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Klimafreundliche Häuser in Köln„Es ist immer einfacher, nach dem Status quo zu bauen“

Lesezeit 8 Minuten
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Solarpanel auf Dächern in Köln-Widdersdorf

  1. Rund ein Viertel des deutschen Energieverbrauchs entfällt auf private Haushalte. Gleichzeitig produziert die Baubranche rund 50 Prozent des gesamten deutschen Abfalls.
  2. Nachhaltige Veränderungen müssen her – Kölner Expertinnen und Experten erklären, wie die aussehen könnten.

Köln – Hoch oben im Kölner Norden, an einem großen Acker in Worringen, steht ein Gebäude, das mehr Energie erzeugt als es verbraucht. Eines mit riesigen Fenstern, mit Photovoltaik und Solarthermie auf dem Dach, mit einem sogenannten Wärmesee dort, wo sich sonst ein Keller befände sowie Dach und Böden, die vereinfacht gesagt mit Altpapier gedämmt sind.

Vor dem Gebäude parkt ein dreirädriges Elektroauto aus dem Jahr 1996. In dem Vier-Parteien-Haus lebt der Ingenieur Andreas Nordhoff in einem Musterbeispiel für seine Arbeit. „Ich habe von Anfang an gesagt: Unter vier Wohneinheiten baue ich hier nicht“, sagt er. „So konnte ich mit relativ wenig zusätzlichen Baumaterialien deutlich mehr Wohnraum schaffen.“

Nordhoff ist Ingenieur und Passivhausplaner. Der Geschäftsführer von IBN Passivhaus-Technik plant Gebäude, die nur etwa ein Fünftel der Energie verbrauchen, die der gesetzliche Mindeststandard vorschreibt. Unter seinen Referenzprojekten finden sich Schulen und Büros, Heime, Ein- und Mehrfamilienhäuser, ganze Siedlungen. Im Falle seines eigenen Hauses kombinierte er das Passivhauskonzept mit Photovoltaik und Solarthermie, so dass es zum Plusenergiehaus wurde.

Wäre das in Deutschland Standard, der Weg zur Erreichung der Klimaziele wäre deutlich kürzer. Laut Umweltbundesamt entfiel hierzulande im Jahr 2018 rund ein Viertel des gesamten Endenergieverbrauchs auf private Haushalte. Die Sensibilität für die Problematik ist gestiegen: Das nachgebesserte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung sieht zumindest eine Erhöhung der Standards für Neubauten vor, der CO₂-Preis verteuert seit Beginn des Jahres den Einsatz fossiler Energieträger, am 1. Juli 2021 startet die neue Bundesförderung für effiziente Gebäude (siehe Beistück).

Das Haus wärmer anziehen

Passivhäuser zeigen, wohin die Reise gehen muss. Wenn Nordhoff ihre Funktionsweise erklären möchte, bedient er sich eines einfachen Bildes: Er vergleicht einen Altbau mit einem nackten Menschen im Schnee – und das Passivhaus mit einem Menschen im dicken Pullover, der eine windabweisende Jacke, Mütze und Handschuhe trägt. „In einem ersten Schritt geht es darum, das Gebäude wärmer anzuziehen – also vernünftig zu dämmen“, sagt er. „Außerdem müssen Energieverluste minimiert werden.“ Dabei helfen die Dreifachverglasung und der luftdichte Abschluss des Gebäudes durch spezielle Kleber.

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Das Plusenergiehaus von Andreas Nordhoff in Köln-Worringen

Es gibt viele weitere Stellschrauben: eine kluge Belüftungsanlage mit sehr guter Wärmerückgewinnung, zum Beispiel, und die großen Fenster, die Sonne ins Haus lassen. Die hauseigene Solarthermie erzeugt viel mehr Wärme als akut benötigt, so dass Nordhoff sie unter das Gebäude in den „Wärmesee“ leiten kann: Über den Sommer erhitzt sich das Erdreich dort auf mehr als 30 Grad – und wenn der Winter beginnt, verfügt das Haus so über eine natürliche Fußbodenheizung. Außerdem dient sie als Wärmequelle für die Wärmepumpe. Und die Photovoltaik-Panels auf dem Dach erzeugen genug Strom, um damit auch Elektrofahrzeuge wie den dreirädrigen „Twike“ vor der Tür zu laden. Nur im Winter muss Nordhoff Ökostrom zukaufen, dann, wenn die täglichen Sonnenstunden weniger werden.

„Keine Raketentechnik“

„Eigentlich müssen wir heute keine Häuser mehr bauen, die Energie verbrauchen“, sagt Stefanie Jutkeit. Die Architektin ist Projektentwicklerin bei der Kölner Projektentwicklungs- und Beratungsgesellschaft Baudata. So ein klimafreundliches Haus sei „keine Raketentechnik“, fügt sie hinzu, und bezahlbar sei es auch.

Jutkeit hat sich bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) fortbilden lassen, dem Anbieter der wichtigsten Zertifizierung in diesem Bereich für deutsche Bauprojekte. Sie hat lange Jahre in der Schweiz gearbeitet und unter anderem ein Buch über eine große Holzbausiedlung geschrieben: fast energieautark, autofrei und genossenschaftlich. „Alles Themen, die nicht wirklich neu sind, aber in denen uns viele Nachbarländer oder Skandinavien ein ganzes Stück voraus sind. Sie haben eine andere Baukultur als wir. In Deutschland sind Baumaterial und Technik extrem reguliert.“

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Stefanie Jutkeit

Wer also besonders klimafreundlich bauen möchte, kann schnell auf Hindernisse stoßen. „Jede Schraube ist genormt“, sagt Stefanie Jutkeit. „Wenn du sie durch ein nachhaltiges Äquivalent ersetzen möchtest, brauchst du dafür eine Zulassung. Es ist immer einfacher, nach dem Status quo zu bauen; nach dem, was man in der Schublade hat.“ Investoren kalkulierten ihre Vorhaben auf Basis alter Projekte – deren Prozesse an vielen Stellen nicht auf innovative, nachhaltige Vorhaben anwendbar sind. Der Mehraufwand macht Prozesse deutlich langwieriger.

Umständliche Stellplatzverordnungen

Stefanie Jutkeit nennt das Problem der Parkplätze: In Deutschland regeln Stellplatzverordnungen, dass bei Neubauprojekten eine bestimmte Anzahl nachgewiesen werden muss – wer autofrei bauen will, muss dazu erst einmal in Verhandlung mit den Behörden treten. „Und das ist nur ein Aspekt von Hunderten.“

Das Ringen um mehr Nachhaltigkeit, es kann ein zähes sein: aufseiten der Verwaltung, der Wirtschaft, der Bevölkerung, der Politik. Baudata-Geschäftsführer Hermann Jutkeit mahnt, Diskussionen müssten frei von Ideologien geführt werden. Als Beispiel nennt er die starke Fokussierung der Debatte auf das Verhindern von Versiegelung. „Zunächst müssen wir Klimaziele definieren. Und dann müssen wir uns über die Instrumente verständigen. Wir dürfen nicht einzelne verabsolutieren“, sagt er. „Für ein Problem wird eine einzige Lösung präsentiert – obwohl es viele Entwicklungen, viele Lösungen gibt.“ Er spricht von Photovoltaik und lokaler Begrünung, Luftschneisen, dem Für und Wider von Nachverdichtung und Aufstockung, der Bedeutung des ÖPNV.

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Hermann Jutkeit

Experten müssten viel stärker in den gesellschaftlichen Diskurs eingebunden werden – und die Stadtgesellschaft als Ganze entscheiden, wohin sie steuern möchte. Top-down-Entscheidungen seien nicht der richtige Weg. „Alle müssen an einem Tisch sitzen: Umweltverbände, Bevölkerung, die demokratischen Parteien.“ Denkbar seien sogenannte Entwicklungsbeiräte, die der Bevölkerung langfristige Mitspracherechte einräumen.

Bauvorhaben nach Energieleitlinien

Die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln teilt auf Anfrage mit, man pflege „zum übergeordneten Thema Nachhaltiges Bauen und dessen Umsetzung in den Kommunen einen regelmäßigen Austausch mit anderen Kommunen und Institutionen im Rahmen verschiedener Arbeitskreise und –gruppen“.Zu den eigenen Zielen und Vorgaben heißt es, für städtische Neubau- und Sanierungsvorhaben würden die Energieleitlinien der Stadt Köln angewendet. „Die für alle Bauvorhaben der Gebäudewirtschaft gültigen Energieleitlinien definieren einen Energiestandard, der die gesetzlichen Anforderungen übersteigt. Die Energieleitlinien spiegeln den aktuellen Stand der Technik wider und werden bei Bedarf fortgeschrieben.“ Eine wichtige Rolle spiele außerdem die Auswahl umweltverträglicher und klimaschonender Baumaterialien und Recycling. Weitere Projekte seien „in Vorbereitung“.

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Und das wird nötig sein: Das Bauwesen zählt zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen Deutschlands. Nach Angaben des Zentrum Ressourceneffizienz werden jährlich 517 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut, dazu kommen viele weitere Millionen Tonnen Zement und Baustahl. Die 209 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle entsprächen 52 Prozent des deutschen Abfallaufkommens.Auch die Stiftung Baukultur mahnt, die in Deutschland gebaute Umwelt beanspruche jährlich „mehr als 50 Prozent der verbrauchten Ressourcen, produziert über 50 Prozent des gesamten Abfalls und gehört gleichzeitig zu den energieintensiven Branchen“.

Der Bestand als Schlüssel

Andreas Nordhoff hat in seinem Vier-Parteien-Haus auf umweltverträgliche Baustoffe gesetzt: Altpapier (genauer: Cellulose) als Dämmstoff, eine Konstruktion aus Porenbeton im Erdgeschoss und einem Holzbau darüber. „Dämmstoff und Konstruktion sind die größten Einflussfaktoren“, sagt er. Und doch sagt er, der Hausplaner, auch: Die erste Frage, die man sich vor dem Bau stellen müsse, sei, ob denn nicht auch eine Bestandsimmobilie in Frage komme.

Fakt ist: Der Bestand – der immerhin den weit überwiegenden Anteil der Wohnimmobilien ausmacht – muss ein zentraler Teil der Veränderung sein. „Wir müssen uns anschauen, wo der größte Energiebedarf anfällt“, sagt Philip Gotzen, Nachhaltigkeitsreferent bei Baudata. „Neubauten machen etwa vier Prozent aller Wohnimmobilien in Köln aus. Siebzig Prozent wurden vor 1990 gebaut. Wenn wir Klimaneutralität erreichen wollen, müssen wir sanieren.“ Das fordert auch ein Bündnis aus DGNB, Deutscher Umwelthilfe und Bundesarchitektenkammer: Eine Million Gebäude müssten pro Jahr saniert werden. Andernfalls seien die Klimaziele nicht mehr zu erreichen.

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Philip Gotzen

„Die von uns gestellten Forderungen sind keinesfalls utopisch, sondern fußen auf plausiblen Annahmen und einem umfassenden Wissen über die praktischen Möglichkeiten im Bereich des nachhaltigen Bauens“, sagte DGNB-Geschäftsführerin Christine Lemaitre damals. „Es ist aber nur machbar, wenn der notwendige Gestaltungs- und Entscheidungswille auch aufseiten der politischen Entscheidungsträger vorhanden ist.“ Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, verwies darauf, dass ehrgeizige Klimaschutzziele nicht dadurch erreicht würden, dass sie politisch beschlossen würden, „sondern durch Herunterbrechen auf sinnvolle Nachweisverfahren, Förderinstrumente und daraus resultierende operative Bautätigkeit.“

Zuletzt kritisierte die DGNB in einer Stellungnahme die Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz der Bundesregierung als „bei weitem nicht genug“. „So sehr es zu begrüßen ist, dass Sie das 2050-Ziel nach vorne verschoben haben, so gering ist seine Wirkung, weil es noch immer viel zu kurz springt“.

Projekte in Kommunikation denken

Bemüht, aber nicht konsequent genug – so lautet das Urteil an vielen Stellen. Gotzen verweist darauf, dass Leuchtturmprojekte bei weitem nicht mehr ausreichen, um Wandel zu gestalten. Nachhaltiges Bauen müsste zum neuen Normal werden. „Wir müssen uns zum Beispiel fragen, wie sinnvoll es ist, in Einzelmaßnahmen zu denken –ob man nicht besser statt eines Hauses gleich eine ganze Häuserreihe sanieren müsste. Die Maßnahmen müssen viel stärker in Kommunikation miteinander stehen.“ Zum Beispiel, schlägt er vor, in dem die Abwärme eines Schwimmbades für die benachbarte Schule genutzt würde.

Aktuell wolle jeder „sein grünes Aushängeschild raushängen“, sagt Nordhoff. Fragt man ihn, wo die Reise hingeht, hat er trotzdem Hoffnung – vor allem mit Blick auf die Förderungen. Auch wirtschaftlich betrachtet ergebe es fortan keinen Sinn mehr, nur gesetzlichen Mindeststandard zu bauen. Sein eigenes Haus baute er für 1500 Euro pro Quadratmeter – und mit einem „Bruchteil der Förderung, die heute möglich wäre“.