Unser Kolumnist analysiert den Bierstand als kulturelles Phänomen: Am Bierstand gibt es kein Craft-Bier mit Retro-Design-Etiketten.
KolumneWo Deutschland ganz bei sich ist (III) – Der Bierstand
Jahrzehnte, bevor Berliner Hipstergastronomen das Wort Food Truck buchstabieren konnten, war das Konzept des fahrbaren Versorgungswagens bereits fester Bestandteil des deutschen Volksfestwesens. Der Ausschankwagen ist auch unter seinem romantischen Nom de Plume bekannt: die „Biergondel“. Gereicht wird dort Flüssignahrung, getreu der alten Bauernweisheit: „Ist der März gar kalt und nass / Trinkt der Bauer Bier vom Fass. / Und ist’s im Mai noch nicht viel besser / Trinkt er noch drei weit’re Fässer.“
„Bier ist der Beweis, dass Gott uns liebt und will, dass wir glücklich sind“, hat Benjamin Franklin vor vielen Jahren mal nicht gesagt, wird aber fälschlicherweise bis heute damit zitiert. Gesichert ist hingegen die Behauptung des unvergessenen Paul Kuhn, es gebe kein Bier auf Hawaii, deshalb bleibe er hier, denn es sei so heiß auf Hawaii, kein kühler Fleck, und nur vom Hula-Hula gehe der Durst nicht weg. Recht hat er. Wir erinnern uns.
Am Bierstand gibt es kein Craft-Bier mit Retro-Design-Etiketten, die alle so aussehen wie das verwitterte Ladenschild eines Barbiers von 1926. Nicht mehr lange, und auf Craft-Bier-Schildern steht derselbe Quatschtext wie auf Poloshirts: „Authentic North Best Original Quality Brand Beach Club Jolly Jumper established 1952 Honeysuckle Rose Garment Hike Can Opener“. Am Bierstand gibt es das echte Zeug. Bier halt. („Ein Bier bitte“ – „Geht auch alkoholfrei?“ – „Geht auch Spielgeld?“).
Vor allem Männer sind ja genügsame Esser. Vier Grundnahrungsmittel reichen ihnen vollkommen: Wasser, Gerste, Hopfen und Hefe. Daraus werden allein in Deutschland 5000 trinkbare Biersorten gebraut, außerdem noch Kölsch, ein sogenanntes Bier-Derivat, das sich zu richtigem Bier verhält wie ein Fingerhut Leitungswasser zu einem doppelten Whiskey. Und Rauchbier, das schmeckt, als hätte jemand drei Bifis in einer Tasse Buttermilch vergessen.
Am Bierstand ist die Welt ehrlich
Am Bierstand geht es zunächst darum, die Bedienung durch die Kraft der Suggestion auf sich aufmerksam zu machen. Wenn das nicht gelingt, hilft nur die Kraft des Gedrängels und Gebrülls. Schüchterne Menschen bleiben durstig. So ist die Welt, und am Bierstand ist sie ehrlich. Wenn du dich hier nicht mit Geldscheinen wedelnd nach vorne drängst wie ein Texaner im Stripteaseschuppen, wirst du in Reihe acht versauern. Wer es mit Höflichkeit versucht, verdurstet.
Die Befüllung feiernder Deutscher durch eine erdgebundene Betankungsdrohne namens Bierstand ist ein logistischer Kraftakt, vor allem auf dem Land (Stadtkind: „Treffen wir uns nachher auf 1-2 Bier?“ – Landkind: „12 schreibt man ohne Bindestrich“). Im Ausdruck „Fass Bier!“ ist auch ein Imperativ enthalten. Im Durchschnitt trinkt jeder Deutsche pro Jahr trotz sinkender Tendenz immer noch rund 92 Liter Bier und geht im Schnitt 1200 Kilometer. Das macht 7,7 Liter auf 100 Kilometer. Ein ordentlicher Wert.
Nächste Woche lesen Sie: „Wo Deutschland ganz bei sich ist (IV): Im Baumarkt“.
Schönes Wochenende!
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