Die Franz Kalff GmbH wird 140 Jahre alt und sucht einen neuen Standort. Auch die Flut hat Spuren bei der Firma aus Rheder hinterlassen.
Traditions-UnternehmenNach 140 Jahren will Kalff Standort in Euskirchen-Rheder verlassen
Die Flutschäden sind auch zwei Jahre nach der Katastrophe allgegenwärtig. Die Wassermassen haben Zäune abgeknickt. Aufgestellt worden sind sie seitdem nicht. In den zerbrochenen Fensterscheiben hängen Stroh und Gras. Im ehemaligen Verwaltungsgebäude ist zwar der Putz abgeschlagen worden, doch die Räume erinnern an irgendeinen Tag im August 2021, als alles halbwegs getrocknet war.
Das Areal der Firma Kalff in Rheder erinnert an den allermeisten Ecken an einen Lost Place – ein Ort, der seine beste Zeit hinter sich hat, verlassen worden ist.
Aber das Gelände ist nicht verlassen. Und das Unternehmen hat sich nicht erst einmal neu erfunden. Die besten Zeiten liegen also vielleicht erst vor der Franz Kalff GmbH – jenem Unternehmen, das es bereits seit 140 Jahren in Rheder gibt. Und jenem Unternehmen, das durchaus als Weltunternehmen bezeichnet werden kann.
Erste-Hilfe-Produkte haben die Firma Franz Kalff bekannt gemacht
Der Grund: Einen roten Erste-Hilfe-Kasten mit der Aufschrift „Kalff“ dürften schon viele im Auto gehabt haben. Im Mittelpunkt des Unternehmens, das an der Bahnlinie Euskirchen – Bad Münstereifel liegt, stehen die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Erste-Hilfe-Produkten verschiedenster Art wie Verbandkästen und -taschen für Autos, Lkw, Motorräder, Haushalt, Sport, Freizeit und Betriebe. Die Produkte werden seit 2011 zwar in China produziert, wie Matthias Gallenkamp erklärt, können aber auch in der Konfektionierung im Werk in Rheder individuell nach Kundenwünschen zusammengestellt werden.
Dort arbeiten aktuell 35 Mitarbeiter, in Spitzenzeiten waren es knapp 300. Ihre Aufgabe: beispielsweise Erste-Hilfe-Kästen für Automobilbranche, Handel und Baumärkte sowie die Outdoorbranche zu entwerfen.
Und die Erste Hilfe ist digitaler geworden, wie Gallenkamp erklärt. So werden beispielsweise Mullbinden oder Pflaster nach Farben sortiert. „Die entsprechende App erklärt dem Hilfeleistenden, was zu tun ist. Um sich besser im Stressfall orientieren zu können, sind die Sachen farblich sortiert. Die App sagt dann auch, wo das Pflaster zu finden ist – beispielsweise im grünen Bereich des Kastens“, so der Geschäftsführer, der nun seit siebeneinhalb Jahren das Werk in Rheder leitet.
Tage der Firmenverwaltung in Rheder ssind gezählt
„Der Name ist eine Institution auf dem Markt“, sagt er. Zudem vertreibe das Unternehmen ein umfangreiches Sortiment an Sicherheitserzeugnissen wie Warndreiecken, Handschuhen und Atemschutzmasken ebenso wie Alltagshilfen, so Gallenkamp. In Rheder ist alles vorhanden, was für den Geschäftsbetrieb erforderlich ist: die Abteilungen Einkauf, Vertrieb, Versand, Disposition sowie Finanzen und Controlling. Zumindest noch.
Denn die Tage der Verwaltung in Rheder sind gezählt. Der Grund: Laut Gallenkamp ist das Gebäude so sehr in die Jahre gekommen, dass ein Umzug die einzige Option ist, zumal der Besitzer des Gebäudes signalisiert hat, in den Standort nicht mehr investieren zu wollen. Und nach der Flut steht nicht mehr der ursprüngliche Platz zur Verfügung. Die Verwaltung zieht im September an die Rudolf-Diesel-Straße in Euskirchen.
Auch die Konfektionierung und das Lager werden das Areal in Rheder verlassen. „Wir sind auf der Suche, die gestaltet sich aber als nicht so einfach“, so Gallenkamp. Schließlich benötige man beispielsweise ein Hochregallager. Das gibt es auch jetzt in Rheder. Gallenkamp bezeichnet es als Herzstück des Standorts. Aber auch das ist in die Jahre gekommen. 1986 ist es errichtet worden. Von der Flut ist es einigermaßen verschont worden. Insgesamt hatte das Unternehmen einen Schaden von etwa 500.000 Euro.
Nach der Flut gab es viel Unterstützung für den Betrieb
Gallenkamp schwankt zwischen den Emotionen. Einerseits sagt er, dass es erschreckend gewesen sei, als er aufs Firmengelände fuhr. Anderseits habe man „sehr viel Glück gehabt“. Zweieinhalb Meter stand das Wasser auf dem Gelände, schließlich ist die Erft nur einen Steinwurf entfernt.
Viel Hilfe habe man vom Verein „Schrittchen für Schrittchen“ und den Dachzelt-Nomaden erhalten. „Die waren teilweise mit 30, 40 Helfern hier. Wahnsinn“, erinnert sich Gallenkamp. Den Standort vor zwei Jahren aufgeben? „Das war nie eine Option. Es gab nur den Blick nach vorne“, so der Geschäftsführer. Und der richtet sich nur wegen des geplanten Umzugs und 140-Jahr-Feier im September nach vorne. Der Grund: Das Unternehmen erfindet sich wieder einmal neu.
Gerade ist man mit der Kooperation mit der Firma Safety-e ebenfalls digital auf dem Vormarsch. Über die Website www.112-login.com können Rettungskräfte noch auf dem Weg zu einem Unfall auf die Rettungskarte des verunglückten Autos zugreifen. Dadurch können sie gezielt vorgehen und die Rettungsmaßnahmen entsprechend anpassen, um Verletzte sicher und schnell zu befreien. Den Code, der im Auto zu finden sein soll und über den das Auto in der digitalen Datenbank hinterlegt werden kann, stellt Kalff her.
Firmengeschichte: Gründung im Jahr 1883 als Baumwollbleicherei
- 1883: Die Hub. And. Teusch GmbH wird als Baumwollbleicherei gegründet. Sie ist spezialisiert auf die Herstellung von Verbandwatte und Verbandmull.
- 1909: Wilhelm Kalff übernimmt die Firma und nennt sie „Verband-Wattefabrik und Baumwollbleicherei Wilhelm Kalff“.
- 1928: Patent Nr. 544324 „Verfahren zur Herstellung eines wasserabstoßenden, tuchartigen Stoffes“. Erfinder ist. Dr. Adolf Schoeler.
- 5.11.1975: Bei einer Explosion im Werk in Rheder sterben drei Mitarbeiter.
- 1987: Beginn der Produktion von Verbandstoffen nach dem Deutschen Arzneimittelgesetz.
- 1990er: Schließung der Produktion am Standort Euskirchen.
- 2011: Mike Xu wird Eigentümer der Muttergesellschaft der Franz Kalff GmbH.
- 2019: Die Franz Kalff GmbH geht eine Kooperation mit der Firma Vitility für den Vertrieb von Alltagshilfen ein. Zuvor ist man bei IQutilis eingestiegen. (tom)