Kuscheln mit Furby, quatschen mit Alexa, flirten mit Replika – wir gewöhnen uns an digitale Weggefährten. Vor allem für Kinder fühlen sich manche Gadgets und Apps wirklich lebendig an. Bei den Eltern lösen sie hingegen oft Ängste aus.
Virtuelle HaustiereDer neue beste Freund des Menschen?
Eine Generation von Menschen findet es normal, sich mit virtuellen Tieren auf dem Bildschirm anzufreunden. Die größte anhaltend erfolgreiche Entertainment-Marke hinter dem Phänomen ist „Pokémon“. Allein die Spieleserie blickt auf erstaunliche 480 Millionen verkaufte Titel zurück und produziert immer noch verlässliche Bestseller. Dank einer neuen Spielerweiterung wird auch der aktuelle Nintendo-Switch-Titel „Pokémon Karmesin/Purpur“ wieder zuverlässig in den Bestsellerlisten des Jahres auftauchen.
In „Pokémon“ bereisen die jugendlichen Spielerinnen und Spieler eine Alternativwelt, in der sie Taschenmonster fangen, sammeln und trainieren. Weil „Pokémon“-Spiele auf Handhelds erscheinen, fühlt es sich für Kinder so an, als könnten sie ihr Team kämpfender Freunde im Rucksack mitnehmen.
Digitale Gefährten sind inzwischen allgegenwärtig. Sie sind als Spielzeug, Videospiel, als Roboter und App schon seit Jahren erfolgreich. Aber heißt das, dass wir zu ihnen auch eine ähnlich intensive Beziehung wie etwa zu unseren Haustieren aufbauen?
Chaolan Lin erforscht an der University of California in San Diego, wie Kinder mit echten und virtuellen Tieren umgehen. Sie erklärt, die Bindung zwischen Kindern und Tieren sei eine „multisensorische und beiderseitige Erfahrung.“ Studien hätten etwa belegt, dass es „Stress lindern kann, einen Hund zu streicheln.“
Bei einem Videospiel wie „Pokémon“ geht das nicht. Ihm fehlt etwas, was jedes altmodische Plüschtier bietet: Es ist nicht kuschelig. Es hat keinen Körper. Einzelne Titel, in denen etwa Pikachu am Touchscreen gestreichelt wird, sind ein schwacher Ersatz. Sie weisen vor allem auf eine unerfüllbare Fantasie des kindlichen Publikums hin.
Haustierroboter lösen Ängste aus – bei den Eltern
Doch smarte Spielzeuge kann man durchaus streicheln. Furbys gibt es etwa bereits seit Jahrzehnten. Die gurrenden, eierförmigen Robokuscheltiere gehören zu einer Reihe digitaler Spielzeugtrends, die in den 1990er-Jahren Kinderzimmer erreichten – auch die ersten „Pokémon“-Spiele fallen in diese Zeit. Auch Tamagotchi lösten in dieser Zeit ihren ersten Hype aus. Die kleinen LCD-Spiele in Eiform baumelten am Gürtel oder Schultornister. Kinder hatten sie immer dabei; sie mussten die Tamagotchi am Bildschirm füttern, sauber machen, mit ihnen spielen. Wurden die Tiere gut gepflegt, gediehen sie. Wurden sie vergessen, drohte der Tod des virtuellen Haustiers.
So smart waren Furbys nie, doch dafür haben sie den physikalischen Vorteil. Während Tamagotchi in ihrem LCD-Spiel wie in einem Käfig leben, sind Furbys lebendige Kuscheltiere. Kinder können sie im Arm halten. Die Robotiere wirken auf eine schwer greifbare Art lebendig. An genau diesem Punkt löste die Begegnung mit sprechenden Haustierrobotern jedoch auch Skepsis aus. Erste Furby-Modelle ließen sich nicht einfach ausschalten. Noch heute berüchtigt sind die populären Sorgen der Zeit, es könnte mit der verbauten Kamera und dem Mikrofon für Spionage eingesetzt werden, Kinder oder gar Staatsgeheimnisse ausspähen.
Chaolan Lin weiß aus aktuellen Studien, dass auch neuere Haustierroboter bei Eltern Ängste auslösen. Modelle mit Kamera wurden in Studien von einigen Eltern nach dem Spielen weggeräumt, weil sie „befürchteten, das Auge des Roboters sei eine Kamera, durch die auch Kriminelle in ihr Heim schauen können“.
Emotionale Verbindung zu Robotern
Doch das zeigt: Wenn digitale Gefährten den Bildschirm hinter sich lassen, behandeln wir sie offenbar anders. Besonders intensiv hat sich Kate Darling mit dem Verhältnis von Mensch und Roboter beschäftigt. Sie pflichtet bei: Dass „physische Roboter überzeugender wirken als etwas auf einem Bildschirm“, werde von „einer großen Zahl von Studien“ belegt. Darling hat in der Vergangenheit Haustierroboter und virtuelle Spielgefährten untersucht. Zuletzt hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie dafür plädiert, Roboter stärker so wie Tiere zu sehen – auch in der Art, wie sie uns als lebendiges Werkzeug dienen. Denn lebendig wirken Roboter nicht nur auf Kinder, weiß Darling. Auch, wenn sie den Eindruck hat, „dass Erwachsene resistenter gegenüber der Idee sind, Roboter wie lebende Dinge zu behandeln“.
Aktuelle Studien würden belegen, „dass Menschen emotionale Bindungen und soziale Beziehungen zu Robotern entwickeln können“, führt Darling aus. Roboter könnten „definitiv“ eine „ähnliche Rolle“ spielen, wie es Haustiere heute tun. Darling will damit auch zum Nachdenken über unsere Beziehungen anregen; nicht nur mit Robotern, sondern auch mit Tieren und Menschen.
Virtuell ist normal
Roboter wirken also auf Erwachsene und auf Kinder lebendig. Doch Kinder neigen stärker dazu, sie selbstverständlich wie Lebewesen zu behandeln. Dafür hat Chaolan Lin in ihren Studien praktische Beispiele gesammelt. Ein Kind war etwa nicht bereit, das vermeintlich lebendige Spielzeug abends mit ins Bett zu lassen.
Die Kinder der Neunziger sind bereits erwachsen. Viele haben sich an die Interaktion mit virtuellen Tieren nicht nur gewöhnt, sondern sie bleiben auch dabei. Die „Pokémon“-Serie bleibt bei erwachsenen Spielerinnen und Spielern beliebt. Und ein großes Erfolgsrezept für Videospiele der letzten Jahre liegt darin, diese Nostalgie gezielt zu bedienen. Spiele wie „Bugsnax“, „Temtem“, „Ooblets“ oder „Cassette Beasts“ zitieren die Spielidee von „Pokémon“ und machen sie schwieriger oder kommentieren sie ironisch.
Wie sehr wir uns nicht nur an virtuelle Wesen, sondern auch an eine indirekte Kommunikation durch Bildschirme gewöhnt haben, zeigen die neuen Hypes um KI-Produkte. Über ein Chat-Interface reden wir auch mit echten Menschen. Wenn Sprachmodelle wie ChatGPT die Form beherrschen, können sie fast schon intelligent auf uns wirken. Die App Replika hat tatsächlich erreicht, dass Menschen sich in einen virtuellen Gefährten auf ihrem Smartphone verlieben. Ob lebendig oder nicht – offensichtlich wirken solche virtuellen Lebewesen auf uns. (RND)
Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.