Wasser, Luft – und jede Menge Energie: Winterberg glaubt an die umstrittene Kunstschnee-Technik, an der Zugspitze dagegen will man sich vom Winter entkoppeln – und Ischgl könnte gar von der Klimakrise profitieren.
Winterberg, Ischgl, ZugspitzeWie Skigebiete sich jetzt für die Saison rüsten
Es ist kurz nach 8 Uhr, minus vier Grad, die Luft ist klar, der Himmel blau. Helmut Rothdach steht vor einem geschlossenen Tor und wartet, dass es sich öffnet. Mit dem Wohnwagen ist er aus dem bayerischen Memmingen nach Ischgl gekommen und dafür extra früh aufgestanden. Der erste am Tor zu sein, das hat er nicht geschafft, ein Schwede war schneller. Aber Rothdach erhält vom Tourismusverband Paznaun-Ischgl eine Medaille, weil er der erste Deutsche ist.
Rothdach will in der ersten Gondel sitzen, hinauf auf den Pardatschgrat fahren. „Ich möchte die frischen Pisten nutzen, das macht am meisten Spaß“, sagt er. Nicht nur in Ischgl, auch andernorts. Er fuhr diese Saison schon in Sölden, wo auf dem Gletscher bereits seit Ende September Pisten präpariert sind. „Unberührte Pisten sind einfach schön zu fahren“, sagt er, während er immer wieder zum Tor blickt. Er will den Startschuss nicht verpassen. Skifahren, das kann man wohl sagen, ist Rothdachs Leidenschaft. Seit 40 Jahren kommt er nach Ischgl. Bis der Ort Anfang Mai die Pisten sperrt, will er 20-, 30-, 40-mal nach Österreich gekommen sein.
Beschneiung hat begonnen
8.30 Uhr. Bewegung am Tor. Rothdach dreht sich zur grauen Wand hin, die langsam nach oben verschwindet. Dutzende drängen an die Drehtür, scannen den Skipass, steigen in die Gondel und fahren vom Dorf hinauf ins Winterwunderland. Zum Auftakt sind 112 Pistenkilometer präpariert. In wenigen Tagen soll auch die Talabfahrt geöffnet werden, die Beschneiung hat gerade begonnen.
Die Debatte um die Zukunft des Skitourismus ist an diesem Donnerstagmorgen in Ischgl weit weg. Zu schön das Wetter, zu gut die Bedingungen, zu groß die Vorfreude. Tourismusverband und Liftbetreiber freuen sich, sie wissen, wie anziehend die Bilder der weißen Winterlandschaft sind, „das mediale Echo ist wichtig für die Saison“, sagt Günther Zangerl, Vorstand der Silvretta Seilbahn AG, die die Seilbahnen in Ischgl betreibt. Ein paar Hundert Menschen kommen den Tag über, noch ehe die offizielle Eröffnung an diesem Samstag mit einem Konzert von Demi Lovato gefeiert wird. Ischgl, das Dorf mit 1600 Menschen, erwartet allein an diesem Tag 15.000 Wintersportfans.
„Die globale Erwärmung lässt sich nicht wegdiskutieren“, sagt er. Vor allem zum Saisonstart zittern sie in Ischgl, „das kommt häufiger vor als früher noch“, sagt Zangerl.
Auch hier wird das Skigebiet nicht der Willkür der Natur allein überlassen. Schneekanonen säumen die Pisten. „Auch bei viel Schneefall brauchen wir die technische Beschneiung“, sagt Thomas Köhle vom Tourismusverband, „er ist kompakter, bleibt länger liegen.“ Man spricht in der Branche nur noch von technischem Schnee, nicht mehr vom Kunstschnee. Kunstschnee hat ein schlechtes Image, impliziert, dass künstliche Stoffe für die Herstellung verwendet werden. Doch es sind Wasser und Luft – und jede Menge Energie.
„In den letzten Jahren hat sich fast eine Art Feindbild aufgebaut“, sagt Zangerl. „Man soll ein schlechtes Gewissen haben, wenn man Ski fährt. Das sei unnatürlich, die Berge würden exzessiv genutzt, die Natur zerstört. Aber das ist nicht so.“ Er und Köhle sind bemüht aufzuzeigen, wie nachhaltig man in Ischgl sei. Die Lifte würden mit 100 Prozent Ökostrom betrieben, die Berge im Sommer von Bauern für ihre Kühe genutzt, die Menschen in der Region hätten Arbeit und damit Wohlstand bekommen. Aber er räumt auch ein: „Die Infrastruktur in Ischgl ist auf Masse ausgelegt. Sanften Tourismus gibt es hier nicht.“
Treiber der Klimakrise
Schneekanonen sind aus den Skigebieten, auch aus Ischgl, nicht mehr wegzudenken. Die globale Erwärmung, Folge der Klimakrise, sorgt dafür, dass sich die Bedingungen ändern. Die Schneefallgrenze steigt, zum Saisonstart ist es überall wärmer, der Schnee, den sich die Gäste zu Weihnachten wünschen, fällt eher im Februar, März, April. Also greift man auf moderne Technik zurück. Ließ Frau Holle die Schneeflocken noch aus dem Kissen schütteln, wird auf Erden Wasser in Schnee verwandelt.
Vor allem aufgrund des sehr hohen Wasserverbrauchs und des Energieverbrauchs stehen Schneekanonen in der Kritik. „„Der Bau und der Betrieb der Beschneiungsinfrastruktur sind Eingriffe in den Naturraum, logischerweise“, sagt Geograf Maximilian Witting, der sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Wintersportdestinationen beschäftigt. Ein Forscherteam bescheinigte im „Nature Climate Change“ kürzlich, dass das künstliche Aufrechterhalten des Schneetourismus die Kohlenstoffemissionen erhöht. Damit seien Skigebiete ein Treiber der Klimakrise.
Skigebiete tauen weg
Schneekanonen sichern einerseits das Einkommen der Skigebietsbetreiber, doch sie kosten auch, vor allem bei steigenden Energiepreisen und schlechter werdenden Ausgangsbedingungen. „Es wird die Zeit kommen, wo es nicht mehr rentabel ist“, sagt Witting. Aktuell seien es primär kleine, niedrig gelegene Skigebiete, die schließen müssten. „Das wird zunehmen. Wir werden einen Konzentrationsprozess erleben, hin zu eher höher gelegenen und großen Skigebieten, die Wintersport dann noch wirtschaftlich rentabel anbieten können.“
Er glaubt, in zehn, zwanzig Jahren wird sich der Skitourismus in Deutschland weitestgehend auf die Alpenregion begrenzen. „Viele Skigebiete in den Mittelgebirgen werden sich auf kurz oder lang verabschieden“, sagt er. Es gebe einige, die klimatisch begünstigt lägen, die könnten länger durchhalten. „Aber die Aussichten sind äußerst schlecht.“ Hochrechnungen zufolge könnte bei einem Temperaturanstieg um zwei Grad die Hälfte aller europäischen Skigebiete, vor allem jene unter 2000 Metern, wegfallen.
Winterberg im Sauerland ist einer dieser Wintersportorte, das größte deutsche Skigebiet nördlich der Alpen liegt auf bis zu 820 Höhenmetern. Man wirbt damit, von Mitte Dezember bis Mitte März Wintersport anbieten zu können. Doch Schneesicherheit bedeutet nicht, dass der Schnee natürlich vom Himmel fällt. Winterbergs Tourismus, er hängt an den Schneekanonen.
Von der Diskussion darüber, dass es Winterberg als Wintersportdestination in einigen Jahren nicht mehr geben werde, will man nichts wissen. Zu viele Arbeitsplätze hängen an dem Sektor. Die Zuversicht beruht auf der Technik. „Wir müssen nicht zwischen Weihnachten und Ostern fortlaufend Minustemperaturen haben“, sagt Winfried Borgmann, Geschäftsführer der Winterberg Touristik und Wirtschaft GmbH. „Für die technische Beschneiung muss man nur ein paar Nächte Minustemperaturen haben. Der Schnee hält sich dann.“
Weg vom Winter?
Der berühmte Alpenforscher Werner Bätzing sagte kürzlich, die Skigebiete würden den Klimawandel ignorieren. „Die Skigebiete nehmen den Klimawandel schon wahr“, sagt Witting. „Nur sind die Maßnahmen häufig zu kurz gegriffen, um den klimawandelbedingten Herausforderungen in Zukunft zu begegnen.“ Heißt: Viele Orte verschaffen sich derzeit erst einmal ein bisschen mehr Zeit.
Die Destinationen, sagt Witting, müssten sich langfristig Gedanken machen und ihre Voraussetzungen kennen. Sie müssten eruieren, welche Gästearten sie haben und haben wollen.„Die betroffenen Regionen tun gut daran zu überlegen, wie sich die Abhängigkeit vom Winter sukzessive abbauen lässt, um sich breiter aufzustellen.“
In Winterberg kann man sich über mangelnden Zuspruch von Gästen noch nicht beklagen. Sie stören sich nicht daran, auf hergestelltem Schnee zu fahren, umgeben von einer nicht weißen Landschaft. Zwar hat man auch in Winterberg für den Sommer ausgebaut, auch in Vorbereitung auf den Worst Case, bietet Ziplining, Bike-Parks, Mountain-Go-Kart und Wanderungen an, aber man weiß: „Eine Kompensation ist, was das angeht, nicht möglich“, so Borgmann. Schätzungen zufolge gibt ein Wintertourist viermal so viel Geld aus wie ein Sommertourist.
An Deutschlands höchstem Gipfel, der oft von August bis Juni Schnee hat, setzt man vor allem auf jenen Sommertourismus. „Skifahren ist bei unseren Gästen nicht die Priorität Nummer eins“, sagt Verena Tanzer aus dem Marketingteam der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG. „Für unsere Gäste spielt die Natur eine große Rolle, sie wollen raus, auf den Berg, in den tiefsten Winter“, so Tanzer. „Die Natur ist unser Produkt, der Berg das Highlight. Das muss reichen.“
Am 1. Dezember wird die Zugspitze in die Saison starten, einen Monat später als noch vor wenigen Jahren. In ein, zwei Jahren wird eine Piste wegfallen – der Gletscher schmilzt so schnell, dass der Hang bald zu steil zum Skifahren sein wird. Beide Effekte liegen auch daran, dass es auf der Zugspitze keine Schneekanonen gibt. Dafür aber Snowfarming. An schattigen Orten werden Schneehaufen gebildet, die als eine Art Depot den kurzen Sommer überdauern sollen. Der Altschnee dient als Grundlage für die Pistenpräparierung, ab Oktober fahren die Pistenraupen raus, um das Fundament zu legen. Kurz vor Weihnachten öffnet dann mit Garmisch-Classic das zweite Skigebiet im Ort. Das liegt so niedrig, dass es auf Kunstschnee angewiesen ist.
Noch gibt es genug Touristen
Während die Gäste in Ischgl eine lange Saison, gute Pisten, viel Entertainment und ausgezeichnete Kulinarik wollen und Winterberg sich mit moderner Technik gegen den Klimawandel zu stemmen versucht, profitiert Garmisch-Partenkirchen wohl auch vom demografischen Wandel. Die Menschen in Deutschland werden älter, sie wollen weniger Ski fahren, bevorzugen das Wandern und andere Aktivitäten. Das finden sie rund um die Zugspitze.
In Ischgl hingegen ist Betrieb wie eh und je. Anders als für das tiefer gelegene Winterberg und das auf Naturschnee angewiesene Zugspitzenareal sind die Prognosen für Ischgl trotz globaler Erwärmung nicht schlecht. Genau genommen könnte der Ort sogar profitieren. Wenn kleinere Skigebiete wegbrechen, fahren jene, die Ski fahren wollen, in höher gelegene Gebiete wie Ischgl oder Ötztal. „Diese Orte müssen eher überlegen, wie sie Anreize schaffen können, die Leute auf die Saison zu verteilen, etwa über dynamische Ticketpreise“, sagt Witting. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Ischgl, Zugspitze und Co. sind längst bei der Obergrenze an winterlichen Touristen angekommen. Es gibt noch immer mehr als genug Menschen, die es in die Berge zieht, Klimawandeldiskussion hin oder her.