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Kuhkuscheln im BergischenEs macht glücklich, mit einem 800-Kilo-Rind zu schmusen

Lesezeit 8 Minuten
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Kuhkuscheln soll Entspannung bringen und Stress lindern.

Waldbröl – An einem der vielleicht letzten richtig heißen Tage dieses Sommers hängt die Luft dick und träge im Stall von Kuh Isabella. Fliegen surren um ihren Kopf herum, doch sie quittiert deren lästige Anwesenheit gerade mal mit einem müden Nicken. Zwischen dem dicken Stroh und ihrem trägen Schmatzen, ist die Welt da draußen weit weg, die Erde scheint sich langsamer zu drehen, in meinem ganzen Körper breitet sich Ruhe aus. Denn auf dem Hof von Familie Eschmann-Rosenthal, etwa 60 Kilometer entfernt von Köln, tief im Oberbergischen Land, finde ich eine besondere Auszeit vom Alltagsstress: Ich darf mit Kühen kuscheln!

Acht Kühe, drei Ochsen und ein Kälbchen leben auf dem Hof. Die gefragteste Kuh aber ist Isabella. Weil sie ein besonders zartes und sensibles Wesen hat, kann man Kuschelstunden mit ihr alleine in ihrer Box buchen. „Besonders gerne wird sie hinter den Ohren und am Hals gestreichelt“, erklärt Chefin Melanie Eschmann-Rosenthal. Dann zieht sie sich zurück. Isabella liegt schon auf der Seite, meine Gesellschaft scheint sie nicht im Geringsten zu beunruhigen. Zufrieden schließt sie die Augen während meiner Streicheleinheiten. Ihr unablässiges, rhythmisches Kauen entfaltet schnell eine meditative Wirkung, dazu ihre Wärme – Kühe haben eine um etwa zwei Grad wärmere Körpertemperatur als Menschen – und mir wird klar, was gemeint ist, wenn von der entspannenden oder sogar heilenden Wirkung von Kühen die Rede ist.

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Kuschelstunden mit der ganzen Herde auf der Weide sind auch möglich.

Was sich in den Niederlanden unter dem Namen „Koeknuffelen“ schon lange großer Beliebtheit erfreut, bietet Familie Eschmann-Rosenthal ihren Hofgästen seit 2011 an. Die Nähe zu Kühen soll beim Menschen einen unmittelbaren physiologischen Effekt auslösen: der Herzschlag verlangsamt sich, man entspannt. Zudem wird durch den Kontakt zu dem Tier Oxytocin freigesetzt. Studien zufolge spielt das sogenannte „Kuschelhormon“ eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen Mutter und Kind, kann Stress und Ängste reduzieren und einfühlsamer machen. Ob für überarbeitete Manager, gestresste Großstädter oder einfach Menschen, die sich nach ein paar Stunden Ruhe sehnen: Kuhkuscheln probieren auch hierzulande immer mehr Menschen aus. Als sogenannte „tiergestützte Therapie“ kann es sogar bei der Behandlung verschiedener Erkrankungen eingesetzt werden. Dazu zählen ADHS, Burnout, Depressionen oder Angststörungen. Im Nordosten Australiens wird das Kuhkuscheln bestimmten Patientengruppen inzwischen sogar auf Rezept verschrieben. Beispielsweise Kindern und Jugendlichen, die mit einer Autismus-Spektrum-Störung leben.

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Tiere können besser als Medizin sein

Auch die Eschmann-Rosenthals haben mittlerweile oft Gäste mit Erkrankungen wie ADHS, Burnout oder Depressionen. Ebenso wie Menschen mit Behinderungen. „Wir wollen einen Raum zum Entspannen und Kraft sammeln schaffen“, betont Laura Rosenthal. Gemeinsam mit ihrer Mutter kümmert sie sich um die verschiedenen Kuschel- und Wanderprogramme, die sie auf ihrem Hof anbieten.

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Laura Rosenthal (l.) und Melanie Eschmann-Rosenthal leiten das Kuhkuschel-Programm auf dem Familienhof im oberbergischen Neuenhähnen.

Für die 25-Jährige ist das auch aus persönlichen Gründen eine Herzensangelegenheit: Sie habe bereits seit ihrer Kindheit mit Depressionen und Angststörungen zu tun, erzählt sie. Das sei auch der Grund, weshalb sie bei den Kühen gelandet sei: „Die Tiere haben mir aus der schweren Zeit geholfen. Tiere sind manchmal besser als Medizin. Sie können Türen öffnen, die wir Menschen einfach nicht finden! Dadurch können sie die Heilung beschleunigen oder unterstützen.“

Seit der Corona-Pandemie beobachtet die Familie eine deutliche Zunahme an Gästen, die aus stressbedingten Gründen zum Kuhkuscheln kommen. Erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, Inflation: All das belastet die Menschen enorm.

Seit Corona sind die Einzelstunden gefragter denn je

Bis 2020 seien vor allem Gruppen gekommen. Mit sieben bis acht Personen ging es dann auf die Weide zu den Kühen. Seit der Hof nach den Lockdowns seine Tore wieder öffnen durfte, merken die Eschmann-Rosenthals aber, dass das Interesse an den „Einzelstunden“ mit Kuh Isabella stark gestiegen sei. „Eigentlich müssten wir Isabella klonen, so beliebt ist sie bei unseren Gästen. Man merkt deutlich, dass die Leute einen Ort zur Entschleunigung brauchen“, beobachtet Laura Rosenthal.

Auch aus diesem Grund will die Familie sich künftig stärker auf therapeutische Angebote fokussieren. „Natürlich ersetzt Kuscheln keinen Arzt“, betont Eschmann-Rosenthal. „Aber das Angebot soll eine Begleitung zur normalen Schulmedizin bieten, um Menschen die Möglichkeit zu geben, in der Natur, bei den Tieren Kraft zu tanken.“

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Auch Hühner leben auf dem Hof. Sie können ebenfalls besucht werden!

Die ungewohnte Nähe zu den Tieren kann allerdings auch erstmal Überwindung kosten. Neben Isabellas Box warten die beiden Ochsen Valentino und Bambi. Die 800 und 900 Kilogramm schweren Kaventsmänner flößen mir gehörigen Respekt ein. Mehr Kleinwagen als Kuscheltier. Umso erstaunlicher ist es zu erleben, wie zutraulich sie sind. Auch ihnen darf man nahe sein, doch Melanie Eschmann-Rosenthal und Tochter Laura Rosenthal bleiben diesmal in der Nähe, denn egal wie kuschelig ihre Kühe und Ochsen sind, allein schon wegen ihrer Größe und enormen Kraft muss man vorsichtig sein. Wenn Bambi hin und wieder seinen Kopf nach hinten wirft, um Fliegen zu vertreiben, weiß ich, wovon die beiden sprechen.

Auch Kuschelstunden mit Schafen werden angeboten

Neben dem „Kuh Isabella-Programm“ und der begleiteten Kuschelstunde mit den Ochsen Bambi und Valentino gibt es auch die Möglichkeit, sich zu der ganzen Herde auf die Weide zu setzen. Die ist nach der großen Hitze allerdings gerade sehr gelb und vertrocknet. Wer auch die Tiere glücklich machen will, nimmt sie mit auf die geführten Trekkingtouren: „Diesen Sommer war es für die Kühe immer ein Highlight, auf den Wanderungen zwischendurch mal was Grünes zu finden“, erzählt Laura Rosenthal.

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Die Alpakas Bailey und Blue beschützen die Hühner vor Füchsen und anderen Gefahren!

Es geht übrigens auch eine Nummer kleiner: Neben den Kühen lebt noch eine Schafherde auf dem Hof der Familie, mit denen ebenfalls Wanderungen und Kuschelstunden gebucht werden können. In zwei Wohnwagen wohnen zudem Hühner und zwei Hähne, die von den Alpakas Bailey und Blue vor Gefahren wie Füchsen beschützt werden. Auch sie freuen sich über Besuch.

Um die Versorgung der Tiere kümmert sich die ganze Familie: Vater Uwe Eschmann und die beiden jüngeren Töchter Chiara und Anna Eschmann. Neben Beruf, Ausbildung und Schule packen sie mit an, wann immer es geht. „Wir sind alle ein bisschen tierverrückt“, sagt Melanie Eschmann-Rosenthal. „Viele denken, wir seien ein gewöhnlicher Bauernhof. Das ist aber nicht der Fall“, betont die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation. Stattdessen finanziert die Familie die Haltung ihrer Tiere durch die Programme.

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Der achtjährige Ochse Nico lässt seine Ziehmama Laura Rosenthal auf seinem Rücken liegen.

„Wir halten seit ungefähr 20 Jahren Kühe“, erzählt die 49-Jährige. Da Uwe Eschmann gelernter Fleischer ist, hätten sie „Wir halten seit ungefähr 20 Jahren Kühe“, erzählt die 49-Jährige. Da Uwe Eschmann gelernter Fleischer ist, hätten sie immer eine Mutterkuhherde gehabt, „das heißt, sechs bis acht Kühe und einen Bullen.“ Auf das Kuhkuscheln sind sie 2010 durch die Geburt des Kälbchens Sissy gestoßen. „Sie ist mit Behinderungen zur Welt gekommen, wollte immer aufstehen, ihre Hinterbeine haben aber nicht funktioniert und ihr Schwanz fehlte. Normalerweise werden solche Tiere direkt getötet, aber weil Sissy so einen Lebenswillen hatte, haben wir eine Physiotherapeutin gefragt, ob sie etwas tun könnte“, erzählt Eschmann-Rosenthal.

Familie will Wertschätzung für Kühe fördern

Nach einigen Wochen in Behandlung fing sich das Kälbchen jedoch eine Virusinfektion ein, die „wir einfach nicht mehr in den Griff bekommen haben. Wir wollten als Familie gemeinsam Abschied nehmen und saßen um das sterbende Kalb herum. Das war für uns alle ein sehr bewegender Moment. Vor allem aber für meinen Mann, für den bis dahin galt: »Hauptsache Fleisch, auf die Beilagen kann man verzichten!« Von uns allen hat er durch das Erlebnis mit Sissy den größten Wandel durchgemacht“, erinnert sich die 49-Jährige. In dieser Zeit habe sich die Familie oft einfach zu den Kühen auf die Weide gesetzt und gemerkt, wie entspannend das ist. So wurde das Kuhkuschel-Programm geboren, das sie „Sissy“ tauften.

Kühe sind besondere Tiere und viel mehr als Lieferanten für Milch und Fleisch. Diese Erkenntnis bei ihren Gästen zu wecken, ist der Familie wichtig. „Manche Besucher sind schockiert, wenn sie bei uns zum ersten Mal erfahren, dass Kühe nicht einfach so Milch geben, sondern wie alle Säugetiere nur dann, wenn sie ein Kälbchen haben“, berichtet Laura Rosenthal. Viele hätten einfach keinen Bezug mehr zwischen den Nahrungsmitteln, die sie verpackt und eingeschweißt im Supermarkt kauften und den Tieren, von denen sie stammen. „Was sich die meisten vorher auch gar nicht vorstellen können, ist diese Bindung, die man zu den Kühen aufbauen kann, dass sie auch Zuneigung mögen! Für viele ist es total überraschend, dass jede Kuh ihre eigene Persönlichkeit hat“, erzählt die 25-Jährige weiter.

Und so hat natürlich auch jedes Tier auf dem Hof von Familie Eschmann-Rosenthal seine eigene Geschichte. Die meisten Kühe seien für landwirtschaftliche Betriebe schlicht unwirtschaftlich gewesen. Wie etwa der Ochse Nico. Er sei ein Frühchen gewesen, erzählt Laura Rosenthal. Der Viehhändler habe ihn nicht mitnehmen wollen, weil er so klein war. „Wir haben ihn dann im Kofferraum mit nach Hause genommen.“ Heute ist der achtjährige Nico der größte Ochse auf der Weide und Chef der Herde. Und lässt trotzdem noch Kinder und seine Zieh-Mama Laura auf seinem Rücken reiten.

Kuschelorte in der Region

Sissy KuhkuschelnAm Kappenufer 11,51588 Nümbrecht0157 / 86 91 78 09sissykuhkuscheln.de

Mit Kühen kuscheln kann man auch auf demLebenshof BergwaldhofUnterm Berge 1,58540 Meinerzhagenbergwaldhof-1.de

Kuh Isabella war ebenfalls ein Frühchen, mit ein Grund, warum sie heute so menschenbezogen und zutraulich ist.Als ich nach der Kuschelstunde mit ihr schließlich gehen muss, schaut sie mir mit einem Hundeblick nach, nach dem Motto: War das schon alles? Zumindest möchte ich gerne glauben, dass die Streicheleinheiten der Kuh ebenso viel geben, wie sie mir geschenkt haben. Ein Geben und Nehmen für Mensch und Tier.