Rheinenergie-Chef Dieter Steinkamp spricht im Interview über die verlorene Ausschreibung um die Stromversorgung der Stadt.
Außerdem erläutert er die Pläne zur Umstrukturierung der Eon-Beteiligung und warum es bei der Umsetzung von Klimazielen hakt.
Köln – Herr Steinkamp, außer Corona ist Klimaschutz das Thema unserer Zeit. Wo steht ein konventionelles Unternehmen wie die Rheinenergie?Wir haben uns für Köln und die Region in puncto Klimaschutz harte Ziele gegeben. Dazu gibt es kurz gesagt drei Eckpunkte: Unsere Wasserversorgung wird klimaneutral spätestens im Jahr 2025. Das Massengeschäft mit Strom wird klimaneutral bis 2030 und bei Wärme inklusive Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung muss das bis spätestens im Jahr 2040 gelingen. Damit hätten wir dann alle von uns direkt beeinflussbaren Sektoren erfasst. Allerdings sind die Herausforderungen sehr unterschiedlich. Eine klimaneutrale Wasserversorgung zu organisieren ist überschaubar. Für CO2-freie Wärme im vorhandenen großstädtischen Baubestand – wie bei uns – hat heute noch keiner eine massentaugliche und zugleich bezahlbare Lösung. Da bleibt Fernwärme mit Erdgas bis auf Weiteres die CO2-ärmste Alternative, die es beim Stand der Technik heute gibt. Darüber hinaus bekommen von uns Industrieunternehmen wie zum Beispiel Ford oder Deutsche Infineum große Mengen Prozess-Wärme, für die es ebenfalls so schnell keine CO2-freie Ersatzenergie gibt. Mit unserer Produktion helfen wir aktiv bei der Standortsicherung. Da geht es auch um Zehntausende Arbeitsplätze.
Das klingt betrüblich, Erdgas ist weiterhin ein fossiler Energieträger, von dem Deutschland sich lösen möchte…
Es gibt Alternativen, Solarthermie, Erd- oder Luftwärme und anderes. Aber das ist eher etwas für ein Neubau-Einfamilienhaus im Grünen. Die Mehrheit unserer Kunden lebt in Köln, einer Großstadt, also vielleicht in einem Mehrfamilienhaus mit 18 Parteien. Und da funktionieren raumgreifende Lösungen dieser Art nicht. Selbst reine Nischenanbieter für Ökostrom setzen auf einen Anteil an Strom auf Basis Erdgas, hoch-effizient und in Verbindung mit Wärme erzeugt, so wie wir das hier in Köln machen. Wir bräuchten alternativ in Zukunft möglichst schnell und in großen Mengen synthetischen Wasserstoff – und das zu vergleichbaren Kosten. Aber die gibt es trotz aller Verteuerungen durch CO2-Zertifikate aktuell nicht. Noch nicht.
Die Klimaziele müssen auch bezahlbar bleiben für jedermann. Nicht alles, was ökologisch sinnvoll ist, ist heute auch schon ökonomisch realisierbar. Das müssen wir als Rheinenergie im Interesse unserer Kunden berücksichtigen, sonst gefährden wir die Versorgungsicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Bis zum Beginn der 2030er Jahre sehe ich nicht, wie wir sonst die Wärme für Industrie und Haushalte klimaneutral produzieren könnten. Und alles allein auf die elektrische Karte zu setzen, ist leider ebenfalls nicht realistisch. Alle Experten sind sich einig, dass sich die neben dem Strombedarf dann für die Wärme erforderlichen Strommengen in Deutschland nicht zu 100 Prozent erneuerbar produzieren lassen. Denken Sie an die elektrische Alternative für Häuser mit ökologisch sinnvoll erzeugter Fernwärme. Wenn deren Bewohner nicht frieren sollen, müssten die Hausbesitzer dann alle Heizungsleitungen durch neue Stromleitungen und neue Heizkörper ersetzen.
Nicht realistisch. Da ist es einfacher, mit einem klugen Zukunftsplan die Wärmequellen umzustellen, wenn die Technik und der Markt soweit sind. Denn dann muss der Kunde nichts tun. CO2-neutral erzeugter, grüner Wasserstoff, wenn es ihn denn aus Wasser, Wind, Sonne hoffentlich ab Beginn der 30er-Jahre mehr und mehr verfügbar gibt, kann diese Ersatz-Rolle für das heutige Erdgas übernehmen. Die Anlagen und Netze darauf rechtzeitig vorzubereiten, ist unsere Aufgabe. Es bleibt eine Mammutaufgabe.
Was ist mit Biogas, aus erneuerbaren, pflanzlichen Rohstoffen?
Gute Idee, aber davon gibt es leider nicht genug. Im kleinen Maßstab betreiben wir durchaus Nahwärmeinseln mit Biogas-Blockheizkraftwerken und eine eigene Erzeugungsanlage. Wenn wir Erdgas vollständig durch Biogas ersetzen wollten, gäbe es für die zusätzlich erforderliche Anpflanzung von Energiesaat keine ausreichenden Flächen mehr in unserem Land. Es bleibt der bekannte Konflikt bei der Lebensmittelproduktion zwischen „Tank oder Teller“. Da eine nachhaltige Lebensmittelproduktion hier immer den Vorrang haben sollte, wurde die staatliche Förderung bei Biogas in der Vergangenheit auch nahezu komplett heruntergefahren. Zusätzlich notwendige Flächenreserven dazu haben wir einfach nicht. In dem Umfang, in dem es vertretbar möglich ist, ist Biogas auch für uns eine sinnvolle Sache.
Biogas oder Wasserstoff also aus Ihrer Sicht eine Nullnummer?
Nein. Als Beimischung geht das. Bis zu zehn Prozent kann man dem Erdgas etwa Wasserstoff zufügen, ohne große technische Schwierigkeiten zu erwarten. Dieser muss auch nicht zwingend in Deutschland erzeugt werden. Wir sind ja auch heute Energieimporteur. Nordafrika, Asien, China, Australien haben ganz andere Voraussetzungen etwa für die Gewinnung von Wasserstoff per Sonnenenergie. Im Moment jedenfalls ist auch die Beimischung noch in der Testphase als eine Art Reallabor.
Was investieren Sie in Solar und Erneuerbare?
Bislang insgesamt mehr als 300 Millionen Euro etwa in Photovoltaik und Co. Und in der kommenden Zeit weitere 100 Millionen Euro. Wir betreiben heute fast 150 Erneuerbare-Energie-Anlagen bundesweit, mehrheitlich Windräder, freilich nicht im verdichteten Ballungsraum Köln, sondern vorrangig im norddeutschen Raum. Insgesamt können wir derzeit rund 120.000 Haushalte mit klimaneutraler Energie aus eigener Produktion versorgen.
Warum nicht mehr? Sie sprechen vom verdichteten Ballungsraum, aber wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich Tausende Hausdächer, die man recht problemlos mit Solarzellen bestücken könnte, weil ihre einzige Aufgabe offenbar ist, den Regen abzuhalten…
Gemeinsam mit der Stadt und anderen Akteuren planen wir eine Solardachoffensive. Die aber leidet in Köln und anderen Städten auch daran, dass der rechtliche Rahmen noch nicht passt. Der Hemmschuh sind aktuelle Regelungen, die den Vermietern keinerlei Anreiz zur Investition bieten, denn sie können Vorteile daraus nicht an die Mieter weitergeben. Daher fehlt der Anreiz, Solaranlagen auf dem Dach zuzulassen. Deshalb fordern wir in der Branche ein Mieterstromgesetz, das Vermietern und Mietern gleichermaßen einen Profit aus solchen Anlagen sichert. Wenn wir das hätten, wäre der Weg frei für Tausende kleine Solaranlagen auf Kölner Dächern. Um die Dächer der städtischen Gesellschaften und die der Stadt Köln etwa würden wir uns sofort kümmern. Gemeinsam mit dem Handwerk, der Stadt Köln und vielleicht weiteren Partnern wollen wir allen Interessierten technische, konzeptionelle und soweit das über die Vielzahl der Fördermöglichketen geht, auch wirtschaftliche Unterstützung anbieten. Als Idee schwebt uns dafür ein PV-Beratungs- und Kompetenzzentrum vor und wir arbeiten derzeit an einem entsprechenden Konzept.
Apropos Stadt. Die Stadt hat ihren Vertrag für die Stromversorgung nicht an ihre eigene Tochter Rheinenergie vergeben, sondern an das Hamburger Unternehmen Lichtblick. Wie konnte das passieren?
Die Stadt hat in einer europaweiten Ausschreibung als Kriterium für Ökostrom lediglich Menge und Preis ausgeschrieben. Es war eine marktlich korrekte Ausschreibung, bei der ein anderer Anbieter minimal billiger war und hat entsprechend den Zuschlag bekommen.
Sind solche Ausschreibungen besser skalierbar oder festgeschrieben? Wen machen Sie dafür verantwortlich?
Man hätte zum Beispiel in die Ausschreibung schreiben können, dass der Strom teilweise regional erzeugt werden muss, dies ist ja auch ein relevantes Klimakriterium oder dass der Anbieter auch selbst in eigenen Anlagen oder erneuerbaren Strom erzeugen muss usw. In der Festlegung zusätzlicher Anforderungen an den zukünftigen Ökostrom-Lieferanten wäre die Verwaltung wäre frei gewesen.
Was sind die Folgen für die Rheinenergie?
Es trifft uns nicht ins Mark, die städtische Strommenge macht rund ein Prozent unserer Umsätze aus. Aber das Signal ist fatal. Das ist so, als würde ein Bäcker seine eigenen Brötchen nicht essen. Ein bitteres Bild – erst recht, wenn man die wirtschaftlichen Zusammenhänge der Unternehmen im Stadtwerkeverbund bedenkt und wie wichtig die Gewinne aus dem Energiebereich zum Beispiel für die Finanzierung des ÖPNV in Köln sind.
Sie planen eine Umstrukturierung der Beteiligungsverhältnisse mit dem Essener Versorger Eon. Dessen Anteil an den Stadtwerken steigt. Erklären Sie bitte unseren Lesern, wo der Vorteil für Köln und die Region liegen soll?
Durch den Anteilstausch zwischen unserem früheren Mit-Gesellschafter RWE/Innogy an Eon ist der Rheinenergie-Anteil in Höhe von 20 Prozent heute in Besitz der Eon AG gekommen. Darin liegt als gemeinsames Ziel die Chance, in der rheinischen Region die Kräfte und das Know-how zum Vorteil aller im Stadtwerkebereich zu bündeln. Rheinenergie und die Westenergie AG als im Rheinland aktive Tochtergesellschaft der Eon AG planen, die bestehenden Beteiligungen an regionalen Stadtwerken in die gemeinsame Tochter Rhenag einzubringen, an der wir mindestens 50,1 und die Eon-Tochter Westenergie bis zu 49,9 Prozent halten wollen. Gerade in der immer dezentraler und komplexer werdenden Energiewelt der Zukunft gilt es gute Ideen und Lösungen des Einen auch im Stadtwerk nebenan in gemeinsamer Regionalpartnerschaft zum Vorteil aller unserer Kunden nutzen und anbieten zu können.
Was wollen Sie einbringen, was Eon?
Wir beabsichtigen, unsere Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen an den Stadtwerken und Lokalversorgern AggerEnergie, GVG Rhein-Erft, NG Bornheim, sowie die Stadtwerke Leichlingen, Lohmar, Pulheim, St. Augustin und Troisdorf in den Rhenag-Verbund einzubringen. Von Eon sollen Beteiligungen an BEW Wipperfürth sowie an den Stadtwerken in Velbert, Haan, Ratingen, Langenfeld, Remscheid und Euskirchen hinzukommen, so der Plan. Dazu führen wir derzeit Gespräche mit allen beteiligten Kommunen, mit denen wir die Strategie offen besprechen und die wir von der Vorteilhaftigkeit überzeugen wollen.
Mit dieser Struktur können wir die rheinische Region energiewirtschaftlich weiter in die Zukunft entwickeln: etwa beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, im Ausbau zunehmend intelligenter Netze, bei der Elektromobilität, bei speziellen Lösungen für Quartiere und Gewerbegebiete, bei der weiteren Digitalisierung und dem Breitbandausbau. In der Zusammenarbeit liegen nach unserer Überzeugung große Chancen für das Rheinland.
Was wird diese gewaltige Umstrukturierung kosten?
Es geht nicht um Geld, sondern darum, dass wir Anteile austauschen und die Zusammenarbeit in der Region durch konsequente und dauerhaft verbindliche Zusammenarbeit stärken. Am Ende der von uns angestrebten Neuordnung wird die Eon-Tochter Westenergie statt 20 dann bis zu maximal 24,9 Prozent an der Rheinenergie halten. Der kommunale Einfluss bleibt damit nicht nur bei uns in Köln, sondern auch in allen beteiligten regionalen Stadtwerken sicher gewahrt.
Wann soll das zeitlich klappen, und wie?
Ziel ist es, bis Ende März die erforderlichen Vertragswerke im Detail auszuformulieren und dann den zuständigen Gremien zur endgültigen Entscheidung vorzulegen. Danach steht die Befassung der Kommunal- und Wettbewerbsaufsicht an, so dass wir uns vorgenommen haben, Anfang 2022 mit der neuen Regionalpartnerschaft operativ zu starten.
Das ganze Rheinland, also auch in der nördlichen Rheinschiene?
Ja, sinnvoll ist das. Unsere Zwischenholding GEW hält ja bereits 20 Prozent an den Stadtwerken Düsseldorf. Und gemäß unserer Vereinbarung mit Eon würde auch deren Beteiligung an den Stadtwerken Duisburg konzeptionell und strategisch gut in den rheinischen Verbund passen. In allen drei Städten liegt viel an wertvollem Know-how, das in der Regionalpartnerschaft für alle noch wertvoller werden kann.