Berlin – Jahrelang war diskutiert worden, vor einem knappen Jahr wurde sie dann zum Gesetz – und zum politischen Großprojekt: die Frauenquote für Aufsichtsräte in der Wirtschaft. Schreckensszenarien und Heilsversprechen gab es seinerzeit viele, die Bilanz sieht aus Expertensicht nun gemischt aus: Einiges wurde durch das „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen“ erreicht, doch viele deutsche Unternehmen haben noch Nachholbedarf bei der Gleichstellung.
Mythen der Branche
So sieht es jedenfalls Julia Despina Dormaar, Abteilungsleiterin der Personalentwicklung in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. „Es reicht nicht aus, einfach mehr Frauen einzustellen“, sagte sie am Montagabend bei einem Fachgespräch im Bundestag. Um Bilanz über das erste Jahr mit der gesetzlichen Frauenquote für Aufsichtsräte zu ziehen, hatte die Bundestagsfraktion der Grünen eingeladen. Dormaar zufolge gibt es nicht „die eine Maßnahme“, um eine nachhaltige Veränderung in Unternehmen zu erreichen. Stattdessen bedürfe es einem grundsätzlichen Wandel in der Gesellschaft sowie in den Unternehmen.
Firmen müssten einerseits alte Mythen ihrer Branche hinterfragen: bei Ernst & Young etwa das traditionelle Bild des Wirtschaftsprüfers mit grauem Anzug und Aktentasche. Andererseits seien aber auch neue Arbeitskonzepte nötig, um die Gleichstellung weiter voranzubringen, zumal sich in vielen Bereichen schlichtweg insgesamt die Ansprüche der Arbeitnehmer geändert hätten – unabhängig vom Geschlecht.
„Das dicke Auto und das große Büro“
Elke Holst sieht das ähnlich. Der Forschungsdirektorin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge sind „das dicke Auto und das große Büro“ nicht mehr das attraktivste Argument für viele Beschäftigte. Stattdessen werde immer mehr Wert auf ein flexibles Zeitmanagement gelegt. Neue Konzepte seien deshalb dringend nötig und müssten auch von der Politik berücksichtigt werden. „Wenn mehr Frauen in Führungspositionen kommen, kann die Arbeitsaufteilung nicht so bleiben wie sie ist“, so Holst. Die bisherige Entwicklung in der Umsetzung der Quote vergleicht Holst mit „einem Ritt auf der Schnecke.“ Der Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten großer deutscher Unternehmen erhöhe sich zwar, jedoch nur sehr langsam.
Einig waren sich die Politikerinnen und Fachleute darüber, dass mit der Einführung des Gesetzes bereits die ersten Schritte in die richtige Richtung gegangen worden seien: Die etwa 100 großen Firmen, die von diesem Jahr an die 30-Prozent-Quote bei den Aufsichtsratsbesetzungen zu erfüllen haben, scheinen das Ziel zu schaffen. Die Spitzenreiter darunter sind nach Angaben der Grünen die Firma Henkel mit 44 Prozent Frauen im Aufsichtsrat, gefolgt von der Münchner Rück mit 40 Prozent sowie Merck und Infineon mit je 37,5 Prozent Frauenanteil. Fresenius Medical Care hat nach wie vor keine einzige Frau im Aufsichtsrat, jedoch erstmals in der Unternehmensgeschichte zwei Frauen für das Gremium vorgeschlagen.
Luft nach oben
Was die 3500 Unternehmen angeht, die nach dem Quotengesetz dazu verpflichtet sind, sich eigene Quotenziele zu geben, gebe es jedoch noch viel Luft nach oben. Viele der Unternehmen hätten ihren aktuellen Frauenanteil als erste Zielquote festgelegt und das Gesetz damit unterlaufen. Unter anderem auch deshalb müsse weiterhin über mögliche Sanktionen nachgedacht werden.
Insgesamt sei es wichtig, auf Seite der Unternehmen mehr Transparenz zu schaffen und bei der Realisierung der Gleichstellung der Frau auch die Männer einzubeziehen. „Ohne die Männer geht es nicht“, sagte eine Zuschauerin. Sie verwies darauf, dass nach wie vor viele Diskussionen – etwa auch das Fachgespräch der Grünen – fast ausschließlich von Frauen geführt werden. Zwischen etwa 30 Frauen waren nur zwei Männer im Raum.
In eine ähnliche Richtung argumentierte Jutta von Falkenhausen, Vizepräsidentin des Vereins „Frauen in Aufsichtsräte“: Langfristiges Ziel müsse es sein, „Kulturen zu schaffen, in denen es selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen Verantwortung übernehmen“. Um das zu erreichen, darüber herrschte Konsens, gibt es allerdings noch viel zu tun.