AboAbonnieren

Ausstellung auf MelatenNackt in der Kapelle

Lesezeit 3 Minuten

Die Skulptur „Mutter und Kind“ und andere Werke von Franz Löhr im Kirchenraum auf Melaten

Wie viel Nacktheit darf man zeigen? Was verlangen die guten Sitten? Was darf die Kunst? Die Frage kann man ab Freitag sehr anschaulich in der Kapelle St.Maria Magdalena und Lazarus auf dem Melaten-Friedhof erörtern. Dort liegen die nackten „Mutter und Kind“ – ein Kunstwerk des vor 100 Jahren verstorbenen Kölner Künstlers Franz Löhr.

Rolf Hermann Löhr

Auf der Kölner Werkbundausstellung von 1914 wurde diese Sandsteinskulptur zu einem der Ärgernisse im sogenannten „Nuditäten-Streit“. Den Honorationen in Staat und Kirche im prüden deutschen Kaiserreich und katholischen Köln ging die Kunst deutlich zu weit.

Viele Nackte geschaffen

Franz Löhr hat viele Nackte geschaffen. Sein Modell dafür war „Tante Änne“, wie sein Enkel zu berichten weiß. Der große französische Bildhauer Auguste Rodin habe seinem Opa das Modell bei einer Ausstellung in Paris abspenstig machen wollen, sagt Rolf Hermann Löhr. Der Großvater habe abgelehnt. „Tante Änne“ – wie sie in der Familie liebevoll genannt wird – war schließlich seine Frau Anna. Er hatte sie in Köln kennengelernt und in Paris geheiratet.

Alles zum Thema Melaten

Rolf Hermann Löhr ist tief in die Familiengeschichte eingestiegen und von Kiel bis Basel durch die Lande gefahren, um Kunstwerke seines Großvaters zusammenzusammeln, damit er nun der Stadt, die den Bildhauer weitgehend vergessen hat, eine kleine Ausstellung schenken kann.

Kapelle ist den meisten Kölnern unbekannt

Löhr war Architekt und Kneipier, Koch, Kommunalpolitiker und schließlich Referatsleiter in der Landesregierung von Brandenburg – jetzt ist er Hobby-Kurator einer Ausstellung über den Bildhauer Franz Löhr. Mit der Präsentation von 30 Exponaten sowie einiger Fotografien ermöglicht er zugleich den Zutritt zu einem besonderen Ort der Kölner Stadtgeschichte, der in der Regel verschlossen und den meisten Kölnern noch völlig unbekannt ist.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die kleine Magdalenen-Kapelle auf dem Melaten-Friedhof wurde 1245 geweiht, also drei Jahre vor der Grundsteinlegung des Kölner Doms. Sie gehörte zu dem Areal, auf dem die Stadt damals ihre unheilbar Kranken in Siechenhäusern weit vor den Stadtmauern unterbrachte.

Die Bronzeskulptur „Himmlische und irdische Liebe“

„Die Stadt hat das Andenken von Franz Löhr nicht gepflegt“, sagt der 75-jährige Enkel. Im Stadtbild erinnert tatsächlich nichts an ihn, keine Straße, keine Kunst im öffentlichen Raum. Es ist nur sein Grab auf dem Melaten-Friedhof mit einer selbst entworfenen Figur geblieben.

Löhr sollte eigentlich einen Brunnen für den Volksgarten schaffen. Doch auch dieser Entwurf verschwand 1913 wegen einer nackten Frauenfigur in den Schubladen. Seine Kunst hätte in Deutschland mehr Chancen in den Jahrzehnten zwischen den Weltkriegen gehabt, doch da war Löhr bereits verstorben.

Die nackten „Mutter und Kind“ lagen zeitweise als Leihgabe der Familie auf dem Gelände der Riehler Heimstätten. Als die Skulptur nach dem Zweiten Weltkrieg verschwunden war, beauftragte eine Tante von Rolf Hermann Löhr einen Detektiv, der das Kunstwerk schließlich im Garten des damaligen Kölner Baudezernenten fand. Er habe die Skulptur kleinlaut zurückgegeben. So blieb dieses Werk erhalten und kann heute gezeigt werden. „Viele andere sind leider verschwunden“, sagt die Kunsthistorikerin Susanne Conzen, die über das Schaffen Löhrs ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Man müsse seinem Enkel für seine Hartnäckigkeit und Energie danken. So bleibe die Erinnerung an den Kölner wach, dessen künstlerische Arbeit in einer Werkstatt im Seidmachergässchen, heute Seidenmacherinnengässchen, am Heumarkt begann.

Nackt. Ausstellung zum 100.Todestag des Kölner Künstlers Franz Löhr, St. Maria Magdalena und Lazarus, Friedhof Melaten, Aachener Straße. Eröffnung: Freitag 6. Juli, 17 Uhr. Danach sind Kapelle und Ausstellung bis zum 3. August, jeweils Freitag, Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.