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Corona-„Detektivarbeit“Dieses Team kümmert sich um das Contact Tracing in Köln

Lesezeit 4 Minuten
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Mitarbeiter des Teams für Contact Tracing beim städtischen Gesundheitsamt.

  1. Das Team für Contact Tracing beim städtischen Gesundheitsamt verfolgt Kontakte und Infektionsketten von Corona-Patienten.
  2. Schon 13.000 Menschen haben die Virusdetektive mittlerweile angerufen – davon viele täglich – um Symptome abzufragen.
  3. Am 1. April dachten viele, es handele sich um einen Aprilscherz. Einige Menschen schimpfen auf den „Überwachungsstaat“ und legen auf. Auch Friseure musste das Team bereits anrufen.

Köln- – Der Raum, aus dem Köln den Kampf gegen das Virus gewinnen will, ist tapeziert mit dutzenden Merkzetteln und Nummern für den Notfall. Es riecht noch ein bisschen nach Mittagessen aus dem notdürftig aufgebauten Buffet, zwei Tulpensträuße lassen ihre orangenen Köpfe hängen. Auf einer Tafel steht, welcher Mitarbeiter welche Sprachen spricht. Vor allem Arabisch, Türkisch und Französisch werden oft gebraucht, wenn die Kontaktperson nicht gut Deutsch spricht. Gerade ist hier ein Fax aus einem Labor reingekommen. Der nächste Kölner Corona-Fall, einer von knapp 2400. Ärztin Barbara Grüne und Medizinstudent Andreas Gehlhar vom Gesundheitsamt machen sich nun an die „Detektivarbeit“, wie sie es nennen: Kontakte zurückzuverfolgen, Infektionsketten zu durchbrechen.

Der erste Anruf bei einem „Indexfall“, einer infizierten Person, läuft nach einem standardisierten, digitalen Fragebogen ab, den die Stadt programmiert hat – deutschlandweit einzigartig, heißt es. „Wir fragen sehr detailliert ab, seit wann die Personen Symptome haben, welchen Personenkreis sie getroffen haben und schließen daraus, wo sie sich wahrscheinlich angesteckt haben“, sagt Gehlhar, einer von hunderten Studenten, die seit Beginn der Viruskrise beim Gesundheitsamt als Detektive arbeiten.

Mail an Corona-Indexfall

Parallel bekommt der Indexfall eine Mail mit der Quarantäne-Anordnung und einem Symptomtagebuch, das er täglich ausfüllen soll. So schnell wie möglich soll er eine Liste mit Personen ans Gesundheitsamt schicken, die er ab zwei Tage vor den ersten Symptomen länger als 15 Minuten auf weniger als zwei Metern Abstand getroffen hat. Auch die müssen in Quarantäne. Nach diesen Richtlinien des Robert-Koch-Instituts waren es am Anfang im Schnitt noch zehn Namen, die ein Infizierter angegeben hat.

„Einige hatten sogar um die 100 Kontakte“, sagt Amtsleiter Johannes Nießen. Jetzt seien es drei. Die Kontaktbeschränkungen zeigen Wirkung. Trotzdem: Schon 13000 Menschen haben die Virusdetektive mittlerweile angerufen, davon viele täglich, um Symptome abzufragen.

Am Anfang der Krise hat das Amt sein Personal verdoppelt und für das „Contact Tracing“ mit hunderten Ärzten und Studenten Räume in der Volkshochschule direkt nebenan bekommen.

Wenn die Fallzahlen die gesetzte Schwelle von 540 Neuinfizierten in der Stadt pro Woche nicht überschreiten, sei man mit dem Personal gerüstet, sagt Grüne. Bisher, selbst in der Hochphase der Pandemie, seien alle Infektionsketten nachverfolgt und neue Hotspots erkannt worden, sagt sie. „Wir waren zu keinem Zeitpunkt an einer Grenze, ab der die Rückverfolgung nicht mehr gewährleistet gewesen wäre.“

Kontaktpersonen sehen es manchmal nicht ein, zu Hause zu bleiben

Auch Friseure habe sie inzwischen angerufen, weil ein Kunde infiziert war. „Dann haben wir ermittelt, wer ihm die Haare geschnitten hat“. Manchmal aber, erzählt sie, sehen Kontaktpersonen nicht ein, dass sie zu Hause bleiben müssen. Da werde schon mal auf den „Überwachungsstaat“ geschimpft und aufgelegt, bevor der zweite Anruf mit noch deutlicherer Ansage kam. „Am 1. April dachten viele, mein Anruf sei ein Scherz. Als ich klargemacht habe, dass es kein Witz ist, haben viele erst den Ernst der Lage verstanden“, sagt auch Gehlhar. Und: „Wir merken, dass die Freiwilligkeit, in Quarantäne zu gehen, allmählich weniger wird. Bei den Kontaktpersonen stößt man inzwischen häufig auf Unverständnis.“

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Für Nießen ist Corona nicht die erste Seuche. Vor acht Jahren war er Chef des Gesundheitsamts in Hamburg-Altona, als dort eine Sechsjährige an den Folgen einer Ehec-Erkrankung starb. Das habe er bis heute nicht vergessen, sagt er, aber für solche Situationen gelernt: „Es gibt in jeder Krise den Moment, an dem man merkt »jetzt wird es ernst«“, sagt er und erzählt vom Abend des 28. Februar, als gegen 21 Uhr der Anruf einer Klinik kam, dass eine Patientin positiv auf Corona getestet wurde. „Wir wussten direkt, dass es nicht der einzige Fall bleiben wird“, sagt Nießen. „Da habe ich hier bis tief in die Nacht gearbeitet und auf einer Matratze im Büro geschlafen.“

Einen Großteil der Arbeit könnte eine Tracing-App erledigen, die immer wieder als Wundermittel gegen das Virus genannt wird. Nießen würde sich freuen, wenn die App kommt „und möglichst viele mitmachen“, sagt er. Im Moment aber ist es auch so ruhig geworden rund um die Virusdetektive aus dem Gesundheitsamt. Die Fallzahlen sind am Boden. Aber Nießen warnt: „Wir sehen gerade dem Auge des Wirbelsturms entgegen. Alle Experten sind sich einig: Spätestens im Herbst wird die zweite Welle kommen.“ Für die jedenfalls sieht er sich besser gerüstet als für die erste.