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KlimakriseHöher, schneller, heißer – kollabieren die Olympischen Spiele?

Lesezeit 8 Minuten
25.07.2024, Frankreich, Paris: Olympia, Olympischen Sommerspiele, Paris 2024, Vorbereitungen, der Eiffelturm im Gegenlicht neben einer Plane mit den Olympischen Ringen.

Die Erde erwärmt sich immer schneller. Das kann auch für Sportveranstaltungen zum Problem werden.

Die Olympischen Sommerspiele könnten in diesem Jahr gefährlich werden: Denn in Zeiten des Klimawandels wächst die Hitzegefahr für Sportlerinnen und Sportler. Kann man ihnen solche Wettkämpfe überhaupt noch zumuten?

„Es war eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe“, sagt Hector Pardoe. 2022 nimmt er an den Schwimmweltmeisterschaften in Budapest teil. Der damals 21-Jährige Marathonschwimmer verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Er will sich für die Olympischen Spiele qualifizieren. Doch für Pardoe wird der Wettkampf zum Albtraum: Er erleidet einen Hitzschlag. „Ich war praktisch gelähmt, konnte weder sprechen noch mich bewegen und hatte eine sehr schmerzhafte Migräne. Ich litt unter Erbrechen, verschwommener Sicht und Muskelermüdung.“

Was Pardoe bei den Weltmeisterschaften erlebt hat, könnte Sportlerinnen und Sportlern dieses Jahr auch bei den Olympischen Spielen in Paris drohen. Am 26. Juli werden sie in Frankreichs Hauptstadt offiziell eröffnet – doch schon jetzt gibt es alarmierte Stimmen, die eine extreme Hitzegefahr befürchten.

Ich war praktisch gelähmt, konnte weder sprechen noch mich bewegen und hatte eine sehr schmerzhafte Migräne. Ich litt unter Erbrechen, verschwommener Sicht und Muskelermüdung
Hector Pardoe

In einem neuen Bericht warnen etwa die British Association for Sustainable Sport und die australische Organisation Frontrunners davor, dass Athletinnen und Athleten während der Spiele kollabieren oder schlimmstenfalls sogar sterben könnten.

Die „heißesten Spiele in der Geschichte“

Dieses Horrorszenario ist keinesfalls aus der Luft gegriffen. Die Olympischen Spiele 2021 in Tokio sind der Beweis: Sie gingen als die „heißesten Spiele in der Geschichte“ ein – mit Temperaturen von mehr 34 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von fast 70 Prozent.

„Ich hatte das Gefühl, dass die Hitze an ein echtes Risiko grenzt – die Art von Risiko, die möglicherweise tödlich sein könnte“, erinnert sich der neuseeländische Tennisspieler und Olympia-Bronzemedaillengewinner Marcus Daniell. „Einer der besten Tennisspieler der Welt (gemeint ist Daniil Medwedew, Anm. d. Red.) sagte, er glaube, dass jemand in Tokio sterben könnte, und ich glaube nicht, dass das übertrieben war.“

Medwedew selbst brauchte damals zwei medizinische Auszeiten im Achtelfinale des Tennis-Herreneinzels, weil es zu heiß geworden war. Die Tennisspielerinnen Zarina Diyas und Paula Badosa schieden sogar mitten im Spiel wegen Hitzeerschöpfung aus, Badosa wurde im Rollstuhl vom Platz geschoben. Die Langstreckenschwimmer mussten wiederum vor dem Morgengrauen aufstehen, damit ihr Wettkampf um 6.30 Uhr beginnen und vor der größten Hitze beendet werden konnte.

Europa erwärmt sich immer schneller

Die Olympischen Spiele in Paris könnten die Erlebnisse in Tokio noch übertreffen, warnt der Bericht. Denn mit dem Klimawandel werden starke Hitzewellen in Europa wahrscheinlicher. Europa ist sogar der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt – das hatte im vergangenen Jahr ein Report des europäischen Erdbeobachtungsdienstes Copernicus ergeben. Die Temperaturen steigen etwa doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Seit nun schon einem Jahr ist jeder Monat in Europa der weltweit wärmste seit Aufzeichnungsbeginn gewesen.

Trotz aller Bemühungen um eine Verringerung der Kohlendioxidemissionen besteht kein Zweifel daran, dass sich die Temperaturen auf der Erde auf einem Niveau befinden, das die Austragung von Olympischen Sommerspielen beinahe unmöglich macht, wenn nicht sogar ganz unmöglich
Kaitlyn Trudeau, Leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin für Klimawissenschaften bei der Non-Profit-Organisation Climate Central

Doch der Klimawandel betrifft nicht nur Europa. Weltweit steigen die Temperaturen, weltweit sind neue Rekordsommer möglich. Sind Olympische Sommerspiele unter diesen Bedingungen in Zukunft überhaupt noch zumutbar?

Nein, meint Kaitlyn Trudeau. „Trotz aller Bemühungen um eine Verringerung der Kohlendioxidemissionen besteht kein Zweifel daran, dass sich die Temperaturen auf der Erde auf einem Niveau befinden, das die Austragung von Olympischen Sommerspielen beinahe unmöglich macht, wenn nicht sogar ganz unmöglich“, sagt die leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin für Klimawissenschaften bei der Non-Profit-Organisation Climate Central.

Denn zu hohe Temperaturen sind lebensgefährlich – für alle. Egal, ob Sportler oder nicht. Um sich an die Hitze anzupassen und die Haut zu kühlen, fängt unser Körper an, zu schwitzen. Doch hält die Hitze länger an, funktioniert dieses Kühlsystem nicht mehr richtig: Der Blutdruck sinkt, Flüssigkeit und Salze gehen verloren, der Kreislauf schwächelt. Kopfschmerzen, Schwindel und starke Erschöpfung können die Folge sein. Oder es kommt zu einem Hitzschlag mit zusätzlichem Erbrechen und Durchfall, so wie es Pardoe erlebt hat. Im schlimmsten Fall kann die Hitze sogar tödlich sein.

Selbst nachts ist es zu warm

Paris ist ein regelrechter Hitze-Hotspot. Seit die Stadt 1924 das letzte Mal die Olympischen Spiele ausgerichtet hat, sind die Jahresdurchschnittstemperaturen um 1,8 Grad Celsius gestiegen. Im Durchschnitt gab es pro Jahr 23 zusätzliche Tage mit Temperaturen von mehr als 25 Grad Celsius und neun zusätzliche Tage mit Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius. Zudem traten 50 Hitzewellen zwischen 1947 und 2023 auf.

Abkühlung wird selbst in der Nacht immer seltener. Zwischen 2014 und 2023 gab es 84 Tropennächte in Paris mit Temperaturen von mehr als 20 Grad Celsius. Das ist laut Bericht eine Zunahme von 2100 Prozent im Vergleich zum Zehnjahreszeitraum vor hundert Jahren (1924 bis 1933). Das Problem dabei ist: Je wärmer es nachts ist, desto schwieriger ist es, einzuschlafen. Ein gestörter Schlaf in der Nacht bedeutet für die Athletinnen und Athleten eine geringere Leistungsfähigkeit am Tag.

Doch nicht nur die hohen Temperaturen an sich sind ein Problem: „Die Luftfeuchtigkeit ist es, die den Hitzestress für unseren Körper noch verstärkt“, erklärt Trudeau. Ist die Luftfeuchtigkeit hoch, nimmt die Umgebungsluft weniger Feuchtigkeit auf. Das hat zur Folge, dass der Schweiß auf der Haut schlechter verdunstet und der Körper nicht richtig herunterkühlen kann.

Sportler trainieren für die Hitze

„Da die Temperaturen weltweit weiter steigen, sollte der Klimawandel zunehmend als existenzielle Bedrohung für den Sport angesehen werden“, sagt Sebastian Coe, Präsident des internationalen Leichtathletikverbands World Athletics. Der Verband hatte im vergangenen Jahr eine Umfrage unter mehr als 350 Athletinnen und Athleten durchgeführt – mit dem Ergebnis: 75 Prozent sehen direkte negative Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesundheit und Leistung. 85 Prozent gaben an, dass die Leichtathletik durch den Klimawandel nachteilige Folgen erfahren hat. Im Vorjahr hatten dem noch 72 Prozent zugestimmt.

Viele Sportlerinnen und Sportler versuchen inzwischen, sich auf den Hitzestress bei Turnieren vorzubereiten. „Die extreme Hitze im Segelsport hat dazu geführt, dass wir uns vor Regatten viel mehr in Wärmekammern akklimatisieren müssen, damit sich unser Körper anpassen kann“, sagt zum Beispiel die britische Seglerin und zweifache Olympiagewinnerin Hannah Millis. Von Saunagängen und Extraschichten an Kleidung im Training, um dem Hitzestress vorzubeugen, berichtet wiederum Rugbyspieler Jamie Farndale.

Die extreme Hitze im Segelsport hat dazu geführt, dass wir uns vor Regatten viel mehr in Wärmekammern akklimatisieren müssen
Hannah Millis, britische Seglerin und zweifache Olympiagewinnerin

Doch Vorbereitung allein reicht nicht aus. Auch während des Wettkampfes müssen sich die Sportlerinnen und Sportler kühl und hydriert halten. Carolyn Broderick, die medizinische Leiterin des australischen Olympiateams bei den Olympischen Spielen in Paris, empfiehlt dafür zum Beispiel Eishandtücher, feuchte Handtücher und kühle Flüssigkeiten, die während der Pausen getrunken werden können. Auch Kühlwesten sind beliebte Abkühlungsmittel.

Organisatoren wissen um Hitzegefahr – und haben vorgesorgt

Der Hitzestress unter den Athletinnen und Athleten lässt die Veranstalter nicht kalt. „Wir sind uns der Risiken bewusst, die große Hitze und die Auswirkungen des Klimawandels für Athleten und Wettkämpfe mit sich bringen“, erklärt das Organisationskomitee der Olympischen Spiele in Paris auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). „Das Hitzerisiko wurde von Anfang an in unsere gesamte Planung einbezogen.“

Eine Expertengruppe habe Gegenmaßnahmen erarbeitet, die die Sportlerinnen und Sportler, Helferinnen und Helfer sowie Fans vor zu großer Hitze schützen sollen. Als Beispiel nennt das Komitee eine „verstärkte Rotation der Freiwilligen“, die im Freien arbeiten, sowie einen „besseren Zugang zu Schatten und bessere Belüftung von Innenräumen“, wie zum Beispiel in den Wartebereichen für Athleten und Athletinnen.

Auch der Wettkampfplan wurde angepasst. So würden der Marathon und Triathlon am frühen Morgen stattfinden – also dann, wenn es noch nicht allzu heiß ist. Der Marathon pour Tous wiederum werde in die Abendstunden verlegt. Falls erforderlich, werde der Plan noch einmal angepasst, so das Organisationskomitee. „Während der Spiele wird Météo-France (der nationale Wetterdienst, Anm. d. Red.) rund um die Uhr in unserem Haupteinsatzzentrum präsent sein und genaue Vorhersagen – bis zu zehn Tage – liefern.“

Sportverbände müssen für den Klimawandel sensibilisieren

Doch es brauche noch mehr als das, meinen die British Association for Sustainable Sport und die Umweltorganisation Frontrunners. Sie empfehlen in ihrem Bericht zusätzlich ein besseres Unterstützungsangebot. „Viele Sportler sprechen nicht über Hitzerisiken oder die Umwelt, aus Angst, als schwach oder der Heuchelei bezichtigt zu werden, wenn man zu Veranstaltungen reist“, schreiben sie. Es brauche mehr Sensibilisierung für den Klimawandel vonseiten der Sportverbände.

„Während wir uns an die Wahrscheinlichkeit von Wettkämpfen bei extremer Hitze angepasst haben, wird das größere Bild, warum wir dies erleben, nicht angesprochen, sondern einfach akzeptiert und eingeplant“, sagt die australische Speerwerferin Kelsey-Lee Barber, die an dem Bericht mitgewirkt hat. „Ich denke, wir sollten uns der größeren Zusammenhänge bewusst werden, wenn es um steigende Temperaturen geht.“ Und auch das Sponsoring durch fossile Brennstoffunternehmen muss aus Sicht der Autorinnen und Autoren überdacht werden – schließlich seien gerade diese Unternehmen dafür verantwortlich, dass sich die Erde erwärmt.

Die grünsten Spiele, die es je gab

Am Ende – und das gehört zur Wahrheit über den Klimawandel dazu – tragen aber auch die Olympischen Spiele selbst zur Erderwärmung bei. Wenn neue Sportstätten und olympische Dörfer gebaut werden, Athletinnen und Athleten sowie Fans kilometerweit mit dem Flugzeug zum Turnier anreisen, dann hinterlässt das einen großen CO2-Fußabdruck.

Die CO2-Emissionen bei den Olympischen Spielen in London im Jahr 2012 beliefen sich auf etwa 3,4 Millionen Tonnen, bei den Spielen in Rio de Janeiro, vier Jahre später, waren es sogar rund 4,5 Millionen Tonnen. Und selbst bei den Spielen in Tokio 2021, als die Corona-Pandemie für Reiseeinschränkungen sorgte, waren es rund drei Millionen Tonnen CO2. Jedes Gramm CO2 heizt die Erde weiter an.

Während wir uns an die Wahrscheinlichkeit von Wettkämpfen bei extremer Hitze angepasst haben, wird das größere Bild, warum wir dies erleben, nicht angesprochen, sondern einfach akzeptiert und eingeplant
Kelsey-Lee Barber, australische Speerwerferin

Mit den Olympischen Spielen in Paris will das Internationale Olympische Komitee (IOC) nun eine Kehrtwende herbeiführen. Sie sollen die grünsten Spiele werden, die es je gegeben hat. Mehr noch: Das IOC erhofft sich, „neue Nachhaltigkeitsstandards für große Sportereignisse“ setzen zu können, wie das Komitee auf Anfrage des RND erklärt. Der CO2-Fußabdruck soll sich im Vergleich zum Durchschnitt von den Olympischen Spielen in London 2012 und denen in Rio de Janeiro 2016 halbieren. Damit würden sich die CO2-Emissionen auf 1,5 Millionen Tonnen beschränken.

Dieses Ziel sollte unter anderem dadurch erreicht werden, dass das olympische Dorf ohne Klimaanlagen auskommt.

Doch nach Protesten von Athletinnen und Athleten sowie Sportverbänden, die fürchteten, dass ohne Klimaanlagen die Leistungsfähigkeit sinken könnte, werden die Räume des olympischen Dorfes nun doch mit 2500 temporären Kühleinheiten ausgestattet, wie Euronews jüngst berichtete. Nichtsdestotrotz bleibt das IOC dabei: „Unser Ziel ist es, die Olympischen Spiele nachhaltiger zu gestalten, damit wir alle weiterhin in den Genuss ihres einzigartigen Nutzens kommen können.“ Dass die Spiele durch den Klimawandel irgendwann ungenießbar werden könnten, das lässt das Komitee unkommentiert.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.