Ruth Hallensleben war in der NS-Zeit eine gefragte Industriefotografin. Ein neuer Bildband ordnet ihr Werk auch politisch ein.
Kölner FotografinWie viel Riefenstahl steckte in Ruth Hallensleben?
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„Werksgelände des Bochumer Vereins mit Rohrleitungen aus der Produktion der Siegener AG, Bochum“ (1950)
Copyright: Ruth Hallensleben / Fotoarchiv Ruhr Museum
So hatten sich das die Nackttänzer vom Monte Verità nicht vorgestellt. Während des Ersten Weltkriegs suchten sie auf dem Künstlerberg im Tessin nach dem modernen Paradies und wollten ihr Lebensgefühl in die Täler der deutschen Industriegesellschaft tragen. Im Sommer 1944 tanzten ihre ungebetenen Erben dann reihum vor einer Fabrikhalle in Stolberg: Sieben junge Frauen halten einander lachend bei den Händen, während sie sich im Kreis drehen und ihre weißen Kleider fliegen lassen. Auf der Brust tragen sie jeweils ein Hakenkreuz im Flammenrad.
Die Aufnahme der tanzenden Arbeiterinnen stammt von der Kölner Fotografin Ruth Hallensleben. Sie reiste im Juli 1944 zur Seifenfabrik Dalli, um Bilder für die Deutsche Arbeitsfront zu machen. Nach allem, was man über Hallensleben weiß, war es für sie vermutlich ein Auftrag beinahe wie jeder andere. Hallensleben hatte sich 1934 in Köln selbstständig gemacht und war im NS-Staat rasch zu einer gefragten Industriefotografin aufgestiegen. Sie war keine Parteigängerin, kannte aber auch keine Scheu, der auf Parteilinie gebrachten Industrie positive Leitbilder zu liefern. Und dazu gehörten eben Bilder von Arbeiterinnen, die eine glückliche Betriebs- und Volksgemeinschaft bilden.
Hallensleben starb 1977 in einem Kölner Krankenhaus; den Erfolg ihrer Bilder in Museen und auf dem Kunstmarkt hat sie nicht mehr erlebt. Heute gilt die Fotografin als Pionierin, die 1934 in eine Männerdomäne einbrach und sich dort über Jahrzehnte hielt. Ihre stimmungsvollen Bilder von Fabrikkathedralen und Industrielandschaften haben einen festen Platz im Kanon der modernen Fotografiegeschichte. In Köln schätzt man vor allem ihre 1948 entstandenen Aufnahmen vom Wiederaufbau des Doms. Auch diese waren, wie beinahe alles, was wir von Hallensleben kennen, Arbeiten, die sie im Auftrag anderer ausführte.
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Der Nachlass der Kölner Fotografin liegt seit den 1980er Jahren in Essen
Der Nachlass der Kölner Fotografin, rund 40.000 Aufnahmen, liegt seit den 1980er Jahren in Essen, wo derzeit, im Ruhr-Museum, auch eine große Hallensleben-Werkschau zu sehen ist. Im Katalog zur Ausstellung versuchen sich die Kuratoren an einer Bestandsaufnahme und zugleich wollen sie unser Bild der Fotografin erweitern. Die bekannten Industriemotive rücken im Bildband etwas in den Hintergrund. Sie machen Platz für Porträts, Reise- und Naturaufnahmen, Werbebilder und sogar den Schnappschuss eines lassiehaften Schäferhunds. Im biografischen Teil widmen sich die Autoren dann prominent der Frage, wie nah Hallensleben den Nazis stand.
Ruth Hallensleben wurde 1898 als Tochter eines Kölner Kaufmanns geboren. Sie besuchte eine höhere Töchterschule, das Lyzeum Merlo, und absolvierte danach eine Ausbildung zur Erzieherin – damals die gängige Vorbereitung auf eine bürgerliche Mutterrolle. Der frühe Tod des Vaters zwang sie dazu, ins Erwerbsleben einzusteigen, nach einem Wanderweg durch viele deutsche Städte und Gelegenheitsberufe begann sie 1930 eine Ausbildung als Fotografin. Über die Gründe für diesen Berufswechsel können die Katalogautoren nur spekulieren. Hallensleben hat zwar viele Fotografien, aber kaum private Aufzeichnungen hinterlassen. Auch die Vermutung, sie sei lesbisch gewesen, lässt sich nicht belegen.
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„Radium Gummiwerke GmbH, Köln, August 1954“
Copyright: Ruth Hallensleben / Fotoarchiv Ruhr Museum
Über ihre Kölner Lehrmeisterin, Elsbeth Gropp, weiß man, dass sie eine gefragte Porträtfotografin war und sich mit der Ausbildung junger Frauen, die einen Ausweg aus der Heiratskarriere suchten, ein Zubrot verdiente. 1934 meldete Hallensleben dann im Hansahochhaus ein eigenes Gewerbe an, musste Gropp allerdings zusagen, ihr als Porträtistin keine Konkurrenz zu machen. So verlegte sich die Berufsanfängerin zunächst darauf, die Landschaften bergischer Gemeinden in ein idyllisches Licht zu rücken. Auf diese Werbebilder folgten die ikonischen Industrieaufnahmen, vor allem im Auftrag der Vereinigten Stahlwerke im Ruhrgebiet und der Bergischen Patentachsenfabrik in Wiehl.
Am neusachlichen Blick auf menschenleere Fabrikhallen waren diese Auftraggeber selten interessiert, und so setzte Hallensleben immer wieder arbeitende Menschen in Szene. Allzu realistisch waren allerdings wohl auch ihre Aufnahmen nicht. Hallensleben inszenierte die Bilder wie auf einer lärmenden Bühne oder einem Filmset: Mit der Trillerpfeife dirigierte sie die Arbeiter bei laufendem Betrieb, sie waren für sie anscheinend Statisten einer Massenszenerie.
Über Ruth Hallenslebens politische Haltung ist kaum etwas bekannt
Hallensleben war nicht die erste Fotografin, die Aufträge aus der deutschen Schwerindustrie erhielt, aber die erfolgreichste. Sie beschäftigte in ihrer Lichtbildwerkstatt vor allem Frauen, und sie brachte einen Blick für Arbeiterinnen mit. Trotzdem fällt es schwer, ihr Werk aus einem feministischen Blickwinkel zu sehen. Sowohl in der Kriegswirtschaft der Nazis wie in der Nachkriegszeit gehörten Frauen durch den Mangel an Männern schlichtweg zum Arbeitsalltag. Bei ihrer schönen Serie für die Kölner Radium Gummiwerke bleibt es zudem bei einer klassischen Aufgabenteilung: Schwere Maschinen werden von Männern bedient, den Frauen bleibt die filigrane Seite der Regenmantel- und Handschuhfertigung.
Über Hallenslebens politische Haltung ist kaum etwas bekannt. Sie war nicht Mitglied der NSDAP und musste von den Alliierten auch nicht entnazifiziert werden. Allerdings kannte sie, wie Thomas Dupke in seinem Katalogbeitrag betont, keine Berührungsängste vor NS-Auftraggebern. Und sie fotografierte die damals gängigen Motive: Autobahnen, idyllische Landschaften, die Deutschen als „schaffendes Volk“. Einmal band sie nachweislich Zwangsarbeiter in ihre beschönigenden Inszenierungen der Arbeitsgemeinschaft ein. Nach dem Krieg sprach sie selten öffentlich über die NS-Zeit, und wenn, beklagte sie die Beschwernisse der Kriegsjahre. Eine zweite Leni Riefenstahl wird trotz dieser Unfähigkeit, zu trauern und die eigene Rolle im NS-Staat zu reflektieren, deswegen aber nicht aus ihr.
Nach dem Krieg konnte Hallensleben beinahe nahtlos an ihre Karriere anknüpfen. Sie machte den Aufstieg der deutschen Wirtschaft in den „Wunderjahren“ mit, fotografierte ab 1954 auch in Farbe und fügte ihrer Auslage nun Urlaubsbilder hinzu. Sie half, für Tapeten, mobile Autogaragen oder Rasenmäher zu werben, die Konsumwelt war plötzlich wieder heil. In den 1960er Jahren blieben dann die Aufträge aus. Ruth Hallensleben bezeichnete sich selbst damals als ausgebrannt. Am 28. April 1977 starb sie in ihrer Geburtsstadt. Auf Melaten wurde sie beerdigt.
Stefanie Grebe, Heinrich Theodor Grütter (Hg.): „Bilder im Auftrag. Fotografien von Ruth Hallensleben 1931-1973“, Klartext Verlag, 240 Seiten, 29,95 Euro.