Kilometer vor dem Ziel. Sie weist im Schnitt 10,8 Prozent Steigung auf, in der Spitze sogar 40 Prozent. „Da wird die Entscheidung fallen“, sagt Politt.
Der Profi des deutschen Teams Bora-hansgrohe hatte am Donnerstag seinen Wechsel zum Team UAE-Emirates um Pogacar bekannt gegeben. Greipel respektiert diese Entscheidung seines einstigen Trainingspartners, übt aber dennoch leise Kritik. „Wenn ich Nils wäre, hätte ich mich für ein anderes Team entschieden“, so Greipel. Seine Begründung: „Es muss sich zeigen, ob Nils angesichts der Tatsache, dass Pogacar bei jedem seiner Starts alle Helfer für sich fahren lässt, die Freiheiten bekommt, die ihm angesichts seiner Klasse zustehen.“
Schlechtes Wetter könnte es noch schwieriger für das deutsche Team machen
Am Sonntag könnte sich auch noch das Wetter einmischen. Regen wird erwartet, hinzu kommen Temperaturen um die 16 Grad. Belgische Verhältnisse also: Evenepoel und van Aert, der auch schon Cross-Weltmeister war, schätzen diese Bedingungen, die so ähnlich auch bei den Frühjahrsklassikern herrschen.
Greipel sitzt auch noch am kommenden Freitag im Begleitauto des BDR, dann starten Politt und Lennart Kämna im Einzelzeitfahren, Distanz: 47,8 Kilometer. Auch dort treffen sie auf starke belgische Konkurrenz in Person von Wout van Aert und Remco Evenepoel.