Rheinland für EntdeckerSommerkonzerte in der Kölner Kanalisation sind Kult
Lesezeit 6 Minuten
Köln – Wenn die Stadtentwässerungsbetriebe (Steb) zum jährlichen Sommerkonzert in die Kölner Kanalisation bitten, bietet sich im Untergrund der Grünanlage am Theodor-Heuss-Ring eine deutschlandweit einzigartige Kombination für Nase und Auge: An der mit Rettungsringen drapierten Staumauer fließt das stinkende Abwasser aus den Kölner Haushalten, neben der blubbernden Kloake sitzen 70 Klassik- oder Jazzfans und lauschen hochkulturellen Klängen. In der Hand halten sie einen Strauß frischer Minze, den sie vor der Nase platzieren – im Kronleuchtersaal riecht es wie auf der Stadiontoilette. Unauffällig im Hintergrund halten sich Mitarbeiter der Steb mit so genannten Multiwarngeräten, die Methangas und Schwefelwasserstoff messen – „eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagt Stefan Schmitz, der regelmäßig durch die Kanalisation führt. „Es kann nichts passieren, sollten die Gaswerte aber wider Erwarten steigen, müssten wir die Besucher hinausbitten.“
Da et noch immer jot jejange hätt, und weil der edelste Raum der Kölner Kanalisation nur dann mit Menschen gefüllt wird, wenn das Kanalwasser nicht über die Staumauer zu laufen droht – um von dort in einem Kanal von Tunnelgröße in den Rhein zu fließen – gibt es hier an fünf Terminen im Sommer klassische Konzerte. Die Jahr für Jahr nach kurzer Zeit ausverkauft sind.
Bauliches Meisterwerk
Der Kronleuchtersaal wurde 1890 für Kaiser Wilhelm II. gebaut. Das noch heute voll intakte so genannte Regenentlastungsbauwerk, aus dem das Abwasser bei starken Niederschlägen direkt in den Rhein läuft, ist ein bauliches Meisterwerk: Fünf Meter hoch, aus Ziegeln gemauert, mit einem zwölfarmigen Kronleuchter an der Decke und einer Sandsteintafel im klassizistischen Stil, Stadtwappen von Köln und Insignien Preußens. Ein echter Vorzeigeraum – wenn da nicht der Geruch werde.
„Wie stark es riecht, hängt immer von den Niederschlägen ab“, sagt Schmitz, eine rheinische Frohnatur, der man anmerkt, dass Führungen durch den Kanal für ihn nicht bloß Routine sind. „An den Geruch gewöhnt man sich aber nach ein paar Minuten. Da kaum jemand weiß, was mit dem eigenen Abwasser passiert, und der Raum etwas Besonderes ist, hat die Steb sich irgendwann überlegt: Wir nutzen den Kronleuchtersaal, um unsere Arbeit etwas bekannter zu machen.“
Nicht nur Konzert, auch Gottesdienst
Im vergangenen Jahr gab es in der Kanalisation erstmals auch einen Gottesdienst. „Für das, was hier in dem Kanal neben ihnen vorbeifließt, spielt die Konfession keine Rolle“, sagte Ralf Bröcker von den Steb zur Einleitung der Kampagne „95 Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten“ der evangelischen Kirche. Statt einer Predigt gab es meditative Betrachtungen zum Abort – frei nach dem bekannten Gedicht „Die Scheiße“ von Hans-Magnus Enzensberger.
Die Klassikkonzerte im Kanal dauern maximal eine Stunde – „vor allem, weil die Instrumente wegen der hohen Luftfeuchtigkeit Schaden nehmen könnten“, sagt Schmitz. Einige Musiker lehnten einen Auftritt auch ab – aus Angst um ihre Geigen, Celli, Oboen und Trompeten. Sie versäumen, wovon auch viele Besucher schwärmen: eine Akustik, die weit besser ist als auf vielen Kölner Bühnen.
Schmitz führt seit vielen Jahren durch den Kronleuchtersaal. „Ursprünglich sollte Kaiser Wilhelm II. 1890 zur Einweihung kommen, deswegen der Kronleuchter und der Name“, sagt Schmitz. „Der Kaiser ließ sich dann aber entschuldigen und schickte einen Staatssekretär.“ Der Name blieb. Der historische Kronleuchter mit sechs Kerzen ist inzwischen durch einen weiß gestrichenen mit elektrischem Licht ersetzt worden.
Stefan Schmitz kann abendfüllend von Kölns Kanalisation erzählen. Seinen Exkurs beginnt er bei den 80 Metern Kanal aus der Römerzeit, die noch heute in der kleinen Budengasse ausgestellt sind. Er spricht über das Mittelalter – „unverständlich und bis heute nicht wirklich erklärbar, warum die Menschen nicht an den römischen Kanälen festhielten und stattdessen Pfuhle bauten und die nächsten 1500 Jahre in miserablen hygienischen Zuständen lebten.“
Da, wo heute die Grünanlage am Theodor-Heuss-Ring ist, die bis zum Ebertplatz geht, bauten die Franzosen ab 1811 einen so genannten Sicherheitshafen – um zu verhindern, was 1784 geschehen war: Treibeis hatte das Wasser im Rhein aufgestaut. Als sich das Eis löste, kam es zu einem gewaltigen Hochwasser, das nicht schnell genug abfließen konnte und gewaltige Zerstörungen anrichtete. Da der Sicherheitshafen die Entwicklung der nördlichen Neustadt behindert hätte, wurde er irgendwann aufgegeben – in der Folge entstand nicht nur der Rheinauhafen, sondern auch: der Kronleuchtersaal. Hier fließen die Abwasser des Sammlerkanals von der Cleverstraße und jene des Ringkanals vom Ebertplatz zusammen. Wegen des Kanals konnte übrigens auch die Tiefgarage nicht gebaut werden, die lange für den Ebertplatz im Gespräch war. Das Kanalnetz hätte verlegt werden müssen.
Während der Industrialisierung habe ab 1800 der klassische Kanalbau in Köln angefangen, erzählt Schmitz. Heute verfügt die Stadt über 2400 Kilometer Kanalnetz. Bis 1920 in Köln die erste Kläranlage ihre Arbeit aufnahm, wurde das Kölner Abwasser unbehandelt in den Rhein Richtung Düsseldorf geleitet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Köln die erste biologische Kläranlage. „Inzwischen“, sagt Schmitz und lacht, „machen wir aus Scheiße Geld.“ Nicht mit Konzerten oder Gottesdienst. Das Methangas der Schlacke wird in Blockheizkraftwerken in Strom verwandelt. „Das trägt dazu bei, dass die Abwassergebühren in Köln ziemlich günstig sind“, sagt Schmitz. „Allerdings sind wir leider noch geringfügig teurer als die Düsseldorfer.“
Tipps rund um Ihren Entdecker-Ausflug
Anreise: Mit der Bahn: Mit Linie 5, 12, 15, 16 oder 18 bis Ebertplatz. Von dort drei Minuten Fußweg durch die Grünanlage des Theodor-Heuss-Rings bis Ecke Clever Straße. Vom Kölner Hauptbahnhof ca. 20 Minuten zu Fuß.
Einkehr: Bistro & Restaurant Klaaf, Gelateria Porta Romana und Café Extrablatt an der Eigelsteintorburg – fünf Minuten zu Fuß vom Kronleuchtersaal. Am Eigelstein gibt es eine große Auswahl an Restaurants und Imbissen: So das Brauhaus Em Kölsche Boor, das Weinhaus Vogel, den für seinen Spießbraten und launige Bedienungen bekannten Imbiss „De Fressbud“ oder den Thai-Imbiss Eigelstein.
Bei schönem Wetter: Ein Abstecher zur Bastei am Rhein – keine fünf Minuten vom Kronleuchtersaal entfernt – und eine Ausflugsfahrt mit einem Rheinschiff. Auch Dom und die Einkaufsstraßen Hohe Straße und Schildergasse sind nicht weit. 20 Minuten zu Fuß ist es bis zum Skulpturenpark, Elsa-Brändström-Straße 9 Eingang: Riehler Straße o. Konrad-Adenauer-Ufer, nähe Zoobrücke. Von hier ist es nur einen Katzensprung bis zum Kölner Zoo und zur Seilbahn, die zum Deutzer Rheinpark führt.
Bei schlechtem Wetter: Besuch in einem der vielen umliegenden Museen – Museum Ludwig, Wallraf-Richartz-Museum und Kolumba liegen nur zwei Haltestellen (Dom Hbf) entfernt.
Der besondere Tipp: Wer weiter im Kölner Untergrund wandeln will, kann sich – nur nach Voranmeldung – den Barbarastollen unter der Universität anschauen. Im Hauptgebäude der Uni wurde im Oktober 1932 unter dem eigentlichen Keller ein 40 Meter langer Bergwerksstollen nachgebaut, der als Teil des Museums für Handel und Industrie den Studierenden der damaligen Handelshochschule die Arbeit unter Tage veranschaulichen sollte. Im Rahmen der rheinisch-westfälischen Wirtschaftsausstellung 1933 stieß er auf reges Interesse. Während des Zweiten Weltkriegs geriet der Stollen in Vergessenheit. Seit 1984 ist das Institut für Arbeits- und Sozialmedizin für den Stollen verantwortlich, dem in Zusammenarbeit mit der Ruhrkohle AG eine vollständige Sanierung der Anlage gelang. Kontakt: tim.erren@uni-koeln.de
Führungen durch das unterirdische, römische Köln bietet der Veranstalter „colonia prima“ samstags, sonntags und feiertags jeweils ab 13.30 Uhr an. Dauer zwei Stunden, Treffpunkt an der Kreuzblume vor dem Domhauptportal. Individuelle Führungen sind buchbar unter 02 21/3 10 33 85, öffentliche Führungen unter www.colonia-prima.de