Wachtberg will wachsenAuf Äckern in Fritzdorf könnte Gewerbepark entstehen
Wachtberg – Jenseits von Fritzdorf könnte entlang der Landstraße 80 ein großes Gewerbegebiet mit Autobahnanschluss entstehen – in direkter Nachbarschaft zu Haribo und Co. Wie der Wachtberger Beigeordnete Swen Christian im Planungsausschuss erklärte, sei ein interkommunales Gewerbegebiet mit der rheinland-pfälzischen Kommune Grafschaft durchaus denkbar. Er bezeichnete das gesamte Areal ab dem Ortsschild von Fritzdorf bis zur Landesgrenze Richtung Oeverich – zu beiden Seiten der Landstraße – als „Suchgebiet“ für einen solchen künftigen Gewerbepark.
Juniorchef des Pferdehofes ist aufgebracht
Allerdings wird im Umfeld von Fritzdorf überall aktiv Landwirtschaft betrieben, vor allem aber gibt es dort seit Anfang der 1960er Jahre den Brunnenhof, der von Hans-Ludwig Rollmann (69) und seiner Familie als Pferdehof bewirtschaftet wird. Dessen Juniorchef, Frank Rollmann (40), empörte sich als Zuhörer der Sitzung: „Da wohnen Leute mittendrin. Mit einem Gewerbegebiet würde die Existenz unseres landwirtschaftlichen Betriebes gefährdet“, machte er sich Luft. Hochwertige landwirtschaftliche Böden würden versiegelt: „Was soll der Scheiß?“
Rollmann hatte zufällig von einem Freund, der sich für Baulandausweisungen interessierte, von dem Vorhaben erfahren und aus Sorge um seine Existenz sofort einen Platz im Sitzungsraum in Berkum besorgt. Mit seinem Jahrgangskollegen, dem Obstbauern Matthias Sonntag (40), an der Seite, hörte er sich in banger Erwartung an, wie ein Gewerbepark die Äcker, Plantagen und Weiden einnehmen könnte.
Das meiste Weideland hat der Hof gepachtet
Hans Peter Rollmann, der Großvater von Frank, war aus Platzgründen 1962 aus dem Ortskern „ausgesiedelt“; seit dem Jahrtausendwechsel hält die Familie statt Milchvieh Islandpferde. Etwa 35 dieser Pferde leben auf dem „Brunnenhof“, wie die Anlage heißt. „Die Weiden sind unsere Futterflächen und zum größten Teil gepachtet“, erklärte die Mutter, Mechtilde Rollmann (60).
Auch Matthias Sonntag hat, weil das so üblich ist, Felder gepachtet. „Bei mir macht das etwa ein Drittel der Fläche aus“, sagt Sonntag: „Ich kann verstehen, wenn jemand viel Geld für sein Grundstück geboten bekommt und vielleicht Eltern zu pflegen hat, dass er lieber verkauft, statt weiter an mich zu verpachten.“
Siedlungsausbau in Wachtberger Ortsteilen
Einwohnerzahl
2437 Menschen leben in Berkum (Stand Februar 2022), in Niederbachem sogar 4274, in Villip 3543 und in Pech 2652.
In den 13 Ortsteilen zusammengerechnet hat Wachtberg insgesamt 20.950 Einwohner – nach den Kennzahlen der Bezirksregierung steckt darin viel Potenzial zum Wachsen einzelner Siedlungsstätten.
Regionalplan
In Regionalplänen wird die aktuelle und zukünftige Siedlungs-, Infrastruktur- und Freiraumentwicklung einer Region dargestellt. Die Grundlage ist ein kooperatives Erarbeitungsverfahren.
Der Regionalrat Köln hat in seiner 5. Sitzung am 10. Dezember 2021 auf Grundlage der von der Regionalplanungsbehörde vorgelegten Planunterlagen beschlossen, das Aufstellungsverfahren für einen neuen Regionalplan durchzuführen. Der Regionalplan gilt für den gesamten Regierungsbezirk Köln. Anregungen zur Neuaufstellung können nun bis Ende August eingereicht werden.
Debatte über Siedlungsraum
Mit den vorgeschlagenen „allgemeinen Siedlungsbereichen“, also den potenziellen neuen Wohngebieten, wollte sich ein Teil der Mitglieder im Wachtberger Planungsausschuss nicht anfreunden. Zwar waren sich alle einig, dass Berkum Versorgungszentrum von Wachtberg und damit Schwerpunkt der Siedlungspolitik bleiben soll. Der Vorschlag der Verwaltung, oberhalb des Einkaufszentrums beidseits der Rathausstraße zwischen Erlenmaar, Haus Holzem und Gereonshof ein großes Baugebiet festzulegen, führte allerdings zu drei Gegenstimmen.
Die Verwaltung hatte dieses Areal vorgeschlagen, weil sie den in der Karte eingetragenen Siedlungsbereich im Nord-Osten von Berkum, unterhalb des Stumpebergs, für sensibel hält. Eine Bebauung führe zu einer erheblichen Beinträchtigung der Sicht Richtung Siebengebirge, heißt es.
Noch stärker war die Ablehnung potenzieller Baugebiete zwischen Gimmersdorf und Oberbachem sowie in Adendorf und in Ließem. Sie wurden samt der von der Bezirksregierung vorgeschlagenen Siedlungsbereiche in Niederbachem, Villip und Pech von fünf Ausschussmitgliedern abgelehnt.
Die Mehrheit votierte indes für die Prüfung all dieser Projekte. Der Wachtberger Beigeordnete Swen Christian wies darauf hin: der Regionalplan liste Chancen auf, verpflichte aber zu nichts. Erst mit Flächennutzungs- und Bebauungsplan werde Baurecht geschaffen. (jst)
Kritik von Unser Wachtberg
Die Wählergemeinschaft Unser Wachtberg kritisierte nach der Sitzung des Planungsausschusses eine „ausufernde schwarz-grüne Baulandpolitik“ und verlangte eine Bürgerbeteiligung. Ihr Mitglied Ulf Hausmanns warf der CDU vor, „die Bevölkerung nicht mitnehmen“ zu wollen und bezeichnete die Grünen als deren „schweigenden Koalitionspartner“.
Hausmanns erinnerte an die Flächennutzungsplanaufstellung von 2013. Damals seien 98 Hektar für Bebauung ins Gespräch gebracht und auf 17,66 Hektar fürs Wohnen und 19,4 Hektar für Fraunhofer reduziert worden. Der Fraktionsvorsitzende Ulrich Feyerabend teilte mit: „Es kann nicht sein, dass wir am Ende dieses politischen Parforceritts innerhalb weniger Monate da landen, wo wir alle vor neun Jahren nicht hin wollten.“
Insgeheim hofft er aber, dass es so ausgehen könnte, wie damals in der Grafschaft, als Bauern zusammenstanden und die Böden, die für eine Tongrube veräußert werden sollten, zum Gewerbepreis kauften. Sonntag hat auch Hoffnung, weil der Wachtberger Beigeordnete auf Einladung verschiedener Parteien noch am Sonntag in Fritzdorf war und das Thema erklärte. „Er ist ja nicht politisch, sondern am Wohl der Gemeinde interessiert, und wie der Ortsausschussvorsitzende Michael Kaspers sagte, geht es darum, die Interessen von allen zu hören.“
Boden gilt als hochwertiges Ackerland
Und so bekundet Sonntag sein Verständnis dafür, wenn die Gemeinde Gewerbeflächen ausweisen wolle. Dass diese aber gerade „auf den besten Böden der Gemeinde“, wie er findet, entstehen sollen, verstehe er nicht. Getreide, Rüben, Äpfel, Brombeeren und viel mehr wachse auf diesem guten Lössboden. „Er hält viel Wasser und gilt als 80er und 90er Boden“, sagt Sonntag und nutzt dabei die bis 100 gehende Skala, mit der Landwirte Böden klassifizieren.
Auslöser der Gewerbepark-Idee ist der Wunsch der Gemeinde Grafschaft, eine Ortsumgehung für ihren Ortsteil Oeverich zu bauen. Diese Umgehungsstraße hätte schnurstracks am „Innovationspark Rheinland“, in dem Haribo der bekannteste Betrieb ist, Anschluss an die Autobahn 61.
Im Wachtberger Planungsausschuss kam das Thema im März auf den Tisch, als es um die Fortschreibung des Regionalplans der Bezirksregierung Köln und die Vorschläge der Wachtberger Verwaltung dazu ging. In dem vom Regionalrat aufgelegten Planwerk werden nicht nur die künftigen Wohngebiete, sondern auch potenzielle Gewerbeflächen identifiziert. So sollen auch die Entwicklung und der Flächenverbrauch der Gemeinden in den nächsten 15 bis 20 Jahren festgeschrieben werden. Der 31. August ist Stichtag für Aktualisierungen.
Im Planungsausschuss gingen die Meinungen über die von der Gemeindeverwaltung eingebrachten Vorschläge zwar auseinander, sie wurden dennoch letztlich mit deutlicher Mehrheit bestätigt. Besonders kontrovers war allerdings die Debatte zum Vorhaben bei Fritzdorf.
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Laut Gemeindeverwaltung gibt es in Wachtberg bis 2043, dem Zieljahr des kommenden Regionalplans, einen Bedarf von bis zu 17 Hektar Gewerbefläche. Im Entwurf des Regionalplans stehen bislang lediglich fünf – eine Fläche nördlich des Gewerbeparks Villip. Der Plan bleibe somit hinter dem zurück, was seit 2014 rechtskräftig im Wachtberger Flächennutzungsplan stehe, der von der Bezirksregierung genehmigt sei. Darum solle nun bei der Aktualisierung die Eintragung des „tatsächlichen Bedarfs“ erfolgen, um diese Flächen auch im Sinne der Gemeinde zu sichern.
Die Wachtberger Planerin Tanja Gohrbandt sieht in der gesamten Gemeinde „nur eine weitere Potenzialfläche“ – jene in Fritzdorf. Größe und Lage eines tatsächlichen Gewerbegebietes innerhalb des Suchareals seien in einem weiteren Verfahren zu konkretisieren, erläuterte der Beigeordnete Christian. Naturschutzfachlich und topographisch gebe es nur „geringe Beschränkungen“.
„Enteignungen wird es nicht geben“
Volker Gütten (CDU) fand es fraglich, in der heutigen Zeit für die Lebensmittelproduktion benötigte Flächen zu zerstören. Stattdessen könne nördlich von Gimmersdorf das Gebiet zwischen Kompostanlage und Biotop näher betrachtet werden. Dort könnten möglicherweise Natur und Gewerbe in Einklang gebracht werden: „Mit nachhaltigen Betrieben, wie es das schon im ,Unternehmerpark Kottenforst‘ gibt.“
Christian schränkte ein: „Suchbereich“ beinhalte lediglich eine Prüfung der Möglichkeiten: „Wenn die Eigentümer die Entwicklung nicht mitmachen wollen, gibt es die Entwicklung nicht, denn es wird dafür keine Enteignung geben.“ Eine Planung hänge aber nicht von den derzeitigen Eigentumsverhältnissen ab, denn die könnten sich ändern. Das wiederum verstand CDU-Fraktionschef Christoph Fiévet nicht, wie er sagte. Er bat darum, nach Alternativen Ausschau zu halten, bei denen nicht „von vornherein das ganze am Grunderwerb scheitern“ könne.