Hilfe in der ersten PhaseFamilienpartner unterstützen Eltern mit kleinen Kindern
Köln – Der Müll wird für Sevgi Erdogan zum Symbol, für alles, was sie nicht mehr geschafft hat. Ihn ein paar Etagen die Treppe runterbringen und unten im Hof in die schwarze Tonne fallen lassen. Seit die Zwillinge da sind, weiß sie nicht, wann sie das machen soll. Von Kochen, Wäschewaschen und Einkaufen ganz zu schweigen. „Die ersten Monate waren so unfassbar anstrengend“, erzählt die 34-Jährige an ihrem Esstisch in der neuen Wohnung in einem nördlichen Kölner Stadtteil. Wo eigentlich eine Küche sein soll, steht provisorisch nur eine kleine Spüle und ein offenes Regal mit Geschirr. Die Neue kommt. Der Weg zur Haustür führt noch über eine Baustelle.
Auf ihrem Schoß sitzt Alara, ihre 1,5-jährige Tochter. Neben ihr steht Anna Klapper, sie hat Alaras Bruder Ilay auf dem Arm. Zusammengeführt hat die vier der Kölner Kinderschutzbund, der in seinem Projekt Familien-Partnerschaften Ehrenamtliche in belastete Familien mit kleinen Kindern schickt. „Anna ist mein persönlicher Engel“, sagt Erdogan mit ruhiger Stimme. Sie meint das nicht scherzhaft. „Es gab keinen anderen Menschen in unserem Leben, der uns so geholfen hat wie sie.“
„Als Anna kam, ist vieles besser geworden“
Das Konzept sieht vor, dass eine Familienpartnerin einmal wöchentlich zur Familie nach Hause geht, um die Eltern zu entlasten. Klapper kam meist zwei Mal in der Woche. Ihr Arbeitgeber unterstützt das Engagement beim Kinderschutzbund und sie kann sich ihre Arbeitszeit frei einteilen. „Manchmal war Anna schon um 8 Uhr bei uns. Wer macht denn sowas? Jede Woche – ohne ein einziges Mal abzusagen?“, fragt Erdogan, als könnte sie nicht fassen, was sie mit ihrer Familienpartnerin für ein Glück hatte.
Als sie sich vor etwa einem Jahr beim Kinderschutzbund nach Hilfe erkundigte, hatte sie wenig Hoffnung, erzählt Erdogan. „Ich war zu der Zeit sowieso so frustriert und verzweifelt.“ Ihr Mann arbeitete aus dem Home Office, die Großeltern der Zwillinge leben nicht in Köln. Sie hat sich alleine um die Babys gekümmert. In der alten Wohnung – ohne Aufzug – konnte sie nicht einmal ohne Hilfe mit beiden Kindern das Haus verlassen. „Als Anna kam, ist vieles besser geworden.“ Meist sei sie reingekommen und Erdogan ist in der Küche verschwunden. „Ich konnte zwei Stunden Gas geben: vorkochen, Müll rausbringen oder mal duschen.“
Finanzierung übernahm anfangs „wir helfen“
Hans-Jürgen Dohmen koordiniert die Arbeit der Ehrenamtlichen und kennt die Situation vieler Kölner Familien. „Leben in der Großstadt heißt oft: Die jungen Eltern haben kein familiäres Netz, auf das sie zurückgreifen können.“ Das Angebot wurde 2016 ursprünglich für Geflüchtete konzipiert. Die Verantwortlichen stellten schnell fest, dass viele Familien flexible und unbürokratische Unterstützung brauchen können. Die Finanzierung sicherte bis Herbst 2019 „wir helfen“, danach übernahm das Jugendamt.
So können Sie helfen
wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.
Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen.Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.
Im Moment sei der Bedarf besonders hoch, erzählt Dohmen. „Wir spüren nach dem Ausnahmezustand der letzten zwei Jahre eine mentale Erschöpfung in den Familien.“ Außerdem würden sich immer öfter Eltern mit Mehrlingen melden. Statistisch hat sich die Anzahl seit den 1970er-Jahren mehr als verdoppelt. Als Grund geben Experten die moderne Reproduktionsmedizin an. Frauen bekommen immer älter Kinder und dann häufiger als früher nicht auf natürlichem Weg.
Ehrenamtliche werden vom Kinderschutzbund begleitet
Wie wird man so eine Junge-Mutter-Lebensretterin wie Anna Klapper? „Man muss unvoreingenommen sein. Gute Laune finde ich auch wichtig, damit die Kinder Spaß haben“, sagt sie. Erdogan legte Wert darauf, dass sie nicht bewertet wird und ihr die unterstützende Person kein schlechtes Gewissen macht. Darauf achtet auch Dohmen vom Kinderschutzbund bei der Auswahl der Ehrenamtlichen, ergänzt er. „Man muss offen gegenüber Menschen sein, die vielleicht ein ganz anderes Leben führen als man selbst.“
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Einsatz in den Familien wird mit Schulungen und Supervisionen begleitet. Auch die Familien werden sorgfältig ausgewählt, sagt Dohmen. „Ein Ehrenamtler kann keine professionelle Hilfe ersetzen.“ Mit einem kleinen Vertrag zwischen Familie und Ehrenamtlerin werden die Konditionen der Hilfe festgehalten. Damit sich keine falschen Erwartungen aufbauen. Erdogans Erwartungen wurden weit übertroffen. „Anna wird immer ein wichtiger Teil dieser intensiven Phase unseres Lebens sein“, sagt sie.
Der Kinderschutzbund sucht aktuell Interessierte für das Projekt Familienpartnerschaft. Weitere Informationen hat Hans-Jürgen Dohmen, Tel: 0221/ 5 77 77 18.