AboAbonnieren

Knochenkrebs„Ein Flugzeug voller Kinder erkrankt pro Jahr daran“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mädchen mit langen roten Haaren steht auf dem Tennisplatz. Es hat eine Beinprothese.

Rund 300 junge Menschen erhalten pro Jahr die Diagnose Knochenkrebs — wenn sie überleben, sind sie auf eine Prothese angewiesen.

Die neue Kölner „Okiju-Stiftung“ und „wir helfen“ setzen sich gemeinsam für von Knochenkrebs betroffene Kinder ein - am 23. Dezember am Stadion.

Pro Jahr sterben allein hierzulande rund 5.000 Kinder an unheilbaren Erkrankungen, etwa 300 erhalten die Diagnose Knochenkrebs, bei fünf Prozent der bösartigen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen ist der Knochen betroffen: Sogenannte Sarkome sind die dritthäufigste Krebsart bei Jungen und Mädchen dieser Altersklasse.

„Ein Flugzeug voller junger Menschen erkrankt pro Jahr daran und dennoch wird diese Krebsart fatalerweise häufig fehldiagnostiziert oder zu spät erkannt, dabei hilft eine frühe Diagnose der erfolgreichen Therapie“, sagt Angelika Sprüth-Meister — und erzählt von der Leidensgeschichte ihres Kindes. 2014 klagt es, 17-jährig, über anhaltende Schmerzen im Knie. Meist bei Belastung, manchmal aber auch nachts, wenn es ruht.

Von wegen Wachstumsschmerzen

Gemeinsam mit der Mutter, selbst Medizinerin, suchen sie verschiedene Fachärzte auf. „Es liegt an der Zahnspange, dass das Knie schmerzt“, sagt der eine. „Die neuen Schuheinlagen sind schuld“, meint der nächste. „Ganz normal, dass einem sportlichen Jungen mal Wachstumsschmerzen auftreten“, mutmaßt der andere.

Angelika Sprüth-Meister, Gründerin der Okiju-Stiftung

Angelika Sprüth-Meister, Gründerin der Okiju-Stiftung

Nach der Therapie sah mein Kind aus, wie alle Betroffenen: abgemagert, glatzköpfig, gezeichnet von den vielen Chemotherapien, Bestrahlungen und Operationen
Angelika Sprüth-Meister, Stiftungsgründerin

Nach sechs Monaten zeigt ein MRT deutlich den schrecklichen Befund: Im Kniegelenk wuchert ein Osteosarkom. Es folgt eine eineinhalb-jährige, schwer durchzustehende Therapie, in dessen Anschluss „mein Kind aussah, wie alle anderen Betroffenen: abgemagert, glatzköpfig, gezeichnet von den vielen Chemotherapien, Bestrahlungen und Operationen.“

Es gibt für betroffene Patienten nur zwei Optionen: Entweder das betroffene Körperteil wird amputiert und durch eine Außenprothese ersetzt oder es wird eine Gelenk-Endoprothese aus Metall eingesetzt. Angelika Sprüth-Meister ist in der glücklichen Lage, ihr Kind während des einjährigen Klinikaufenthalts permanent und professionell begleiten zu können. Im Gegensatz zu vielen anderen Angehörigen, die etwa aufgrund des Jobs, Geschwisterkindern, anderen Verpflichtungen oder Erkrankungen nicht die Zeit haben, sich rund um die Uhr in der Klinik aufzuhalten.

Kampf gegen Knochenkrebs verloren

Sie erlebt auf den Stationen die geballte Traurigkeit und Verzweiflung, die Schmerzen und Hilflosigkeit von betroffenen Familien, deren Kind – anders als ihres – den Kampf gegen den Knochenkrebs verloren hat. Oder die sich während der Therapien und danach alleine gelassen fühlen mit der Erkrankung und deren Folgen.

„Das Thema Nachsorge steht auf einem anderen Blatt. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind mit ihren Familien meist auf sich alleine gestellt. Aber erste Klinikkonzepte Anstehen durch die Anregung aktiver Eltern“, sagt Sprüth-Meister, die genau dort ansetzen möchte – und noch im Jahr 2019 gemeinsam mit ihrem Ehemann Dietmar Meister die Okijo-Stiftung gründet. „Unser Ziel war und ist, dass Knochenkrebs bei Kindern und Jugendlichen nicht länger übersehen wird.“

Unser Ziel ist es, dass Knochenkrebs bei Kindern und Jugendlichen nicht länger übersehen wird
Angelika Sprüth-Meister, Okiju-Stiftung

Doch aufgrund der Corona-Pandemie muss die aktive Arbeit der Stiftung ruhen, bis das Gründungsteam – zwischenzeitlich erweitert um die Ärztin Monika Degen — im Frühjahr 2022 wieder starten kann. Seitdem setzt sich das Okiju-Team engagiert für eine bessere Früherkennung und Nachsorge von jungen Knochenkrebs-Patienten ein. Es geht darum, Schülerinnen und Schüler, Eltern, jugend- und sportnahe Berufsgruppen wie Trainerinnen und Sportlehrer über das Krankheitsbild aufzuklären — „damit das gesamte Umfeld das Krankheitsbild mitdenkt“, sagt die Stiftungsgründerin.

Seltene Erkrankungen, selten gründlich erforscht

Bleibt die Frage, warum der Knochenkrebs bei jungen Menschen so häufig übersehen und zu spät diagnostiziert wird? Zwar sei, so Monika Degen, das Osteosarkom Teil des Curriculums im Medizin-Studium, doch im Alltag von Haus-, Kinderärzten oder Orthopäden würde es, aufgrund der relativen Seltenheit, kaum eine Rolle spielen, ebenso wenig bei Fortbildungen und in der pharmazeutischen Forschung.

Eine Schülerin hebt den Arm, dahinter steht ein schwarzes Monster stellvertretend für den Tumor.

Knochen-Sarkome wuchern in Armen und Beinen.

Das bestätigt auch der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dortmund Professor Dominik Schneider: „Studien sind mühsam bei seltenen Erkrankungen, da es Jahre braucht, um ausreichend große Patientenzahlen zu gewinnen. Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Bestimmungen für klinische Studien bei Kindern und Jugendlichen deutlich komplizierter geworden sind. Damit sind die Kosten erheblich gestiegen und der administrative Aufwand ist immens.“ Die Seltenheit der Erkrankung sei auch der Grund dafür, dass das Interesse der Pharmaindustrie geringer sei als bei häufigen Tumorerkrankungen.

Mehr Menschen, die sich für Vor- und Nachsorge einsetzen

Deshalb sei es so wichtig, die Forschung an verschiedenen Stellen zu fördern. Schneider: „Wir müssen die Erkrankungen durch medizinische Grundlagenforschung besser verstehen. Und wir brauchen viele Menschen, die sich für die Kinder und ihre Familien einsetzen: am Bett als Therapeuten für Kunst, Musik und Sport, in der Familie als psychologische Unterstützung, und als ärztliche und Pflege-Spezialisten in Therapie und Nachsorge.“

Schließlich möchte die Stiftung dazu beitragen, dass die Nebenwirkungen und Folgen von Prothesen besser untersucht werden. „Betroffene haben dadurch möglicherweise Metalle in ihrem Körper, deren Auswirkungen noch erforscht werden müssen.“ Daneben plant „Okiju“ eine Informationsbroschüre und Aktionen, die den Klinikalltag auf der Kinderkrebsstationen erleichtern. All das kostet Geld — deshalb ist die Stiftung neben Spenden auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen. Auch „wir helfen“ ist mit an Bord, wenn es darum geht, eine bessere Aufmerksamkeit für junge Menschen mit Knochenkrebs zu erreichen — demnächst am Rhein-Energie-Stadion.


Helfen Sie mit - am 23.12. am Stadion

Am 23. Dezember sind die „Okiju-Stiftung“ und „wir helfen“ ab 17 Uhr im Rahmen des „Loss mer Weihnachtsleeder singe“-Konzerts mit einem Infostand am Rhein-Energie-Stadion präsent. Die beiden Wohltätigkeitsorganisationen freuen sich über freiwillige Helferinnen und Helfer, die rund um das Stadion Süßigkeiten verteilen, um darüber Spenden zu aquirieren.

Interessierte wenden sich bitte per E-Mail an kontakt@okiju-stiftung.de