Wenn ein Vorzeigeprojekt vom Bundeskanzler besichtigt wird, dann ist das wie ein Ritterschlag. Jetzt kam Olaf Scholz in die kleine Eifel-Gemeinde Simmerath. Mit den Einnahmen aus dem Bürgerwindpark werden dort Kunstrasenplätze, Kindertrikots und die Modernisierung der Ganztagsbetreuung finanziert.
Scholz besucht Eifel-GemeindeWo die Windkraft Kindertrikots und Sportanlagen finanziert
Der Bürgermeister der Gemeinde Simmerath wirkt zufrieden, nachdem er sich von Olaf Scholz verabschiedet hat. Das liebevoll verpackte Gastgeschenk, ein Kästchen mit Honig und Honigbonbons aus örtlicher Herstellung, hat der Bundeskanzler zwar ohne weitere Beachtung seinem Referenten in die Hand gedrückt, aber darauf kommt es ja nicht an. „Wir haben auf dem Weg durch den Wald zehn Minuten miteinander gesprochen, und ich habe den Eindruck, meine Botschaft ist bei Scholz angekommen“, sagt Bernd Goffart.
Der CDU-Politiker kritisiert, dass die Genehmigung von Windrädern wegen der bürokratischen Hürden viel zu lange dauert. „Das findet der Bundeskanzler auch“, sagt der Bürgermeister des Nord-Eifel-Örtchens.
Der Simmerather Forst ist an diesem Vormittag für Wanderer und Pilzsammler gesperrt. Über den Waldweg, der zur Kalltalsperre führt, rollen schwarze Limousinen und parken auf der Lichtung vor einem Windrad.
„Willkommen im Wald“, ruft NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst den wartenden Journalisten zu. Der Regierungschef wirkt gut gelaunt – er hat den Bundeskanzler eingeladen, um ihm ein Vorzeigeprojekt für den Ausbau der Windkraft in NRW zu präsentieren. In Simmerath (16.000 Einwohner) profitieren direkt vom Betrieb von 22 Windkraftanlagen – Erträge von rund zwei Millionen Euro fließen jährlich in die Gemeindekasse.
Wüst: Flächenziele werden in NRW schon Ende 2025 erreicht
Bei einem ausgedehnten Waldspaziergang informieren sich Scholz und Wüst über das Konzept des Windparks. Beim anschließenden Statement betont der Ministerpräsident, NRW habe den „Windkraft-Turbo“ gezündet. „Die Flächenziele, die uns der Bund setzt, werden in Nordrhein-Westfalen sieben Jahre früher erreicht als geplant – schon Ende 2025 statt 2032. In diesem Jahr wurden bereits 178 Windenergieanlagen genehmigt. Damit liegen wir mit deutlichem Abstand auf Platz eins in Deutschland“, erklärt Wüst.
Dabei könnte alles noch viel schneller gegen. Bürgermeister Goffart berichtet über die Steine, die der Gemeinde beim Bau des Windparks in den Weg gelegt wurden. So verlangt die Bundeswehr eine Höhenbegrenzung für die Windräder - wegen des Fliegerhorsts in Nörvenich. Der geologische Dienst befürchtete, die Windräder könnten die Messungen zu den Erdstößen in der Region verfälschen. „Am wenigsten Ärger gab es mit den Bürgern“, so der Kommunalpolitiker.
Schwimmbad, Trikots, Ganztagsbetreuung: Bürger profitieren direkt vom Windpark
Anwohner Michael Graff nickt. „Alle Bürger profitieren von den Einnahmen aus dem Windpark“, sagt der Landwirt. Die Ausstattung der Ganztagsbetreuung in den Schulen wurde deutlich verbessert, im Schulzentrum kann das Schwimmbad trotz hoher Kosten betrieben werden, die Karnevalisten werden bezuschusst, der Fußballverein TUS Lammersdorf hat einen Kunstrasenplatz bekommen und die Stadt bezahlt die Trikotsätze der Sportvereine. „Wenn noch mehr Windräder gebaut werden, sprudeln die Einnahmen weiter“, freut sich Graff.
Olaf Scholz gefällt was er sieht. „Wir müssen auch vor Ort mehr Mut auf allen Ebenen haben“, sagte der Bundeskanzler. „Hier im Bürger-Windpark Simmerath-Lammersdorf sieht man, dass die Transformation vor Ort beginnt und gelingt – in den Kommunen und auch im Wald fernab der Ballungszentren.“
Beim Termin in Simmerath sind Wüst und Scholz meist eng beisammen, gehen professionell und respektvoll miteinander um. Als Scholz danach gefragt wird, ob denn Ministerpräsidenten aus NRW sein nächster Herausforderer um die Kanzlerschaft neben ihm stehe, winkt der Bundeskanzler ab: „Ich bin ja alles Mögliche, aber ich bin nicht der Pressesprecher der CDU.“
Autozulieferer Neapco warnt vor Herausforderungen des „dopppelten Strukturwandels“
Der Windpark in Simmerath ist an diesem Tag nicht das einzige Ziel des Bundeskanzlers in der Region: Beim Autozulieferer Neapco in Düren lässt Olaf Scholz sich wenig später die Fertigung eines E-Motors vorführen, bekommt selbst Gerät in die Hand gedrückt, nimmt in einem elektrischen Kleinlaster Platz. Die Delegation hat zu diesem Zeitpunkt schon einige Verspätung angehäuft und so ist es ein eng durchgetakteter Besuch mit knappen Statements. Kaum drei Minuten lang kann Jürgen Liermann, Geschäftsführer des Neapco Werks in Düren, die Herausforderung des „doppelten Strukturwandels“ schildern: den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 und den Wechsel von Verbrennern auf E-Autos. „Beides erzeugt einen riesigen Kosten- und Wettbewerbsdruck.“
Neapco, mit rund 700 Mitarbeitenden der größte industrielle Arbeitgeber in Düren, setzt an zwei Stellen auf Zukunftstechnologien: So wird in dem Werk seit 2018 zunächst der elektrische Streetscooter der Deutschen Post gefertigt, und seit dem Verkauf an das Unternehmen B-On das Folgefahrzeug „Sherpa“. Außerdem wird hier ein moderner Radnabenmotor erprobt.
Keine Förderzusagen von Olaf Scholz
Die Innovationen am Standort in Düren seien, „ein wichtiges Zeichen dafür, dass gerade wir hier in Deutschland große Fortschritte machen mit der Elektromobilität“, sagt Scholz in seinem kurzen Statement nach Begehung der Halle. Entgegen skeptischer Stimmen geschehe auf diesem Feld viel: „Ich sehe hunderte Milliarden Investitionen von amerikanischen, koreanischen, japanischen, chinesischen und europäischen Automobilunternehmen – auch von deutschen.“ In dem Neapco-Werk, das es seit 1968 gibt, habe „immer ein Strukturwandel stattgefunden“, so der Kanzler. „Aber am Ende ist die Halle voll und es wird gearbeitet.“
Doch ob Neapco konkrete Unterstützung für die Herausforderungen des Strukturwandels erwarten kann – dazu sagt Scholz in Düren nichts. Dabei hatten Geschäftsführung und Betriebsrat eigentlich ein klares Ziel: beim Bundeskanzler um staatliche Förderung für die Fertigung des Radnabenmotors zu werben. Würde die Produktion nach Düren kommen, könnte das zahlreiche Arbeitsplätze schaffen.
Industrie profitiert bislang kaum von der Milliardenförderung
„Ein großes Problem ist, dass es nicht möglich ist, direkte Industrieförderung zu bekommen“, so hatte es Liermann kurz vor dem Statement des Kanzlers noch ausgedrückt. Das Problem ist keinesfalls neu: Zwar stellen Bund und Land insgesamt 14,8 Milliarden Euro zur Bewältigung des Strukturwandels bereit – doch wegen des strengen EU-Beihilferechts fließen sie bislang kaum in Industriebetriebe und die Erhaltung der dortigen Arbeitsplätze. Stattdessen sollen bislang vor allem Forschungs- und Infrastrukturprojekte gefördert werden. „Aber die Gelder, die bereitgestellt werden, müssen auch der Industrie zugutekommen können“, so Liermann.
Das kurze Statement des Kanzlers nennt der Geschäftsführer später „ernüchternd“. „Konkrete Zusagen hat er nicht gemacht“. Dennoch zieht er ein positives Fazit. Denn was das Unternehmen brauche, sei Öffentlichkeit. „Wir haben es geschafft, die Problematik und die Potenziale, die wir hier haben, klarzumachen.“
Scholz ist derweil schon längst wieder aufgebrochen. Letzter Stopp seines Besuchs ist ein Treffen mit Oberbürgermeistern aus der rheinischen Braunkohleregion in Düren. Auch die fordern vor allem eines: mehr Sicherheit in den unsicheren Zeiten des Wandels.