Klimakrise, Pandemie: Viele junge Menschen überlegen, ob sie in Zeiten der Krisen überhaupt noch Kinder bekommen sollten. Eine Reise zu Menschen in Deutschland, die sich bereits entschieden haben – und die bei aller Unterschiedlichkeit dennoch etwas gemeinsam haben.
„Und – wollt ihr Kinder?“Wie junge Menschen in Krisen über Elternschaft entscheiden
Magdalena strahlt. „Ich freue mich sehr auf den Termin“, sagt sie. An einem heißen Tag im August sitzt die 33-Jährige in einem roten Kleid neben ihrem Hund Nelly auf einer Decke in einem Dresdner Park – und redet über ihre Sterilisation. Im April nächsten Jahres hat sie den Termin. Magdalena hat sich entschieden: Sie möchte keine Kinder bekommen.
„Die Sterilisation bedeutet für mich Selbstbestimmtheit, Freiheit und Sicherheit“, sagt sie. „Und dass ich ein für alle Mal sagen kann, dass die Diskussion für mich beendet ist, dass kein Argument mehr zählt.“
Was für Magdalena bereits eine feste Entscheidung ist, ist für viele andere junge Menschen noch eine große Frage. Soll ich angesichts anhaltender Krisen wirklich ein Kind in die Welt setzen? Die Folgen des Klimawandels sind unabsehbar, die wirtschaftliche Lage in Zeiten von steigenden Kosten und Inflation unsicher. Kann man diese Zukunft mit gutem Gewissen an die eigenen Kinder übergeben?
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sind viele junge Menschen der Überzeugung, es später einmal schlechter zu haben als ihre Eltern. Das ergab die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ (2022/2023). Auch eine Forsa-Umfrage im Auftrag des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) kommt zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) glaubt, dass es ihnen in zehn Jahren schlechter gehen wird. Nur 17 Prozent der Bürgerinnen und Bürger schätzen ihre persönliche Zukunft als besser ein.
Die unsicheren Zukunftsprognosen spiegeln sich auch in der Nachwuchsplanung wider. So sagt immerhin jede und jeder Vierte der unter 30-Jährigen, sich angesichts der Klimakrise vorstellen zu können, auf Kinder zu verzichten.
Auch für Magdalena war der Klimawandel ein Grund für ihre Entscheidung, einer von mehreren. „Wir zerstören diesen Planeten. Und wenn wir noch mehr Kinder in die Welt setzen, wird‘s nicht besser, im Gegenteil“, sagt sie. Wir seien schon jetzt überbevölkert. Und dann sei da noch ihre „allgemeine Zukunftsangst“. „Ich fühle mich in dieser Welt nicht sicher“, sagt sie. „Ich frage mich, was wird morgen passieren, was wird in einem Jahr, in zehn Jahren passieren.“
Magdalena ist Kinderkrankenschwester. Doch ein eigenes Kind in diese unsichere Zukunft zu setzen, kommt für sie nicht infrage. Fehlende soziale Absicherung macht ihr Sorge. Vor allem alleinerziehende Frauen hätten es durch fehlende Kita-Plätze und Ganztagsbetreuungen schwer und würden dadurch schneller in eine Armutsspirale rutschen, erklärt Magdalena.
„Ich hätte Angst davor, für ein Kind verantwortlich zu sein und gleichzeitig in einem System zu leben, dass die eigenen Bürgerinnen und Bürger nicht absichert. Das soziale Netz in Deutschland ist einfach sehr löchrig“, sagt sie und ergänzt: „Ich sehe nicht, dass sich das in der Zeit, in der ich noch Kinder kriegen könnte, verändern wird.“
Hinzu kommt, dass Magdalena vor einem halben Jahr die Diagnose ADHS bekommen hat. Sie ist hochsensibel, nimmt alle äußeren Reize ungefiltert auf, kann Licht und Lautstärke nur schwer ertragen. „Und Kinder sind nun mal laut.“ Auch eine Adoption kommt daher für sie nicht infrage.
Magdalenas Gründe für ihre Entscheidung gegen Kinder sind vielfältig. Und sie decken sich mit der Einschätzung des renommierten Soziologen Klaus Hurrelmann. In der Überlegung junger Menschen, angesichts der Klimakrise keine Kinder zu bekommen, sieht Hurrelmann in seiner Analyse eher eine Rechtfertigung für andere Gründe. „Es ist heute wesentlich anspruchsvoller geworden, Kinder zu bekommen“, sagt er. „Partnerschaften müssen besser organisiert sein, auch Frauen wollen Karriere machen. Außerdem spielt der finanzielle Faktor oft eine wichtige Rolle.“
Ist Zukunftsangst wirklich das neue Alleinstellungsmerkmal der jungen Generation?
Der Soziologe vermutet, die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, habe in erster Linie mit diesen Motiven zu tun und weniger mit dem abstrakteren Klimawandel. „Der ist eher ein Nebenaspekt.“
Aber ist Zukunftsangst wirklich das neue Alleinstellungsmerkmal der jungen Generation? Und werden deswegen schon bald weniger Kinder geboren werden?
Ein Besuch bei Jürgen Witczak und Beate Ziegenfuß in einem Dorf in Niedersachsen, etwa 35 Kilometer von Hildesheim entfernt. Hinter Fachwerk, Bahnschienen und Pferdekoppeln liegt das Wohnhaus des Paares. Mit 18 haben sie sich im Jugendzentrum kennengelernt. Nun sitzen die 61-Jährige und der 62-Jährige in gepolsterten Gartenstühlen. Fruchtsaft in Glasflaschen steht vor ihnen auf dem Tisch.
„Die Angst vor dem Klimawandel gab es ja schon damals, nur dass man das nicht so genannt hat“, sagt Beate Ziegenfuß. „Das war eher die Angst vor Umweltzerstörung.“ Waldsterben, Atomkraft und Umweltgifte seien die großen Themen der Zeit gewesen. Und nicht zuletzt die Angst vor einem Atomkrieg.
„Das war eine Gesamtatmosphäre, die dazu geführt hat, dass wir nicht sonderlich optimistisch in die Zukunft geschaut haben“, erklärt Witczak. Über die politische Arbeit fanden die zwei schließlich zusammen. Und schnell war beiden klar: Eigene Kinder wollen sie nicht.
„Wir sind schon so viele Menschen auf der Welt, ich dachte, da muss ich nicht unbedingt auch noch ein eigenes Kind in die Welt setzen“, sagt Beate Ziegenfuß. Für ihren Partner kamen weitere Gründe hinzu. „In meinem Freundeskreis haben sich damals einige suizidiert oder sind an Alkohol und Drogen zugrunde gegangen. Das hat sicher zu meiner Befürchtung beigetragen, dass meine Kinder mit diesem Schulsystem nicht klarkommen werden.“
Witczak unterzog sich einer Vasektomie, die Sterilisation für den Mann. Trotz der Entscheidung gegen eigene Kinder wollten beide Verantwortung für Kinder übernehmen, die es schon gibt. Das Paar nahm nacheinander drei Pflegekinder auf. Es war eine Zeit, die die beiden als anstrengend, aber erfüllend bezeichnen. „Wir wollten auf keinen Fall, dass wir in dieses standardmäßige Kleinfamilienleben hineingeraten“, sagt Witczak. „Ich finde, mit unserem Lebensentwurf haben wir dafür eine gute Lösung gefunden.“
Die Zukunftsängste von damals sehen sie heute entspannter. „Verglichen mit früher, glaube ich sogar, dass die heutige Situation in Bezug auf Klimawandel und Umweltzerstörung dramatischer ist“, meint Beate Ziegenfuß. „Aber wir sind ein bisschen resignierter geworden. Vielleicht liegt das am Alter“, sagt sie und lächelt.
Etwa 300 Kilometer oder vier Autostunden entfernt sitzt Anke Schmidt in heller Bluse und Shorts auf einem Spielplatz in Köln-Ehrenfeld. Die 37-Jährige ist zweifache Mutter und beschäftigt sich hauptberuflich mit dem Thema Nachhaltigkeit, arbeitet als Dozentin, Autorin und Content Creatorin. Mit 31 gab sie ihren Job im Marketing auf, krempelte ihr Leben komplett für die Nachhaltigkeit um. Ihren Partner und sich bezeichnet sie als „Vollzeitökos“. Auch mit der Frage, ob man angesichts der Klimakrise noch Kinder bekommen sollte, habe sie sich beschäftigt. Doch nachdem ihr die Ärztin sagte, dass sie wohl gar keine Kinder bekommen könne, ließ sie es drauf ankommen, wurde schwanger – und bereut es nicht.
„Ich denke, man sollte nicht darüber nachdenken, ob man es verantworten kann, Kinder zu bekommen“, sagt sie, „sondern sich eher fragen, ob man mit der Angst umgehen kann, ein Kind zu haben und sich jeden Morgen fragen zu müssen, ob das Kind in zehn Jahren noch ein gutes Leben haben wird.“
Sie selbst habe diese Angst, genauso wie viele befreundete Eltern, die sich ebenfalls mit dem Klima auseinandersetzen. „Meine größte Angst ist, dass meine Kinder in zehn Jahren nicht mehr gut leben können“, erklärt sie. „Und damit meine ich nicht, dass sie nicht mehr fünfmal im Jahr reisen können. Sondern dass sie nicht mehr genug zu essen haben und bei 40 Grad leben müssen.“
Ihr Einsatz beim Thema Nachhaltigkeit helfe ihr dabei, mit den Ängsten umzugehen. „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich das Maximum tue von dem, was ich tun kann, dann beruhigt mich das.“ Auch ihre Kinder selbst geben ihr Hoffnung. „Obwohl sie noch klein sind, stellen sie schon super schlaue Fragen zum Thema Umwelt und Klima.“ Das gebe ihr das Gefühl, „dass wir doch etwas verändern können“.
Magdalena, Anke Schmidt, Beate Ziegenfuß und Jürgen Witczak: Alle haben sich in der Kinderfrage unterschiedlich entschieden. Aber alle sind sich einig: Es braucht mehr Verständnis für alternative Lebensentwürfe. Das klassische Modell Mutter-Vater-Kind habe ohnehin ausgedient, glaubt Magdalena. Sie wünscht sich, dass Menschen schon früh für das Thema sensibilisiert werden. „Dann würde es auch weniger vernachlässigte Kinder geben und mehr Menschen, die selbstwirksamer leben können“, sagt sie. (RND)
Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.