Köln – Schier endlos holpert die Straße durch Dornengestrüpp und Urwald auf der Landzunge im Südwesten Kubas dahin. In der Hitze des Mittags flimmert die Luft, als sich ein monströses Gebilde aus Beton und Stahl in die Höhe schraubt. Tatsächlich: Die verrottete Kuppel eines Atomkraftwerks, Vorbote jener Geisterstadt, die kurz darauf auftaucht – Ciudad Nuclear. Meterhoch wuchert das Unkraut zwischen den mehrstöckigen, vergammelten Plattenbauten.
„Wir hatten so viel Hoffnung reingesteckt“
„Das war ein sehr trauriger Moment damals, als wir vom Ende des Baus erfuhren“, erinnert sich Lazaro Pérez an jenen Tag im Jahr 1992, als Fidel Castro im strömenden Regen den Arbeitern in der „Nuklearstadt“ das Aus für das Prestigeprojekt verkündete – Russland hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion seine Zahlungen für den Atommeiler eingestellt.
Dabei hatte die Kernenergie das Land unabhängiger vom Öl machen sollen, eine sozialistische Musterstadt war an der Küste errichtet worden für Tausende von Arbeitern – doch nun flossen Tränen. „Wir hatten so viel Hoffnung reingesteckt.“ Pérez’ Blick verliert sich im kleinen Wohnzimmer zwischen Kunstblumen und Fotos vom Enkelkind.
„Die Deutschen haben eine sehr exotische Vorstellung von Kuba“
Liebevoll legt der ältere Mann, der heute als Ingenieur in der Erdölraffinerie im nahen Cienfuegos arbeitet, den Arm um seinen Sohn Yordi: Heute ruhen die Hoffnungen der Familie auf dem 25-Jährigen, der seine Eltern und die jüngere Schwester finanziell unterstützt. Denn der ernste junge Mann zählt zu Kubas gefragtesten Tänzern, geht nun mit der Show Ballet Revolución auf eine fünfmonatige Deutschland- und Europa-Tournee bei einer Gage von 800 Euro die Woche – zuhause beträgt der durchschnittliche Monatsverdienst 45 Euro.
„Die Deutschen haben einfach eine sehr exotische Vorstellung von Kuba“, hat Roclan González Chavez festgestellt. Er verantwortet die Choreographien der 18-köpfigen Compagnie und kennt als künstlerischer Macher verschiedenster anderer Export-Produktionen wie etwa „Lady Salsa“ die Vorlieben hierzulande nur zu gut. „In den USA würde diese Show nicht funktionieren, denn dort ist das Latino-Image eher negativ besetzt.“
Einbruch des Tourismus und Engpässe bei Lebensmitteln
Dabei erzählt Ballet Revolución mitnichten eine Revolutions-Geschichte aus dem karibischen Inselstaat, der nach dem von US-Präsident Donald Trump wieder verschärften Handelsembargo und neu verhängten Sanktionen nicht nur mit einem Einbruch des Tourismus zu kämpfen hat, sondern auch mit Engpässen bei Reis, Bohnen oder Klopapier: Nein, revolutionär für europäische Begriffe ist in dieser Show allein die tänzerische Idee, die klassische Figuren mit Pop-Hits, Pirouetten mit Breakdance-Einlagen verknüpft, ergänzt durch virtuose Salsa-Schritte oder Mambo-Posen.
„Mir geht es um den „Cuban Way“, sagt Chavez. Und der langjährige Co-Produzent Jonathan Lee ergänzt: „Tanz liegt den Menschen hier einfach im Blut und sie lieben es gemeinsam zu performen, denn Kubaner suchen immer die Gemeinschaft – auch wenn sie hier auf der Insel nicht viel haben, so möchten sie das wenige doch unbedingt zusammen genießen.“
Kubas Künstler bewegen sich katzengleich
Mögen die Worte des Briten auch allzu sehr das Reisekatalogs-Klischee von der frohen Armut bedienen, treffend ist zweifellos seine tänzerische Betrachtung: Die Künstler hier bewegen katzengleich die Beine aus der Hüfte und die Arme aus der Schulter und vermögen sogar Körperteile einzeln rotieren zu lassen.
Was sich selbst schon bei den jüngsten Elevinnen der Escuela de Ballet Lizt Alfonso beobachten lässt, die das Training auf den Platz vor Havannas älteste Kirche verlegt haben und dort nun brav den Befehlen der gestrengen Lehrerin mit ihrem grauen Dutt folgen: „Un, dos…“.
Er wollte tanzen
Sozialistischer Drill, wie ihn auch Yordi Pérez Cardoso einst erlebt hat: Da die Escuela de Arte Benny Moré in Cienfuegos zu weit weg von seinem Elternhaus in der Ciudad Nuclear war, musste der Elfjährige ins dortige Internat. Und das bedeutete einen straffen Tagesablauf: 6.30 Uhr Aufstehen, 6.45 Uhr Zimmerinspektion, 7 Uhr Frühstück mit Flaggen-Hissung und Vorlesen der Tagesnachrichten… „Ich bin immer wieder davongelaufen“, erinnert er sich. „Doch meine Mutter hat gesagt: Willst Du nun tanzen oder nicht?“ Er wollte tanzen.
Ballet Revolutión wird vom 4.-9. Februar im Musical Dome Köln aufgeführt.Tickets gibt es ab 27.90 Euro bei Kölnticket.