Die Menschheit beleidigt sich gern direkt, aber beleuchtet sich lieber indirekt. Unser Kolumnist über Lichtinstallationsobjekte mit einer Million Farbwechselmodi.
Der Trend zum LED-SpektakelDas Methadonprogramm für Pyromanen
Zu den wenigen Segnungen der düsteren Jahreszeit gehört, dass die Hässlichkeit so manchen deutschen Dorfes für die meiste Zeit des Tages dem gnädigen Deckmantel der Dunkelheit überantwortet bleibt. Nur schemenhaft illuminiert hat noch die brackigste Behausungsanballung voller plastikverschalter Elendsfassaden die Chance, zu einem mysteriösen Zauberort zu werden. Das ist auch der Grund, warum die Landbevölkerung in ihrer Freizeit so gerne Laternen austritt: um das Elend nicht sehen zu müssen.
Ich wohne selbst außerorts. Ich spüre die Grenzen dieses Lebensentwurfs besonders im November, wenn ich auf dem Heimweg kommunale Trostlosigkeiten durchquere, bei denen ich jedes Mal denke: So fangen „Tatorte“ an.
Ganz dunkel ist auf Dauer aber auch doof. Man rennt so leicht gegen Wildschweine oder stolpert über Schnapsleichen. Früher wurden deutsche Dörfer nächtens immerhin von lilafarbenem Grünpflanzenlicht erhellt. Das sollte welke Benjamini zur Fotosynthese verführen, sah aber aus, als sei jedes dritte Haus eine insolvente Schlachterei.
Als Kompromiss in Sachen Beleuchtung hat sich flächendeckend ein verstörender Trend breitgemacht: Es ist die Illumination des Planeten durch indirektes LED-Licht. Ob im Auto, hinter dem Fernseher, in der Küche, in Firmenfoyers, in Kiosken oder Handyreparaturshops – überall simmert und glüht regenbogenbuntes Schimmerlicht. Auch der Gaming-Fachhandel bietet gepolsterte Amüsierparzellen für Zocker feil, die man vom Mond aus sehen kann.
Kilometerweise werden in deutschen Haushalten LED-Streifen ausgerollt, als rechne man jederzeit damit, dass im Flur ein Airbus A380 landet. Wir kaschieren die Ödnis unseres kleinen Tranfunzellebens mit Ambiente-Light, bis das Schlafzimmer aussieht wie ein Arbeitsplatz in Amsterdam. Es gibt Menschen, die den Fußraum ihres Autos mit LED-Licht nachrüsten. Irgendwann sehen wir in unseren schimmernden Leuchtfahrzeugen dann aus, als wären wir lauter Feen und Zauberer auf dem Weg zur Arbeit.
Auch ich verfüge über mehrere LED-Lichtinstallationsobjekte mit einer Million Farbwechselmodi und sämtlichen Farben der Schöpfung, selbstverständlich appgesteuert. Ich könnte theoretisch von Venezuela aus das Licht bei uns zu Hause von Rot auf Regenbogen umstellen. Von allen Problemen, die die Menschheit noch zu lösen hat – wenigstens dieses Thema können wir von der Liste streichen.
Lumen, Watt und Kelvin sind meine Freunde. Warum kaufe ich so gerne sinnloses Leuchtezeug? Weil ich ein Pyromane bin. Richtiges Feuerwerk gerät imagemäßig unter Druck. Also: Her mit dem indirekten Bonbonlicht! LEDs sind das Methadonprogramm für Pyromanen. Die Menschheit beleidigt sich gern direkt, aber beleuchten tut sie sich lieber indirekt.
Im Shoppingfernsehen kennt man unsere Schwäche. Dort wird ein Lasersystem angepriesen, das deine Hausfassade mit Tausenden Lichtpunkten schmückt. Das sieht aus, als ob sie bei Disney ein Märchenschloss planten, aber nur noch Geld für ein Reihenklinkerhaus hatten. Es ist das perfekte Symbol dafür, wie eng Freud und Light zusammenliegen.
Schönes Wochenende!
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