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AfD-ErfolgHöcke-Pöbelei und abgeschreckte Fachkräfte – Ökonomen sehen schwere Schäden

Lesezeit 4 Minuten
31.08.2024, Thüringen, Erfurt: Alice Weidel (l), AfD-Bundessprecherin, und Björn Höcke, AfD-Spitzenkandidat in Thüringen, nehmen an einer Demonstration der AfD als Wahlkampfabschluss auf dem Domplatz teil. Am 1. September wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Foto: Martin Schutt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Alice Weidel (l.), AfD-Bundessprecherin, und Björn Höcke, AfD-Spitzenkandidat in Thüringen, beim AfD-Wahlkampfabschluss am 31. August in Erfurt.

Nach dem guten Abschneiden der AfD befürchtet ifo-Chef Fuest eine Abschreckung von Arbeitskräften und Unternehmen in Sachsen und Thüringen.

Bereits vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hatten Wirtschaftsvertreter vor einem Erfolg der AfD gewarnt – offenbar jedoch ohne Erfolg bei den Wählerinnen und Wählern in den beiden Bundesländern. In Thüringen wurden die Rechtsextremen stärkste Kraft, in Sachsen liegen sie knapp hinter der CDU. Nun äußern sich erneut Ökonomen und Vertreter von Wirtschaftsverbänden und zeigen die Konsequenzen auf – angesichts einer ohnehin schlechten Stimmung in Deutschland.

Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, befürchtet negative wirtschaftliche Folgen, insbesondere für die ostdeutschen Bundesländer. „Generell muss man davon ausgehen, dass Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund durch den Wahlerfolg der AfD eher abgeschreckt werden“, sagte Fuest im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ, Dienstagsausgabe). Vor allem bei Neuinvestitionen mit flexiblem Standort würden Unternehmen statt Ostdeutschland „eher andere Bundesländer ins Auge fassen“, sagte Fuest weiter.

Wirtschaftsweise: Verabschiedung der Haushalte in Sachsen und Thüringen könnte lange dauern

Ähnlich äußerte sich Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Er spielte den Ball an die Ampel-Regierung zurück und sprach von einem „deutlichen Warnzeichen“. Der Zulauf zu den politischen Rändern zeige die „starke Verunsicherung der Menschen und das fehlende Zutrauen, dass sich unser Land in die richtige Richtung entwickelt“, erklärte Dulger. Er forderte eine „pragmatische Politik“, die sich an den Problemen der Betriebe und ihrer Beschäftigten orientiere.

Die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, befürchtet zudem eine lange Periode der Unsicherheit und des Stillstands, da die Koalitionsbildung aufgrund der Wahlergebnisse in beiden Ländern schwierig werden könnte. Die Verabschiedung der Haushalte könnte so lange dauern. „Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen“, sagte Schnitzer weiter.

Bereits vor der Wahl hatte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, gesagt, die AfD sei wegen ihrer europakritischen Haltung „Gift für unsere Wirtschaft“.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen SPD es knapp in die Landtage von Sachsen und Thüringen schaffte, reagierte auf diese Dimension des AfD-Erfolgs. „Die AfD schadet Deutschland. Sie schwächt die Wirtschaft, spaltet die Gesellschaft und ruiniert den Ruf unseres Landes“, schrieb Scholz am Montag (2. September) im Netzwerk X.

AfD-Erfolg im Osten verschärft Strukturprobleme

Genau die Strukturprobleme in den östlichen Bundesländern, aufgrund derer viele Menschen sich bei den Wahlen gegen die etablierten Parteien entschieden haben, könnten sich durch den Erfolg der AfD noch verschärfen. Die Abwanderung aus abgelegenen oder sogar abgehängten Regionen verstärkt sich bei einer Verschärfung des politischen Klimas. Dies betrifft beispielsweise das Gesundheitswesen, aber auch die Verkehrsinfrastruktur oder das Bildungswesen.

Dies geht so weit, dass ifo-Chef Fuest sogar von „Versorgungsengpässen“ in bestimmten Regionen spricht, die vom Fachkräftemangel ausgehen. Er bezieht sich konkret auch auf die medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten in Ostdeutschland. Schon jetzt herrscht dort Ärztemangel, und viele Krankenhäuser werden geschlossen oder Klinik-Abteilungen stellen den Betrieb ein.

„Klappe halten“: Björn Höcke gegen Familienunternehmen

Selbst einzelne Konzerne wie die Supermarktkette Edeka hatte ihre Kundinnen und Kunden im Vorfeld der Wahl dazu aufgerufen, der AfD nicht ihre Stimme zu geben. Vor der Europawahl hatte der Familienunternehmer Reinhold Würth seine Belegschaft zur Positionierung gegen die Rechtspopulisten aufgerufen.

Gegen die Kampagne mehrerer Familienunternehmen für Vielfalt hatte AfD-Rechtsaußen Björn Höcke gestänkert und diese als „Heuchelei“ bezeichnet. „Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen“, hatte Höcke bei einer Wahlkampfveranstaltung in Sömmerda gesagt. Diese Unternehmen sollten die „Klappe halten“.

Demokratie-Reportage von Jessy Wellmer: Führungskraft mit Migrationshintergrund in Sorge wegen AfD

Hinzu kommt, dass viele Führungskräfte und Unternehmensgründerinnen und -Gründer einen Migrationshintergrund haben. Sie könnten mittelfristig auch keine Zukunft mehr in Ostdeutschland sehen. So stellte Jessy Wellmer in ihrer ARD-Reportage „Machen wir unsere Demokratie kaputt?“ kürzlich einen Betrieb bei Görlitz in Sachsen vor, der sich auf die Produktion von Fallschirmen spezialisiert hat. Geschäftsführer Serdar Kaya ist türkischstämmig.

Er sagt, er habe tatsächlich Angst, dass er irgendwann einer derjenigen sein könne, die „remigrieren“ sollen. „In ein Land, in dem ich noch nie gelebt habe“, so Kaya über die Türkei. Er habe die Hoffnung, dass es so weit nicht komme, denn er wolle gern sein Leben „hier weiterleben“. Den Rückhalt seiner Belegschaft hat er offenbar – allerdings unterscheiden viele hier zwischen „guten“ Migranten und denen, die „sich nicht benehmen“, wie Wellmer in Gesprächen herausfand.