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Rewe Pick & Go am NeumarktWie der Einkauf ganz ohne Kasse funktioniert

Lesezeit 6 Minuten
Rewe Pick& Go

Blick in den Pick & Go-Markt am Neumarkt

Köln – Ein wenig ungewohnt ist es schon: So durch den Supermarkt zu laufen und einfach Lebensmittel in der Jackentasche verschwinden zu lassen, oder im eigenen Rucksack. Am Ende ohne Stopp an der Kasse wieder durch die Tür nach draußen zu treten und nach Hause zu gehen, einfach so. Zwischen einem normalen Einkauf und einem Ladendiebstahl liegt im Rewe City auf der Zeppelinstraße künftig nur noch ein einziger Handgriff: der, das eigene Mobiltelefon mit der „Rewe Pick and Go“-App vor den Scanner im Eingangsbereich zu halten.

Die Kölner Handelskette Rewe testet am Neumarkt ein Konzept, das es bislang nur im Ausland gibt: einen Einkauf, der ganz ohne Bezahlvorgang an der Kasse auskommt. Die Kundschaft braucht nur die entsprechende App herunterzuladen und sich beim Betreten anzumelden – den Rest erledigt die Technik im Hintergrund.

Testkauf funktioniert fehlerlos

Und von der gibt es so einige in diesem Markt, auch wenn sie für den Betrachter nahezu unsichtbar ist. Rewe arbeitet hier mit Trigo Vision zusammen, einem Unternehmen, das auf Computer-Vision-Technologie spezialisiert ist. Mithilfe von rund 200 Kameras – unauffällige schwarze Kreise an der Decke – wird ein 3D-Modell des Ladens erstellt, das jeden Winkel abdeckt. Es erfasst die Bewegungen der Menschen im Raum. Unter den Regalen befinden sich zusätzlich Gewichtssensoren, die erkennen, wenn etwas herausgenommen wird. „Die Menschen werden dabei unkenntlich gemacht“, sagt Projektleiterin Anika Vooes. „Das System muss nur erkennen, dass da eine Hand ins Regal greift.“

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Rewe Pick& Go 2

Der Scanner am Anfang des Pick& Go-Ladens

Obst, Kaffee, ein Mittagessen an der Theke – all das können Kunden auf diese Art kaufen. Auch das Zurücklegen von Ware ins Regal erkennt das System. „Das Handy wird dabei nur für den Check-in benötigt. Erst beim Verlassen des Marktes wird die Abrechnung angestoßen“, sagt Vooes.

Dann sehen die Kunden auch, was sie gekauft haben und können etwaige Fehler reklamieren. Beim Testkauf funktioniert das fehlerlos: Im System steht die richtige Schokoriegel-Sorte, obwohl sie zweimal ausgetauscht wurde, auch der leichte Tortenguss wurde vom Zusammenspiel aus Kamera und Gewichtssensor richtig erfasst.

Deutschland hinkt bei Innovationen hinterher

Während der automatisierte Einkauf in China bereits gang und gäbe ist und in den USA vor allem von Amazon vorangetrieben wird, ist Rewes Pick & Go-Markt in Deutschland einzigartig. „Deutschland hängt bei Innovationen im Handel immer ein wenig hinterher – egal, ob es um Zahlungsarten oder automatisierte Konzepte geht“, sagt Eva Stüber, Expertin am Handelsforschungsinstitut IFH Köln. Dabei gewännen sie immer mehr an Bedeutung: „Der wichtigste Treiber im Konsumverhalten ist die Bequemlichkeit: Alles muss schnell und einfach sein.“ Die bisherigen Prozesse im Lebensmitteleinzelhandel – erst die Ware in den Korb, dann aufs Band, dann in die Tasche – würden dem nicht gerecht.

Zwar zeigten Umfragen immer wieder, dass die Deutschen Neuerungen häufig skeptisch gegenüber stünden. „Aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Die Menschen, die diese Konzepte schon ausprobiert haben, nehmen sie gut an.“

Immer mehr Konzepte im Einzelhandel

Und tatsächlich versuchen sich auch hierzulande immer mehr Händler an neuen Konzepten. Rewe selbst bietet mittlerweile in mehr als 100 Märkten den Einkauf mit Handscanner an: Dabei scannt die Kundschaft ihre Ware selbst, wenn sie sie aus dem Regal nimmt, und begleicht die Rechnung an der Selbstzahler-Kasse. Auch Händler wie Globus bieten den selbstgescannten Einkauf an, genau wie der Marktforschungs-Supermarkt Go2Market, der im Juni in Köln öffnet. Im Düsseldorfer Medienhafen eröffnete im November mit „Typy“ ein vollautomatisierter Supermarkt. Dort stellen Kunden ihren Einkauf aus rund 750 Artikeln am Bedienterminal zusammen. Ein ähnliches Konzept verfolgt Tegut.

Und man könnte die Liste immer weiter fortsetzen: Automatenverkäufe, bei denen Erzeuger zum Beispiel frische Milch und Eier anbieten. Die stetig wachsende Zahl an Lieferdiensten. Oder Modelle wie das von „Blaenk“ in der Kölner Schildergasse, bei dem sowohl der Digitalisierung als auch der steigenden Bedeutung eines Einkaufserlebnisses Rechnung getragen werden soll. Die Geschäftsführer setzen hier auf Kooperationen mit großen Qualitätsmarken und kleinen Start-ups.

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Kameras erfassen die Bewegungen im Raum und geben den Unternehmen, die die Flächen mieten, anonymisiert Auskunft über das Kundeninteresse. Bezahlt werden kann an der Selbstzahlerkasse, die Ware kann auch nach Hause geschickt werden. Auch das Rewe-Konzept hat laut Stüber den Vorteil, dass der traditionelle Einkauf im Markt weiter möglich bleibt – und so keine Barrieren entstehen. „Menschen, die dem Modell skeptisch gegenüberstehen, werden langsam herangeführt.“

„Unbestritten, dass Tätigkeiten des Personals wegfallen“

Vor allem zwei Bedenken werden in Deutschland schnell laut, wenn es um automatisierte Konzepte geht: dass Arbeitsplätze abgebaut und zu viele Daten erfasst werden könnten. Bei Rewe verweist man darauf, dass die 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Markt weiter gebraucht würden. Die Kunden schätzten den persönlichen Kontakt. Auch Stüber sieht hier kein Problem. „Es ist unbestritten, dass mit zunehmender Automatisierung Tätigkeiten des Personals wegfallen. Das bedeutet aber nicht, dass es weniger Arbeitsplätze gibt – nur eben andere Tätigkeiten.“ Mit Blick auf den Datenschutz betont sie, dass es wichtig sei, die Menschen zu sensibilisieren. Die Datenschutzgrundverordnung bilde aber ein sicheres Gerüst.

Im „Pick&Go“-Markt am Neumarkt wird das neue Konzept derweil erst einmal ausschließlich intern erprobt. „Erst beim Testen merken wir, was funktioniert und wo vielleicht Herausforderungen liegen“, sagt Vooes. Sie ist seit rund einem Jahr mit dem Projekt betraut, insgesamt laufen die Vorbereitungen schon zwei Jahre.

Anika Vooes

Projektleiterin Anika Vooes vor dem Datenschutzhinweis

Nicht auf alle Fragen gibt es zum derzeitigen Zeitpunkt schon Antworten: Zum Beispiel darauf, ob das System nicht diebstahlanfällig sein könnte. „Ohne Erfahrungswerte ist das schwierig zu beurteilen“, sagt sie. „Fühlen die Leute sich stärker überwacht? Oder versuchen sie, das System auszutricksen? Aber diese klassischen Prozesse sind für uns ohnehin erst einmal zweitrangig. Wichtiger ist, dass die Warenkörbe stimmen, die Abläufe funktionieren.“

Kleiner Standort für den Einkauf ohne Kasse

Der Standort ist ideal für einen Modellversuch. Mit 200 Quadratmetern ist er sehr klein, die größten Rewe-Märkte kommen auf bis zu 6000 Quadratmeter. Auch das Sortiment ist mir rund 2000 Artikeln – das meiste auf den Unterwegs-Verzehr und Snacks fokussiert – vergleichsweise übersichtlich. „Je mehr Menschen, Artikel und Fläche zusammenkommen, desto mehr Kameras und Rechenleistung brauchen wir“, sagt Vooes. In den nächsten Wochen muss sich das System nun beweisen: dass es auch zu stärker besuchten Zeiten so einwandfrei läuft, dass die Fehlerquote gering bleibt.

Wie viel Rewe hier genau investiert hat, verrät das Unternehmen nicht. „Die Kosten von heute sind nicht das Entscheidende. Die Hardware-Kosten werden sinken. Wir sind hier, um Neues zu testen – zu schauen, wie wir das Einkaufen noch bequemer machen können.“ Voraussichtlich im Spätsommer können dann alle Kunden am Neumarkt per „Pick & Go“ einkaufen – oder, wenn sie es denn bevorzugen, weiter die Kasse nutzen.