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FehlsichtigkeitWann und für wen Augentraining sinnvoll ist

Lesezeit 4 Minuten
Hoch komplexes Sinnesorgan - das Auge kann sich schnell an neue Situationen anpassen, wird aber durch zu viel Bildschirmarbeit oder falsch eingestellte Sehhilfen häufig überreizt.

Unsere Augen müssen täglich Höchstleistung vollbringen.

Das Versprechen ist simpel: Wer Augenübungen macht, beugt einer Fehlsichtigkeit vor und verbessert seine Sehkraft. Ein Augenarzt erklärt, warum Augentraining nur in Ausnahmefällen sinnvoll ist.

Stellen Sie sich das Ziffernblatt einer Uhr vor. Oben die Zwölf, rechts die Drei, unten die Sechs, links die Neun. Halten Sie Ihren Kopf gerade und schauen Sie jetzt einmal nur mit Ihren Augen nach drei Uhr. Jetzt nach neun Uhr; nach zwölf Uhr, sechs Uhr und wieder drei Uhr.

Diese Übung soll die Sehkraft verbessern, die Augen entspannen und einer Fehlsichtigkeit vorbeugen. Doch kann das wirklich funktionieren?

Wie sich die Bildschirmarbeit auf die Augen auswirkt

Unsere Augen müssen täglich Höchstleistung vollbringen. Wir starren stundenlang auf Computerbildschirme, scrollen in der Bahn auf dem Handy herum, schauen abends zu Hause Netflix auf dem Tablet. Diese Bildschirmzeit nehmen wir selbst vielleicht nicht als anstrengend wahr, für unsere Augen ist sie das aber durchaus.

Die Bildschirmarbeit führt dazu, dass unsere Augen trockener werden
Augenarzt Klaus Rüther

„Die Bildschirmarbeit führt dazu, dass unsere Augen trockener werden“, sagt Augenarzt Klaus Rüther, der das Ressort Kinderophthalmologie/Neuroophthalmologie des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands leitet. „Die Zwinkerfrequenz nimmt ab, die Befeuchtung der Hornhaut lässt nach.“

Noch immer kursiere der Irrglaube, dass lange Bildschirmzeit die Sehkraft verschlechtert. „Das ist nicht der Fall“, stellt Rüther klar. Dennoch rät er – insbesondere kurzsichtigen Kindern –, etwa alle 20 Minuten die Bildschirmarbeit zu unterbrechen und für 20 Sekunden in die Ferne zu schauen. Das beugt einer Überanstrengung des Auges vor. Auch viel Zeit im Freien zu verbringen, um Tageslicht über die Lichtsinneszellen im Auge aufzunehmen, kann für Entspannung sorgen.

Augentraining ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll

Spezielles Augentraining sieht der Experte hingegen kritisch. „Das ist unsinnig“, sagt er. „Es gibt keine Evidenz dafür, dass das die Sehkraft stärkt oder einer Fehlsichtigkeit vorbeugt.“

Es gibt aus Sicht des Augenarztes zwei Ausnahmen, bei denen Augentraining sinnvoll sein kann. Die erste Ausnahme sind Menschen mit Gesichtsfeldausfällen, wie sie zum Beispiel nach einem Schlaganfall auftreten. Betroffene können ihre Umgebung nicht mehr vollständig wahrnehmen, sehen etwa nicht mehr alle Textzeilen beim Lesen.

Mit suchenden Augenbewegungen wird der Gesichtsfeldausfall zur blinden Seite hin verschoben und die Informationen der blinden Seite können genutzt werden
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

Durch Augenübungen können die Gesichtsfeldausfälle kompensiert werden: „Mit suchenden Augenbewegungen wird der Gesichtsfeldausfall zur blinden Seite hin verschoben und die Informationen der blinden Seite können genutzt werden“, schreibt die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe auf ihrer Internetseite. Es gebe spezialisierte Rehaeinrichtungen, die solche Trainingsprogramme anbieten würden.

Die zweite Ausnahme stellen laut Rüther Kinder dar, die zu einer Auswärtsschielstellung neigen. Sie können sogenannte Konvergenzübungen machen. Dabei müssen die Kinder einen Gegenstand, zum Beispiel einen Stift, oder einen ihrer Zeigefinger hochhalten und dann immer dichter zur Nase führen, ohne den Fokus zu verlieren und ohne Doppelbilder zu sehen.

Augenbewegungen gegen psychische Erkrankungen

Auch ist bekannt, dass bestimmte Augenbewegungen bei psychischen Erkrankungen wie einer Posttraumatischen Belastungsstörung helfen können. Diese Art der Psychotherapie nennt sich Eye Movement Desensitization and Reprocessing-Verfahren, kurz EMDR. Die Patientinnen und Patienten müssen dabei dem Finger des Therapeuten beziehungsweise der Therapeutin folgen.

„Diese ‚geleiteten‘ Augenbewegungen sollen den spontanen Augenbewegungen im sogenannten REM-Schlaf entsprechen“, heißt es auf der Internetseite der Oberberg Kliniken. „Dabei handelt es sich um die Schlafphase, in der bei geschlossenen Lidern schnelle, ruckartige Augenbewegungen erfolgen. In dieser REM-Schlafphase werden die Geschehnisse des Tages verarbeitet.“

Diese Art der Psychotherapie sei aber „nichts, was man als Normalbürger zu Hause machen kann“, merkt Augenarzt Rüther an. „Das muss unter Anleitung eines ausgebildeten Psychotherapeuten erfolgen.“

Augenarzt: „Wenn Augentraining, dann schonend“

Nur in Ausnahmefällen kann es also sinnvoll sein, die Augen zu trainieren. Ein grundsätzliches Muss im Alltag ist es nicht – es kann aber auch nicht schaden. Nur von „zu starken, unnatürlichen Augenbewegungen“ rät Rüther ab. Er hatte vor Kurzem eine Patientin, die ihre Augen bei der Physiotherapie zu stark bewegt hat und mit einer Glaskörperabhebung in seine Sprechstunde kam. „Das kann ein Zufall gewesen sein“, sagt er. „Dennoch würde ich raten: Wenn Augentraining, dann schonend.“

Dass sich durch spezielles Augentraining die Sehkraft verbessert oder es gar einen vorbeugenden Effekt hat, hält auch das Onlineportal „medizin transparent“ des unabhängigen Wissenschaftsnetzwerks Cochrane Österreich für unwahrscheinlich. Bei den meisten Augenerkrankungen fehle ein entsprechender Wirknachweis.

Ist man kurz- oder weitsichtig, sei es vor allem wichtig, die passende Korrektur in Form einer Brille oder Kontaktlinsen zu finden, betont Augenarzt Rüther. „Aber an der Physiologie des Auges sowie an dessen Leistungsfähigkeit kann man nichts ändern.“


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.