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Virtuelles Radrennen „Zwift“Triathlet besiegt Spezialisten um 2 Uhr morgens

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Der spätere Sieger Lionel Sanders aus Kanada bei seinem virtuellen Radrennen. 

  1. Der Anbieter „Zwift“ ermöglicht mit seiner Software digitale Radrennen. Dem kanadischen Triathlet Lionel Sanders gelang nun eine kleine Sensation.
  2. Dem kanadischen Triathlet Lionel Sanders gelang nun eine kleine Sensation.
  3. Er besiegte auf dem simulierten Kurs der Straßen-WM von 2015 in Richmond gleich mehrere namhafte Spezialisten.

Es ist kurz nach halb drei am Sonntagmorgen, als Lionel Sanders über die Ziellinie der „Ronde van Zwift“ in Richmond im US-Bundesstaat Virginia rollt. Die Strecke auf dem Kurs der Straßen-Weltmeisterschaft von 2015 war nicht für ihn gemacht: Neun brutale Anstiege, wenig Gelegenheit für Sanders, seine Stärke auszuspielen. Denn der 32-jährige Kanadier ist kein Spezialist auf dem Rennrad, sondern Langdistanz-Triathlet: Im Jahr 2017 wurde er auf Hawaii Ironman-Vizeweltmeister. Sanders kann über lange Zeitabschnitte extreme Leistungen zeigen. Allerdings fehlt ihm die Explosivität seiner Kollegen aus der Rennradbranche.

Dennoch gelingt Sanders eine kleine Sensation: Er gewinnt das Rennen. Tim Merlier, aktueller belgischer Meister der Straßenradfahrer, ist ebenso besiegt wie Mathieu van der Poel, das Jahrhunderttalent aus den Niederlanden. Van der Poel, Cyclocross-Weltmeister und Sieger des Amstel Gold Race 2019, war der Mann, den es zu schlagen galt. Sein Profiteam Alpecin-Fenix war Ausrichter des Rennens.

Start um zwei Uhr in der Nacht

Gratulieren konnte van der Poel seinem Bezwinger allerdings nicht. Denn Sanders befand sich in seinem Haus in Hamilton in der kanadischen Provinz Ontario. Die „Ronde van Zwift“ hatte er wie alle Teilnehmer auf einem Smarttrainer bestritten, der modernen Version eines Trimmdich-Rades. Das Prinzip dieser Maschinen ist, mit seinem Fahrrad auf der Stelle zu treten, während die Prozessoren die Leistung an eine Software übertragen. Im Falle der „Ronde van Zwift“ war es die Software des Anbieters „Zwift“, der seinen Abonnenten erlaubt, unterschiedliche Orte der Welt zu erkunden. Die Software misst die getretene Wattzahl und setzt sie ins Verhältnis zum Gewicht des Athleten. Über einen Brustgurt nimmt das System zudem die Herzfrequenz auf.

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Für Sanders ist das Heimtraining nichts Ungewöhnliches. Er gilt als der „Indoor-Guy“ der Szene: 90 Prozent seines Trainings absolviert er daheim. Im Pool schwimmt er gegen die Gegenstromanlage an, das Laufen findet auf dem Band statt. Gleich daneben ist sein Rennrad in den Smarttrainer eingespannt. Ungewöhnlich war am Sonntag nur die Uhrzeit: Weil das Rennen um zehn Uhr Mitteleuropäischer Zeit begann, musste Sanders in Kanada um zwei Uhr in der Nacht in den Sattel. Er war die Strecke am Freitag virtuell abgefahren, hatte die kurzen, unerbittlichen Steigungen erlebt und für sich festgestellt: „Es wird eine lustige Erfahrung. Aber wahrscheinlich auch eine sehr schmerzvolle.“

Nun hat Sanders keine Schwierigkeiten mit Schmerzen. Das Leiden ist Kern seiner Arbeit, und er hat viel gelitten in seinem Leben. Im Jahr 2009, hat er einmal erzählt, stand er auf der Lehne eines Stuhls, um den Hals ein Gürtel, den er mit einem Bolzen an der Decke befestigt hatte. Nach Jahren des Alkohol- und Drogenkonsums und zahlreichen Versuchen, seine Sucht zu überwinden, wollte er nicht mehr leben. Die Gedanken an die Trauer seiner Mutter hielten ihn ab, sagte er. Statt sich das Leben zu nehmen, meldete er sich bei einem Langdistanz-Triathlon an. Im August 2010 beendete er seinen ersten Ironman aus 3,86 Kilometern Schwimmen, 180,2 Kilometern Radfahren und 42,195 Kilometern Laufen. Sieben Jahre später wurde er Weltmeister in der Version der Internationalen Triathlon Union in der Langdistanz.

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Lionel Sanders 2016 beim Ironman auf Hawaii

Sanders lässt sich während des Wettkampfs filmen. Weil es auf einem Rollentrainer weder Fahrtwind noch Sturzgefahr gibt, fährt er ohne Helm und ohne Trikot. Dass sich Sanders überhaupt mit van der Poel messen kann, liegt daran, dass es hier nicht um Technik geht. Er muss sein Rad nicht beherrschen; er braucht kein Balancetalent auf der Abfahrt, kein Geschick in den Kurven. Er muss einfach nur wie wahnsinnig kurbeln. Und das kann er.

1,8 Sekunden Vorsprung

Die Taktik ist klar: „Van der Poel ist phänomenal auf kurzen Anstiegen“, sagt Sanders. Er weiß, dass die Spezialisten versuchen werden, „Leute wie mich mit kurzen Antritten loszuwerden.“ Er wolle sich dranhängen, um dann für die letzten drei Minuten alles rauszuhauen. „Ich darf 300 Meter vor dem Ziel nicht Seite an Seite mit diesen Jungs fahren“, sagt er. Und so nutzt Sanders einen Moment drei Minuten vor dem Ziel, um sich davon zu machen. Als die Konkurrenz bemerkt, dass der Triathlet sich abgesetzt hat, ist es zu spät. Zwar kommen die Radprofis noch einmal herangeflogen. Doch Sanders rettet 1,8 Sekunden Vorsprung ins Ziel. Hinterher hockt er vor seinem Rad am Boden, er wirkt sehr zufrieden. Eine „verrückte Anstrengung“ sei das gewesen, aber auch „eine der coolsten Erfahrungen, die ich jemals auf dem Fahrrad hatte“.