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Beratung bei der DiakonieAus zehn wurden 900 Euro Schulden

Lesezeit 4 Minuten

Handyverträge können für junge Menschen schnell zur Schuldenfalle werden.

Köln – Die Sache mit Spotify wurmt Jonas Kessler besonders. Wie aus den zehn Euro, die der Streamingdienst pro Monat kostet, 900 Euro werden konnten. „Die meisten meiner Schulden stammen aus solchen Klecker-Beträgen, mal 20, mal 30 Euro und haben sich hochsummiert,“ erklärt der 28-jährige in einem Besprechungszimmer der Diakonie in der Kölner Südstadt. Seit über einem halben Jahr kommt er regelmäßig hierher, zu Steffen Wittenbecher, der verschuldete Menschen berät.

Zu seinem Handyvertrag gibt es damals kostenlos einen Spotify-Account dazu, der irgendwann automatisch zahlungspflichtig und direkt gesperrt wird, als er die zehn Euro nicht bezahlt. Die Schulden werden nach und nach an verschiedene Inkasso-Unternehmen weiterverkauft, die nun den 90-fachen Betrag von ihm verlangen. Die Verbraucherzentrale bestätigt diese, teilweise rechtswidrige, Praxis. Auch von seinem Handy-Vertrag hat er 2000 Euro Schulden. Statistisch haben zwei Drittel der Schuldner unter 25 Jahren Schulden bei ihrem Handyanbieter.

„Ich wusste nicht, dass ich so viele Schulden habe“

Kessler erzählt in sachlichen, kurzen Sätzen, in leicht bayrischem Akzent, wie es so weit kommen konnte: Er fliegt mit 17 zu Hause raus, macht eine Ausbildung zum Lageristen. Er verletzt sich an der Schulter und kann nicht mehr arbeiten. Er wird drogenabhängig, stiehlt und bricht ein, um an Geld für Drogen zu kommen. Irgendwann muss er deshalb ins Gefängnis. Als er rauskommt, hat er weder Geld noch Arbeit, lebt auf der Straße.

Erst als Kessler bei seiner Freundin einzieht und seit Jahren wieder eine Adresse hat, erreichen ihn die Zahlungsaufforderungen. „Ich wusste nicht, dass ich so viele Schulden habe. Die ganzen Briefe haben mich erschlagen. Das war ein Scheißgefühl“, sagt er. Die Geschichte von Jonas Kessler, der eigentlich anders heißt, bestätigt das, was auch Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale NRW in einem Telefonat mehrfach betont: „Die meisten Menschen geraten unverschuldet in die Überschuldung.“

Natürlich sei auch der unwirtschaftliche Umgang mit Geld ein Faktor, aber wer entlassen wird, sich trennt oder erkrankt, hat auch als junger Mensch ein höheres Risiko, Schulden anzuhäufen. Laut dem Schuldneratlas 2020, einer Untersuchung von Creditreform, sind 1,1 Millionen Menschen unter 30 Jahren in Deutschland verschuldet. Sie machen etwas weniger als ein Fünftel der 6,8 Millionen überschuldeten Personen aus.

Prävention sollte in der Grundschule anfangen

Am Anfang habe Kessler noch versucht, allen hinterher zu telefonieren, erzählt er, aber es waren zu viele. Er merkt außerdem: Ich kann die Schulden nicht abbezahlen. Jetzt nicht und in Zukunft nicht. „Wenn man da einmal drinsteckt, kommt man nicht mehr raus.“

Steffen Wittenbecher kennt viele ähnliche Fälle. Aus kleinen Beträgen werden unübersichtliche Summen. Generell seien die Möglichkeiten, Verträge abzuschließen, Geld auszugeben und sich Geld zu leihen, in der digitalen Welt explodiert. Für junge Menschen sei das bargeldlose Bezahlen oft eine Falle.

Wittenbecher plädiert deshalb für mehr Prävention, für ein Projekt der Diakonie geht er regelmäßig in Schulen. Der Schuldnerberater würde am liebsten schon mit Grundschülern über Geld reden. „In diesem Alter haben die ersten Kinder schon ein Handy mit Zwei-Jahres-Vertrag.“ Auch wenn den die Eltern abschließen, kommen sie schon mit einer finanziellen Verbindlichkeit in Berührung – ohne zu wissen, was das überhaupt bedeutet.

Neustart mit einer Verbraucherinsolvenz

Die Schulen buchen sein Angebot meistens erst ab der siebten Klasse. Da fragt Wittenbecher dann gerne, ob die Schüler wissen, wie viel ihre Eltern verdienen – und erntet entsetzte Blicke. „Gespräche über Finanzen sind immer noch tabu“, sagt er. „Dabei wäre es gut, wenn die Jugendlichen wüssten, von welchem Budget die Familie lebt und wie viel sie zum Beispiel für Kleidung ausgeben.“ In seinen 90-minütigen Vorträgen spricht er außerdem über versteckte Kosten in digitalen Spielen.

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Als Kessler kurz vor Weihnachten das erste Mal bei Wittenbecher im Büro sitzt, alle Rechnungen und Mahnungen in einer Klarsichtfolie, legen sie erst einmal einen Ordner für die Unterlagen an. Dann folgt der Haushaltsplan: Wie viel Geld kommt vom Jobcenter rein? Wie viel gibt er aus? Wie viel bleibt für eventuelle Ratenzahlungen übrig? Nicht viel, vielleicht 20 Euro im Monat.

Damit kann er seine Schulden unmöglich tilgen, deshalb wird Kessler mit der Hilfe seines Schuldenberaters eine Verbraucherinsolvenz beantragen. Damit wäre er nach sorgfältiger Prüfung eines Treuhänders nach drei Jahren schuldenfrei. „Ich will einen Neustart“, sagt Kessler und weiß trotzdem, dass schon seine schlechte Schufa-Auskunft ihn – zum Beispiel bei der Wohnungssuche – noch Jahre begleiten wird. Wittenbechers Projekt zur Prävention wurde derweil eingestellt. Begründung: kein Geld.