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Kölner Expertin über ArbeitsmarktWarum auch gute Berufe immer schlechter bezahlt sind

Lesezeit 4 Minuten

  1. Obwohl in Köln mehr Menschen denn je berufstätig sind, fühlt sich jeder vierte von Armut bedroht.
  2. Der Arbeitsmarkt sieht nur auf dem Papier so gut aus, sagt eine Expertin. Immer mehr Menschen arbeiten in schlechten Bedingungen für zu wenig Geld.
  3. Auch vormals sichere Branchen wie der Lehrerberuf oder Handwerker sind betroffen.

KölnFrau Dowideit, heute sind mehr Kölner berufstätig denn je – trotzdem fühlt sich jeder vierte von Armut bedroht. Wieso?

Der Arbeitsmarkt sieht auf dem Papier sehr gut aus. Viele Jobs, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, sind aber sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Zeitarbeit oder flexible Teilzeit. Die Arbeitgeber verschieben dabei Flexibilität zunehmend auf den Arbeitnehmer.

Sie rufen Arbeitskraft nur dann ab, wenn sie sie brauchen. Das führt dazu, dass Arbeitnehmer keine Planungssicherheit mehr haben; nicht mehr wissen, wie viel Geld sie am Monatsende auf dem Konto haben werden. Außerdem steigen Kosten für Miete und Lebenshaltung stärker als die Löhne – gerade in Köln.

Wieso nehmen atypische Beschäftigungsverhältnisse zu?

Diese Entwicklung hat mit der Agenda 2010 begonnen, die den Arbeitsmarkt für die Arbeitgeber flexibilisieren sollte. Die Regierung hat damals nicht abgesehen, dass diese Flexibilisierung so stark ausgenutzt werden würde – nicht nur in konjunkturschwachen Phasen. Der Arbeitsmarkt ist dadurch ein Stück weit in Schieflage geraten.

Zur Person

Anette Dowideit ist Journalistin und Autorin. Nach Büchern über die Altenpflege und das Gesundheitssystem hat sie nun eines über Arbeit geschrieben:

„Die Angezählten. Wenn wir von unserer Arbeit nicht mehr leben können“ ist im August im Campus-Verlag erschienen.

Dowideit ist Diplom-Volkswirtin und Chefautorin der „Welt“, wo sie Mitglied des Investigativteams ist. Sie lebt in Köln. (elb)

In New-Work-Konzepten gilt Flexibilität oft als Plus. Wie passt das zusammen?

New-Work-Arbeitsverhältnisse sind ein gutes Beispiel dafür, wie wir uns als Arbeitnehmer in vielen Fällen selbst ausbeuten. Flexible Modelle werden als etwas Positives dargestellt. Dabei hat man dort immer öfter keinen Arbeitgeber mehr und rutscht schnell in die sogenannte Gig-Economy. Dort werden Aufträge kurzfristig an Selbstständige vergeben. Das gibt es in der IT, in den Medien, bei Architekten oder Anlageberatern. Dieses Modell birgt die Gefahr, dass die eigene Arbeit zu Preisen angeboten wird, von denen man nicht nachhaltig leben kann. Dadurch bleibt zum Beispiel die Altersvorsorge auf der Strecke. Wie soll es aber in Zukunft funktionieren, wenn Millionen von Menschen deshalb in Altersarmut rutschen, wer soll für ihre Absicherung aufkommen, wenn die dann arbeitende Generation zu noch größeren Teilen in der Gig-Economy arbeitet?

Muss unser Sozialversicherungssystem an den neuen Arbeitsmarkt angepasst werden?

Mein Vorschlag ist: Der Konsument einer Dienstleistung sollte für denjenigen, den er beauftragt, in dessen Sozialversicherungskonto einzahlen. Dafür müsste man das System vollständig umstellen. Aber wenn wir bedenken, wie stark der Arbeitsmarkt sich wandelt, wäre das eine Möglichkeit, Altersarmut zu verhindern.

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Welche Rolle kommt bei der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse uns als Konsumenten zu?

Wir haben uns so daran gewöhnt, dass Dienstleistungen billig zu haben sein sollen, dass wir nicht mehr hinterfragen, wie diese Preise zustande kommen. Das gilt zum Beispiel, wenn wir für 20 Euro in den Urlaub fliegen mit Fluggesellschaften, die ihre Angestellten in Leiharbeit oder in Ich-AGs beschäftigen.

Aber das Ganze ist ein Teufelskreis: Wenn Menschen in unsicheren Anstellungsverhältnissen nicht mehr genug verdienen, können wir schlecht von ihnen verlangen, dass sie nur noch zu guten Konditionen einkaufen. Die Lösung für dieses Problem liegt nicht nur im Konsumentenverhalten sondern vor allem auch in der Politik.

Was sollte die Politik tun?

Wir brauchen eine Rückkehr zu klassischen Beschäftigungsverhältnissen und dort, wo es möglich ist, auch zu einer Tarifbindung. Teilweise geht die Entwicklung auch schon in diese Richtung. Arbeitsminister Hubertus Heil hat angekündigt, in der Pflege einen allgemein verbindlichen Tariflohn einzuführen. Mit Blick auf die Digitalisierung und Automatisierung von Jobs ist es wichtig, dass die Politik Modelle für lebenslanges Lernens etabliert. Wir dürfen nicht mehr davon ausgehen, dass wir einen einmal gelernten Beruf für immer ausüben werden. Wir müssen umlernen können.

Schwierige Branchen

In den vergangenen Jahren sind auch vormals klassische Mittelstandsberufe nicht mehr so sicher wie einst. Drei Beispiele.Lehrer: Der Lehrerberuf klingt nach Sicherheit wie kaum ein anderer. Doch die, die nicht verbeamtet werden, hangeln sich aber oft von einem befristeten Vertrag zum nächsten. In einigen Bundesländern ist es stark verbreitet, Verträge vor den Sommerferien auslaufen zu lassen. Bis zum Start des neuen Schuljahrs müssen sich Lehrer regelmäßig arbeitslos melden.Handwerker: Eigentlich, objektiv gesehen, müsste es dem Handwerk hervorragend gehen. Anfang 2019 gab es im Handwerk laut Arbeitsagentur 150 000 offene Stellen. Dennoch spiegelt sich das nicht im Gehalt: Je nach Region verdienen sie im Schnitt unter 2000 Euro brutto.Der Einzelhandel: Früher einmal zählte der Einzelhandel zur klassischen Mittelschicht. Durch die Konkurrenz im Onlinehandel haben sich Modelle wie flexible Teilzeit durchgesetzt, wo Angestellte nur auf Abruf arbeiten. Anstatt Fachkräften werden immer öfter ungelernte Kräfte eingestellt. (elb)