Rheinland für EntdeckerWenn Architekten bauen, was sie glauben
Lesezeit 5 Minuten
Im 14./15. Jahrhundert waren es die Ensingers oder Böblingers; im Früh- und Hochbarock 300 Jahre später die Dientzenhofers – quer durch die Jahrhunderte prägten ganze Baumeister- und Architektendynastien die Kulturlandschaften ihrer Heimat. Für das 20. und das beginnende 21. Jahrhundert ragt in Deutschland ein Name heraus: Böhm.
Das Rheinland verdankt den Vertretern der hier beheimateten Familie eine Reihe großartiger Werke besonders der Sakralbaukunst. Wir haben zusammen mit der Kölner Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner eine Auswahl getroffen. „Wo Sie auch hinkommen, in den architektonischen Erfindungen der Böhms werden Sie immer die Idee einer unterscheidenden Qualität sakraler Räume wiederfinden“, verspricht Schock-Werner. „Das alles gehört zum Kreativsten, was die Architektur der Moderne zu bieten hat.“
Dominikus Böhm (1880 bis 1955), selbst bereits in eine Baumeisterfamilie hineingeboren, darf als der eigentliche Stammvater der Dynastie gelten. „Ich baue, was ich glaube“, hat der bekennende Katholik einmal gesagt, der sich intensiv mit den theologischen und liturgischen Erneuerungsbewegungen seiner Zeit auseinandersetzte. In Mönchengladbach errichtete er von 1929 bis 1931 für den Orden der Kamillianer ein ganzes Gebäude-Ensemble. Die Krankenhaus-Kirche Sankt Kamillus ist ein hoher Saal mit vorgelagertem wuchtigem Westwerk. Es nimmt das Motiv des mittelalterlichen Wehrbaus auf. Eine Art Zitat ist auch das gestaffelte Rundbogenportal, das Böhm fast bis zur Traufkante hochgezogen hat.
Der Eindruck wird noch gesteigert durch die imposante Freitreppe. Die Fassade ist durch expressionistisches Backstein-Dekor aufgelockert. Im Inneren unterstreicht eine abfallende Flachdecke die Wirkung des lichtdurchfluteten Chorraums. „Der Clou“, sagt Barbara Schock-Werner, „ist die Anverwandlung traditioneller Formen für eine ganz und gar moderne Architektur“. Im Jahr 2014 wurde Sankt Kamillus als Kirchenraum aufgegeben (profaniert) und mit behutsamen Einbauten in eine Urnengrabstätte (Kolumbarium) umgewandelt.
Oscar der Architektenzunft
Der 1920 geborene Gottfried ist der jüngste von drei Söhnen Dominikus Böhms und seiner Frau Maria, die ihrerseits auch eine begabte Architektin war. 1986 erhielt Gottfried Böhm als erster deutscher Architekt den „Pritzker-Preis“ als den Oscar der Zunft. Seine 1960 geweihte Herz-Jesu-Kirche in Bergisch Gladbach-Schildgen gehört zu einer Reihe von „sakralen Hofhäusern“, bei denen der Kirchenraum zurückversetzt und hinter Mauern verborgen liegt.
Sie beweist mit ihren orientalisch anmutenden Verzierungen und besonders den sechs spitzen Kegeldächern Böhms Fantasiereichtum. Die unterschiedlich großen „Hütchen“ (Schock-Werner), nach Böhms eigener Aussage durch Sandburgen seiner Kinder inspiriert, bezeichnen die besonderen darunter liegenden Orte der Kirche. So befindet sich der höchste Kegel über dem Altar.
Den Altarraum umfängt Böhm mit einem gebauten Baldachin. Den Innenraum als ganzes setzt er auf filigrane gusseiserne Stützen. Der für den Bau verwendete, bewusst ungleichmäßige Sichtbeton, „das“ Material der damaligen Zeit, lässt die Wände monolithisch, „wie aus einem Guss“ wirken, aber eben nicht monoton. Als Tribut an die Vergänglichkeit des Baustoffs mussten die Betontürmchen, jeweils aus einem Stück gegossen, 1987 zum Schutz mit Kupferblei überzogen werden.
Liturgie und Diakonie
Der 1959 geborene Paul Böhm, Gottfrieds jüngster Sohn setzt mit seinen Brüdern Stephan und Peter die Architekten-Tradition der Familie fort. Im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Vingst errichtete er ab 1992 den 2002 eingeweihten Neubau der Pfarrkirche Sankt Theodor. Pfarrer Franz Meurer hatte beim Entwurf ein entscheidendes Wort mitzureden, erinnert sich der Architekt beim gemeinsamen Kirchenbesuch. „Er hat nur unter der Bedingung zugestimmt, dass auch Funktionsräume wie eine Kleiderkammer, ein Möbellager oder eine Fahrradwerkstatt entstünden.“
Um die Gleichwertigkeit von Liturgie und Diakonie – Gottesdienst und Dienst am Nächsten – in der Architektur sichtbar zu machen, hob Böhm das Boden-Niveau des Kirchenraums an und senkte zugleich die Platzfläche dahinter, so dass der „Diakonie-Keller“ als Fundament der Kirche im doppelten Sinn des Wortes nicht in den Keller verbannt ist. Die Kirche selbst durfte dann – Böhm-typisch – ein echter Sakralraum sein, freut sich der Architekt. Der runde Kirchenraum aus ockerfarbenem Beton ist um den Glockenturm der Vorgängerkirche herum errichtet, die 1992 durch ein Erdbeben stark beschädigt worden war.
In Sankt Theodor, sagt Böhm, habe er schon einmal „Zentralbau geübt“. Gekonnt fortgesetzt hat er dieses Konzept eines Raums, „der die Besucher umfängt und ihnen Heimat gibt“, in seinem Sieger-Entwurf von 2006 für die Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union Ditib in Köln-Ehrenfeld, heute sicher eines der bekanntesten islamischen Gotteshäuser Deutschlands. Schock-Werner saß in der Jury des Architektenwettbewerbs.
Was sie an Böhms Beitrag überzeugte, ist vor allem der Umgang mit dem für Moscheen typischen Kuppel-Motiv, den Böhm selbst so beschreibt: „Diese Moschee hat ist keine Schachtel mit Alibi-Kuppel, sie hat keine Kuppel, sondern der Bau ist selbst die Kuppel.“ Die durchbrochenen Mauerschalen sollen Offenheit und Transparenz signalisieren. Funktionsbauten wie Gemeinschaftsräume, eine Bibliothek, Büros und Ladenlokale, die auf insgesamt 16 500 Quadratmetern den 35 Meter hohen, für 1200 Besucher ausgelegten Gebetsraum ergänzen, nehmen sich gegenüber diesem zurück und passen sich ein in die Umgebungsbebauung. Zum ästhetischen Interesse kam für Böhm ein – wie er sagt – „ein sehr prosaisches Anliegen: Wann in meinem ganzen Architektenleben würde ich je noch einmal die Chance bekommen, eine Kuppel zu bauen?“ Und dann solch eine Kuppel! In ihr hallt auch in Zukunft der Klang des Architekten-Namens Böhm wider.
Geöffnet: täglich ab ca. 10 Uhr bis zur letzten Gebetszeit, die an den Einbruch der Nacht gekoppelt ist. Laut Ditib-Sprecherin Ayse Aydin ist der Besuch damit im Sommer auf jeden Fall bis 22 Uhr möglich.
Feste Führungen (1 bis 1,5 Std.) jeweils mittwochs und freitags um 15 Uhr.
Sankt Theodor Köln-Vingst
Burgstraße 42, 51103 Köln
Kontakt: Telefon 0221/872176
Geöffnet: ganztägig; ggf. helfen die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Diakoniekeller: „Wer rein will, soll sich melden“, sagt Pfarrer Meurer.