Köln – Die beunruhigende Post liegt Mitte November bei Lina Paul im Briefkasten, einen Tag nach der Beerdigung ihres Mannes. Eigentlich braucht die 84-Jährige im Augenblick all ihre Kraft, um ihre Trauer zu verarbeiten. Und nun kommen neue Sorgen hinzu.
„Letzte Mahnung“ steht in fett gedruckten Buchstaben ganz oben auf den drei Briefen. Der Absender ist Klarna, ein großer Zahlungsdienstleiter mit Sitz in Stockholm, der für namhafte Unternehmen die Kundenzahlungen abwickelt. Lina Paul wird aufgefordert, drei Rechnungen zu begleichen. Der Gesamtwert: 28,80 Euro. Kein großer Betrag, aber die 84-Jährige hat nicht die geringste Ahnung, worum es geht. Und sie fürchtet, wenn sie nicht zügig bezahlt, könnte ihr eine Zwangsvollstreckung drohen.
Opfer sind vor allem Ärzte und Rentner
Lina Paul ist nicht die einzige in Köln, die solche „Letzte Mahnungen“ derzeit umtreiben. Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben in insgesamt 260 Fällen, der Tatvorwurf lautet: Computerbetrug. Die Opfer seien „in großem Umfang“ Ärzte, aber auch Rentnerinnen und Rentner. Manche Rechnungen seien sogar an längst verstorbene Personen adressiert, teilt Behördensprecher Christoph Gilles mit. Hinweise auf die Täter gebe es bisher nicht, der Kripo lägen keine konkreten Ermittlungsansätze vor. Aber es gibt Hinweise.
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Auf der Rechnung vermerkt ist nämlich der Name der Firma, in deren Namen Klarna die Rechnungen stellt: Neutron Holdings, besser bekannt als Lime. Das Unternehmen vermietet in Großstädten weltweit E-Scooter und Elektrofahrräder, auch in Köln. Wie es scheint, wurden in den vorliegenden Fällen sowohl Lime, als auch Klarna geschädigt. Es besteht der Verdacht, dass Unbekannte unter gestohlenen Identitäten Roller und Räder leihen, damit herumfahren und die Rechnungen dann an die völlig ahnungslosen Kölnerinnen und Kölner verschickt werden. Wie die Täter an die Namen und Adressen von Lina Paul und anderen geraten und warum so viele Seniorinnen und Ärzte darunter sind, ist noch völlig unklar. Es sei bislang noch kein Datenaustausch mit Lime und Klarna zustande bekommen, sagt Polizeisprecher Gilles.
Klarna bestätigt die Betrugsfälle auf Anfrage, spricht von „seltenen Fällen“ und versichert, das Problem „mit höchster Priorität“ zu behandeln. Wie viele Strafanzeigen bundesweit vorliegen, könne man nicht öffentlich mitteilen. Ebenso wenig wolle man Details zum genauen Vorgehen der Täter preisgeben. Es seien aber Maßnahmen ergriffen worden, „um die Zahl der ungerechtfertigten Mahnungen zu begrenzen und letztendlich zu verhindern, dass so etwas noch einmal vorkommt“, betont eine Sprecherin.
Niemand haftet für Kauf, den er nicht getätigt hat
Auch Albert Jürgens (Name geändert) zählt zu den Opfern. Er ist 88 Jahre alt, wohnt im Kölner Westen und nimmt die Sache mit Humor: „Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich die Fahrt auf so einem… wie heißen die… E-Scooter… überleben würde, aber diese Mahnungen haben mich schon zum Nachdenken gebracht, ob ich es nicht auch mal mit so einem Ding versuchen sollte.“ Weder er noch Lina Paul haben in ihrem ganzen Leben bislang auch nur eine einzige Zahlung online getätigt. Lina Paul nutzt nicht einmal das Internet und besitzt keinen Computer. Ihre Tochter hat den Fall bei der Polizei angezeigt, Klarna hat auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zugesichert, alle offenen Forderungen gegen sie abschreiben und ihre Daten sperren zu wollen.
Die Unternehmenssprecherin verweist auf die Klarna-Käuferschutzlinie, nach der niemand für einen Kauf haftet, den er nicht getätigt hat. Wer Opfer eines offensichtlichen Betrugs wurde, solle sich umgehend an Klarna wenden. Dasselbe empfiehlt auch die Polizei.