Das Weltraumkommando der Bundeswehr Deutschlands schützt den Zugang ins All. Besuch einer außergewöhnlichen Dienststelle.
„Star Wars“ bei der BundeswehrWarum es immer wichtiger wird, die Sicherheit im All zu verteidigen
Anfang April umweht den Kasernenhügel Paulsberg im niederrheinischen Uedem eine intergalaktische Atmosphäre. Das Luftwaffenmusikkorps Münster spielt vor Gästen den selbst komponierten „Space Guard Salut“. Und als der Generalmajor an das Rednerpult tritt, flankieren ihn ein halbes Dutzend „Storm Trooper“, jene weiß gepanzerten Soldaten aus den „Star-Wars“-Filmen sowie das Böse höchstselbst, „Darth Vader“, stilecht mit Maske und schwarzem Umhang.
Während die Filmfiguren einem Kostümclub entspringen, ist die dunkelblaue Uniform des Generalmajors echt, genauso wie die neue Zentrale seiner Kommandobehörde, die er an diesem Tag stilgerecht einweiht: Vorhang auf für das Weltraumkommando der Bundeswehr.
Der Begriff wecke abenteuerliche Assoziationen von Jules Verne bis zum Raumschiff Enterprise, bemerkte die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kamp-Karrenbauer (CDU) selbst, als sie es im Juli 2021 vorstellte. Die Realität sei zwar „längst nicht so reißerisch“, aber nicht weniger bedeutsam. „Unser Wohlstand und unsere Sicherheit“ seien „in hohem Maße vom Weltraum abhängig.“
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Wettrennen der Weltmächte
Das All ist längst Schauplatz eines „Space Race“, eines Wettrennens der Weltmächte. Im Weltraum kreisen Satelliten, die für das Militär aber auch für unser ziviles Leben unersetzlich sind, für Navigation und Kommunikation, Klima- und Wetterdaten. Fiele ein System aus, könnte das den Alltag von Millionen Menschen auf der Erde betreffen – und Kriege und Konflikte weltweit beeinflussen.
Die Relevanz kommt mehr und mehr in der deutschen Politik an: Im September veröffentlichte die Bundesregierung eine Raumfahrtstrategie, die erste seit 13 Jahren. Schon zuvor sprach sie von einem „zentralen Faktor“ für die Bundesrepublik in Bezug auf die Weltraumsicherheit. Längst wird Deutschlands Sicherheit auch im All verteidigt: vom Paulsberg in Uedem aus, rund um die Uhr, und mit allem gebotenen Ernst.
Wandelt man durch die Flure des dunkelroten Backsteinbaus, erkennt man in vielen Ecken eine Liebe zum Detail. So manches Büros schmücken Raumschiffposter, im Treppenhaus steht ein schulterhohes Modell einer Ariane-Rakete und ein Sternenkrieger-Spielautomat, in den Gängen liegen Fußmatten mit Neil Armstrongs Mond-Zitat: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit.“
In Uedem haben sie Großes vor. Zwei Jahre nachdem Kramp-Karrenbauer das Kommando in Dienst stellte, zog das Weltraumkommando aus provisorischen Containern in ihren neuen S-förmigen Bau. Rund 40 Millionen Euro hat er gekostet, die Belegschaft soll sich in den nächsten Jahren verdoppeln, etwas mehr als 100 Soldaten und zivile Mitarbeiter dienen derzeit in 122 Büroräumen. Das Herzstück liegt jedoch im Keller. Schwere Türen schützen das Weltraumlagezentrum, das die Bundeswehr gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreibt. Hier scannen sechs Mitarbeiter in Zwölf-Stunden-Schichten auf großen Bildschirmen die Tiefen des Weltraums.
Denn dort oben wird es immer voller: Etwa 30?000 Objekte hat das Lagezentrum im erdnahen Orbit katalogisiert, darunter jede Menge rasend schnell fliegender Weltraumschrott und Satelliten. Über acht Systeme verfügt die Bundeswehr selbst, etwa zur Aufklärung und Kommunikation. Daneben lassen andere Nationen und kommerzielle Anbieter ihre Modelle zirkulieren. Allein für sein Starlink-System ließ SpaceX-Gründer Elon Musk schon 5000 Satelliten ins All schießen, heute gehören mehr als 50 Prozent aller aktiven Satelliten seinem Netzwerk an. Und jede Woche kommen 20 bis 50 Stück hinzu.
„Strategische Dimension“
Aus Uedem berechnet das Weltraumlagezentrum die Driftraten der Himmelskörper, steuert die eigenen Satelliten in 36?000 Kilometer Höhe, um Kollisionen zu vermeiden, warnt Streitkräfte vor in die Atmosphäre eintretenden Objekten und beobachtet das Weltraumwetter. So können etwa Strahlungsblitze und Massenauswürfe aus der Sonne den Funkverkehr auf der Erde beeinträchtigen.
Dass das Weltraumkommando nun eine eigenständige Dienststelle bildet, kommt in der Bundeswehr einer Zeitenwende gleich. In der im Juli 2023 vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie thematisiert die Bundesregierung den Weltraum erstmals gesondert als „strategische Dimension“. Ihr erster Ansprechpartner ist nun das Weltraumkommando, das der Luftwaffe unterstellt ist. Die sichere und nachhaltige Nutzung des Weltraums gehöre „genauso zur kritischen Infrastruktur wie Strom- und Wasserversorgung“, sagte der zuständige Kommandeur Michael Traut bei der Eröffnungszeremonie in Uedem. „Unser Auftrag ist es, dies zu schützen und, wenn es sein muss, zu verteidigen.“
Ihre Mission wird wegen der rasanten internationalen Entwicklung immer relevanter. Längst gibt es Spionagesatelliten, die an andere heranfliegen, um diese zu beobachten, zu verfolgen, den Datenverkehr mitzuschneiden. China demonstrierte unlängst, dass es einen anderen Satelliten fangen und in einen anderen Orbit ziehen kann. Um abzuschrecken und eigene Stärke zu demonstrieren, schossen China, Russland oder Indien bereits eigene Satelliten vom Himmel.
Wie wichtig satellitengestützte Kommunikation für die Kriegsführung ist, zeigt sich in der Ukraine, wo das Militär mithilfe von Musks All-Internetdienst Starlink seine Streitkräfte vernetzt und sogar Drohnen steuert. Bereits 2019 erklärte die NATO den Weltraum zu einem eigenen Operationsfeld neben Luft, Land, Wasser und Cyber. 2022 legte das Verteidigungsbündnis mit der „NATO Overarching Space Policy“ ein Grundsatzpapier vor. Potenziell könnte ein Angriff auf einen Satelliten eines Nato-Partners einen Bündnisfall auslösen.
In Uedem arbeiten sie nun daran, dass Deutschland für solche Szenarien gewappnet ist. Während der Zustand der Truppe auf anderen Feldern desolat ist, spürt man auf dem Paulsberg eine gewisse Aufbruchsstimmung. Das Team besteht unter anderem aus Astrophysikern, Mathematikerinnen oder Informatikern und ist vergleichsweise jung. Es stimmt sich ab mit dem Kommando Cyber- und Informationsraum. Trotzdem steht man erst am Beginn. Im Lagezentrum stammen Programme und Technik noch vor allem vom zivilen Kooperationspartner, dem DLR.
Der Verteidigungsexperte Ralph Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft und ehemaliger Oberst, hält den Weltraum aus deutscher Sicht für eine „kleine Knospe, die nun zu blühen beginnt.“ Er vergleicht die militärische Bedeutung weltraumgestützter Dienste mit der Erfindung der ersten Panzer: „Ein dramatisches Ereignis, das Krieg verändert hat. So etwas findet jetzt im Weltraum statt. Für moderne Streitkräfte ist Satellitenunterstützung das A und O.“
Thiele war während seiner Militärzeit selbst in erste Entwicklungen in Sachen Weltraum eingebunden. Auch wenn die Qualität der All-Aktivitäten der Bundeswehr ordentlich sei und es positive Anzeichen gebe, sei Deutschland noch ein kleiner Spieler, sagt er. „Ich bin nicht überzeugt, dass wir schon aufgewacht sind. Der Weltraum wird ein komplexer Kriegsschauplatz und wer sich da nicht schützen kann, ist eben nur ein Opfer.“
Wie so häufig in Zukunftsfeldern geht es auch beim Weltraum um Wahrnehmung – und Geld. Die Bundesregierung beschloss jüngst zwar eine Raumfahrtstrategie, will zugleich aber die Mittel für das nationale Raumfahrtprogramm um mehr als 15 Prozent kürzen. 2024 sollen statt 371 nur noch 313 Millionen Euro fließen. Zwar soll der deutsche Beitrag für die Europäische Weltraummission (ESA) steigen, dennoch bremst die Kürzung aus Sicht der Raumfahrtcommunity den Elan hierzulande. Nicht nur das Militär, auch die Wirtschaft wünscht sich mehr Zug. Auf dem zweiten Weltraumkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) im Oktober mahnte BDI-Chef Siegfried Russwurm: „Wer im All nicht vorne dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein.“
Warnungen vor Abhängigkeit
Der weltweite Markt für Dienste über Satelliten wies 2021 einen Umfang von 320 Milliarden auf, er wird bis 2040 auf 1,25 Billionen Euro ansteigen, schätzt die Beratungsfirma Roland Berger. Dienste wie Paypal, Google Maps oder GPS basieren auf Satellitenkommunikation, auch die vernetzte Industrie 4.0 und das Autonome Fahren brauchen stabile Verbindungen ins All. Schon wird gewarnt, dass Deutschland sich ähnlich abhängig mache von ausländischen Firmen wie bei der Chip- und Halbleiterproduktion. So investieren die USA, Frankreich oder China deutlich mehr öffentliches Geld in den Raumfahrtsektor. Auch die Bundeswehr ist auf Innovationen aus dem Privatsektor angewiesen. Sogenannte New-Space-Unternehmen entwickeln etwa kleine und leichte Trägerraketen, um Satelliten ins All zu bringen. Die Start-ups wiederum brauchen Aufträge aus dem Verteidigungsministerium, um sich zu etablieren.
Die Zeit drängt
Die Zeit drängt. Denn aktuell herrsche im Weltraum eine „Mischung aus Wildem Westen und Goldgräberstimmung“, wie es ein ranghohes Mitglied der Luftwaffe beschreibt. Es gelte der Grundsatz: Wo ich schon bin, kann kein anderer mehr hin. Zwar sind die Weiten des Alls unendlich, die erdnahen Plätze jedoch begrenzt. Der Weltraumbeauftragte des BDI schätzt, dass bis 2030 jedes Jahr etwa 2000 Satelliten ins All starten werden.
Regulierungen gibt es dabei kaum: Die Bundeswehr schreibt auf ihrer Website von einem „rechtsfreien Raum“, die letzten Grundsätze beruhen auf dem Weltraumvertrag von 1967, der unter anderem vorschreibt, dass keine Massenvernichtungswaffen im All stationiert werden dürfen. Vom Boden oder der Luft aus Satelliten zerstören oder Raketen abfangen mittels Nukleardetonationen im All – all das ist bislang nicht untersagt. Um Eskalation und Konflikten vorzubeugen, will sich die Bundesregierung für die Weiterentwicklung der internationalen Ordnung im Weltraum einsetzen.
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