Der Kabarettist unternimmt eine Zeitreise anhand von Songs. Wie das beim Publikum im Kölner Tanzbrunnen ankam, beschreibt unsere Autorin.
Premiere von „Deine Disco“Jürgen Becker fehlen die richtigen Songs für Klimaaktivisten
Ein Laptop, ein Lautstärke-Hebel und Jürgen Becker in T-Shirt und grellpinken Schuhen allein auf der Bühne - mehr braucht es am Samstagabend im Theater am Tanzbrunnen nicht, um die vielen Gäste zwei Stunden lang zu unterhalten. „Deine Disco“ ist eine musikalische Reise durch die Politikepochen Deutschlands, die allesamt von prägenden Soundtracks begleitet wurden.
„Am Anfang war die Musik. Nicht das Wort“, eröffnet Becker sein Programm. Im dumpf rauschenden Hintergrund ist ein Herzschlag zu hören. „Für uns alle der erste Beat des Lebens“, so Becker weiter. Es beginnt eine fesselnde Zeitreise.
Jürgen Becker bietet in Köln Programm zum Mitsingen
Jede Zeit wurde geprägt von der Musik, die sie begleitet hat. Davon ist Jürgen Becker überzeugt. In der Kindheit begonnen, fülle sich langsam, aber beständig, eine kognitive Powerbank, die auch Jahre später, wie auf Knopfdruck, alles abfeuern könne, was aus musikalischer Perspektive jemals Bedeutung gehabt habe. Ohne Vorwarnung stimmt er ein bekanntes Kinderlied an: „Wer will guten Kuchen backen, der muss haben sieben Sachen…“.
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Und wie selbstverständlich steigt der prall gefüllte Saal im Theater am Tanzbrunnen in seinen Gesang ein: „Eier und Schmalz, Butter und Salz, Milch und Mehl, Safran macht den Kuchen gel.“ Das Kinderlied sollte nicht der einzige Song bleiben, den das Publikum am Samstag spontan mitsingt.
Becker mit Seitenhieben auf die Kölsche Mentalität
Auch die kölschen Klassiker werden besprochen. „Mal im Ernst, in kölschen Volksliedern, da wird nicht gearbeitet. Da wird getrunken und geschunkelt und dann Wochenende gemacht. In einem Lied wird ein Maurer besungen, der nach dem ersten Arbeitsschritt bemerkt, dass er noch gar nicht gefrühstückt hat und die Arbeit dann vorsichtshalber erstmal wieder niederlegt. Völlig logischer Prozess“, so der Kabarettist über die Stimmung in seiner Stadt.
„Heimat ist der Ort, den man liebt, obwohl er manchmal eine komplette Katastrophe ist. Das kennen wir hier in Köln ganz besonders gut“, witzelt Becker. In jungen Jahren habe er angefangen Pink Floyd zu hören, die ihm mit einem Mal „völlig neue Galaxien eröffneten. Oder eben die Vorstellung der anderen Rheinseite“. Die Bedeutung der Stadt zieht sich durch das ganze Programm des langjährigen Comedians. Umso mehr habe er sich gefreut, als ihm bereits am Mittwoch ein Platz für seine Ehrtafel an der „Wall of Fame“ des Tanzbrunnens zugeteilt und sein Stern platziert wurde.
Kölner Kabarettist wünscht sich packende Songs für den Klimaaktivismus
Immer wieder werden die Pointen von Jürgen Becker am Samstag mit großem Applaus und Gelächter gefeiert. Allen voran die ausführlich dargelegte Bedeutung der E-Gitarre im geschichtlichen Kontext der Kultur sorgte für gute Stimmung, als Becker die nahezu monströse Erscheinung der E-Gitarre mit der einer Bratsche in Verbindung brachte: „Was hätte man damit auch reißen wollen. Mein Lehrer hat damals immer gefragt: Was ist der Unterschied zwischen einer Bratsche und einer Zwiebel? – Wenn die Bratsche zerhackt wird, weint sicher keiner.“ Und auch in anderen Bereichen vertritt Becker die Haltung, dass eine Bewegung, eine politische Aktion, ohne den dazugehörigen Soundtrack nahezu keine Chance habe. „Ohne Groove, kein Move“, sagt er.
Anders als jede andere bisherige Bewegung in der Gesellschaft fehle den Klimaaktivisten noch die entscheidende Musik. „In der Regionalbahn nach Neuss hört sich halt einfach nicht so geil an wie der Highway to Hell“, analysiert Becker zum Abschluss seines Stücks. „Und Born to be vernünftig klingt irgendwie auch nicht so schmissig“. „Follow the Science“ heißt es auf den Fridays For Future Demonstrationen immer. Und dass die Wissenschaft enorm wichtig sei, wolle auch gar keiner in Abrede stellen.
Doch laut Becker fehlen die Emotionen. Die Klimabewegung brauche Musik. Er selbst schlägt vor, sich da mal am Jahr 1978 zu orientieren. „Bei einer Reduktion unseres Konsums um 50 Prozent wäre unser Klima noch zu retten. Das entspricht den Werten von 1978, der Zeit von Boney M und ‚Daddy Cool‘. Vielleicht sollte man es damit mal versuchen?“.
Ob Jürgen Becker am Ende seiner zweistündigen musikalischen Satire wirklich die Zukunft gerettet hat, bleibt fraglich. Sicher ist nur: Mit seiner Geschichte in Scheiben hat der Kabarettist den Abend vieler Gäste zu einem ganz besonderen musikalischen Highlight gemacht.