Hexe, Nonne oder PiratWas steckt hinter dem Kostüm? Trendkostüme und ihre Bedeutung
An Karneval kann vieles, aber nichts muss. Genau das ist das Schöne. Sechs Tage Freiheit von den Alltagszwängen und jeder weiß, spätestens wenn der Nubbel verbrannt wird, ist der Spuk vorbei. Dem Kostüm kommt bei alldem eine tragende Rolle zu. So wie Kinder zwischen vier und sechs Jahren manchmal im Minutentakt die Rolle tauschen, ist Erwachsenen der Karneval fürs Experiment vorbehalten.
Wenn sich Kinder mit demselben Tuch um die Schulter gewickelt vor einen hinstellen und voller Ernst behaupten, sie wären jetzt mal Ritter, und sich ein paar Sekunden später vor einem aufbauen mit den Worten: Doch lieber König, dann ändert sich lediglich die Mimik, der Rest sei Phantasie, sagt der Kölner Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Wolfgang Oelsner. Für Erwachsene hingegen sei es durch jahrelange Erziehung und Einübung im Alltag wesentlich komplizierter, die Rolle zu tauschen.
„Ausprobieren auf Probe“
Das „Ausprobieren auf Probe“, ein Privileg der Schauspieler, sei das befreiende Element, das die Erwachsenen im Karneval genießen. Allerdings braucht es etwas mehr als eine Feder am Hut, um zu glauben, dies genügt für edles Rittertum. Denn ob der Rollentausch gelingt, ist fraglich. Folgt man der Theorie des Psychologen und Meinungsforschers Stephan Grünewald, kann man sich, egal in welchem Kostüm, niemals von der eigenen Persönlichkeit befreien.
Lesen Sie im Interview mit Stephan Grünewald und in seinen folgenden Kostüm-Interpretationen, was es mit der Verkleidung auf sich hat. Klischee hin oder her. Mag das Bild vom Bienchen niedlich sein, wenn sich hinter Schwarz-Gelb eine Kratzbürste verbirgt, wird sie auch im Karneval eher stechen als friedlich summen.
Welches Kostüm passt zu Ihnen? Vom Cowboy bis zum Kätzchen
Der Cowboy
Er zeichnet ein abenteuerliches Abbild eines ganz normal arbeitenden Menschen. Er steht auf, reitet aus, kehrt abends in den Kreis der Gemeinschaft zurück. In der Pause schaut er nicht Fernsehen, sondern ins Lagerfeuer. Er steht für ein sehr kontrolliertes und verregelmäßigtes Leben.
Version 1 Wenn ich sowieso jemand bin, der sehr verlässlich ist, dann passt das Kostüm ganz gut. Denn der Cowboy ist eine ganz andere Gestalt als der Pirat. Wenn die Rinderherde ausbricht, kommt er und treibt sie wieder zusammen. Er ist ein Ordnungshüter, ein fester Charakter. Wenn ich selbst ein solch fester Charakter bin, kann ich das mit dem Kostüm gut zum Ausdruck bringen und habe trotzdem einen verwegenen Touch.
Version 2 Wenn ich ein unsteter Typ bin, dem ständig die Pferde durchgehen, kann ich mit dem Kostüm demonstrieren, dass ich so unstet doch gar nicht bin.
Version 3 Ich bin eigentlich ganz ordentlich, kann aber auch mal das Lasso rausholen.
Die Hexe
Auffallend ist manchmal, dass (hübsche) Frauen sich gerne hässlich machen.
Version 1 Das Hässlichmachen kann eine prophylaktische Enttäuschungsabwehr sein. Vielleicht hofft die Frau insgeheim, alle Männer auf einer Party bezirzen zu können. Wenn das dann nicht gelingt, beginnt die Frau sich selbst in Frage zu stellen. Wenn sie sich dann an Karneval hässlich macht, und keiner mit ihr spricht, hat sie die Absolution, zu sagen, das liegt am Kostüm. Kein Wunder, dass kein Mann etwas von ihr wissen will.
Version 2 Wenn die Trägerin sowieso das Gefühl hat, sie gefällt sich nicht, kann die Wahl des Hexenkostüms auch eine Art Selbstbestrafung sein. Mit der Hoffnung, dass, wenn sie das Kostüm ablegt, ihre Schönheit erwacht. „Ich komme zum Beispiel vom Niederrhein, da verkleiden sich die Frauen als Mönen, als abgrundtief hässliche alte Weiber. Als Mann hat man die Gewähr, wenn sie die Maske abnimmt, kann sie nur schöner werden.“ (Stephan Grünewald)
Version 3 Die Trägerin hat Angst vor ihrer eigenen Verführungskraft, davor, dass sie über die Stränge schlägt. Das Hexenkostüm dient als Schutz.
Version 4 Im Alltag ist die Frau immer lieb und brav, mit dem Hexenkostüm kann sie ihre zickigen und hexenhaften Seiten zeigen.
Das Kätzchen
Version 1 Ich bin als Frau unsicher. Wenn ich Kätzchen bin, kann ich das weiter sein, von meinem Kostüm wird nicht die Königin des Tierreichs erwartet.
Version 2 Im Alltag bin ich sowieso die Obertigerin und nutze jede Gelegenheit, die Krallen auszufahren. Mit dem Kätzchenkostüm kann ich diese Seite etwas runterdimmen, mich selber etwas kleiner machen und verniedlichen.
Version 3 Ich kann damit rechnen, dass andere mich süß und niedlich finden und mich unter ihre Fittiche nehmen.
Version 4 Katzen sind im Gegensatz zu Hunden Tiere, die keine intensive Bindung eingehen. Auch wenn ich mich jetzt an der Theke anschmiege, kann ich im nächsten Moment wieder weg sein.
Pirat, Nonne, Zeitgeist-Kostüme
Der Pirat
Version 1 Wenn ich mich als brav empfinde, kann ich mit einem Piratenkostüm eine andere Seite zum Vorschein bringen. Ich nähere mich dem Freibeutertum an, indem ich jede(n) anspreche, die/der mir gefällt.
Version 2 Wenn ich ohnehin ein Hasardeur/eine Hasardeurin bin, kann ich das mit meinem Kostüm offenkundig machen. Das Kostüm verrät erst mal nichts über mein Wesen oder meine Verwandlungsabsicht, es hilft mir aber, mich zu inszenieren.
Die Nonne/ der Priester
Das Kostüm kann ganz unterschiedlichen Verwandlungsintentionen genügen.
Version 1 Das Kostüm kann kaschieren, dass es sich beim Träger um einen ungeheuerlichen Casanova handelt, er macht sich unschuldig, um dadurch vielleicht Zugangsbarrieren bei Frauen abzubauen. Im Sinne von „ein Priester, will doch nur spielen, also tanzen wir mal mit dem...“
Version 2 Es kann aber auch sein, dass der Träger Angst hat vor seiner eigenen Übergriffigkeit und korsettiert sich damit. Er bringt sich in einen Kostümzwang. Er muss zurückhaltend sein, damit er nicht aus der Priesterrolle fällt. Gleiches gilt für die Nonne.
Version 3 Ich bin schüchtern, wähle mit dem Kostüm die Legitimation, auch weiter schüchtern sein zu dürfen. Weil von mir als Priester/Nonne wird ja nicht erwartet, dass ich als Erster/als Erste auf der Tanzfläche bin.
Das Zeitgeist-Kostüm Trump/Bowie
Die Zeitgeistkostümierung orientiert sich jedes Jahr an der aktuellen Aufregung, Freude, Trauer.
Donald Trump
Auch bei dieser Figur lassen sich verschiedene Versionen durchdeklinieren:
Version 1 Klammheimlich wird er bewundert. Der Träger kann die Sehnsucht zum Ausdruck bringen, dass er auch mal ganz oben sein will, und mit göttlichen Twitterblitzen die Welt regieren möchte.
Version 2 Der Träger hat auch fiese Seiten wie Trump und ist sich diesen vollkommen bewusst. Der Träger kann sich aber auch davon distanzieren, indem er das Fiese durch den Kakao zieht.
David Bowie
Ein ganz anderes Phänomen.
Version 1 Ich verarbeite meine Trauer über den Tod meines Idols.
Version 2 Oder ich bringe mit dem Kostüm die Seligkeit zum Ausdruck, die mich als Jugendlicher bestimmte, wenn ich in seiner Musik aufgegangen bin. Dazu kann ich mir und den anderen noch die Vergänglichkeit demonstrieren – auch die ganz Großen treten einmal ab.
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