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Die 90er Jahre in NRWAlarm beim Mittagessen – Geiseldrama von Köln-Deutz

Lesezeit 4 Minuten
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Ein elf Jahre alter Junge flieht durch die zerbrochene Heckscheibe. Ein 53 Jahre alter Fahrgast hatte sich schützend vor ihn geworfen, als der Geiselnehmer auf ihn schoss. Der Busfahrer, eine Touristin und der Geiselnehmer überlebten die Tat nicht. 

  1. Die Geiselnahme am 28. Juli 1995 in Köln-Deutz sorgte in der ganzen Republik für Entsetzen.
  2. Der Einzeltäter Leon Bor hatte nahe der Deutzer Messe einen Bus mit 26 Touristen gekapert.
  3. Die Polizei wusste anfangs aber nicht, ob sie sich einem Einzeltäter oder mehreren Tätern gegenüber sah. erzählt Polizeidirektor Volker Lange, der damals dabei war. .

Köln – Das Rührei in der Pfanne sollte die Einsatzpause am Standort in Bayenthal ein wenig aufpeppen. Das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Kölner Polizei wartete auf einen Angeklagten, der gerade vor Gericht stand und der anschließend wieder in die JVA eskortiert werden sollte.

Mitten in das Rührei, kurz vor elf Uhr an jenem 28. Juli 1995, platzt die Alarmmeldung. Busgeiselnahme an der Deutzer Messe: Ein Mann, mit einer Jeans und einem karierten Hemd bekleidet, hat gegen 10.40 Uhr den Fahrer erschossen, den Bus mit 26 Touristen gekapert. Als eine Polizeistreife sich dem Fahrzeug nähert, schießt der Täter einem Beamten in den Bauch. Der Getroffene wird überleben. Schwer verletzt.

„Wir sind sofort los, aus dem Rührei wurde nichts“, erinnert sich der damalige SE-Kommandoführer Volker Lange. Fast 25 Jahre später sitzt der heutige Polizeidirektor im Chefbüro der Inspektion Ehrenfeld, und schildert zum ersten Mal, wie er das fast achtstündige Geiseldrama erlebt hat. Lange ist mit seiner achtköpfigen Spezialeinheit der Erste, der am Tatort eintrifft.

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Einer oder mehrere Täter?

Das Vorauskommando verteilt sich rund um den Bus und geht in Deckung. Lange steht mit einem Kollegen hinter einem Bauzaun mit freier Sicht auf den Bus, in dem der 26 Jahre alte Fahrer tot auf seinem Sitz liegt. Daneben erkennt der SEK-Kollege durch das Fernrohr seines Gewehrs einen Mann mit Overall und schwarzer Sturmhaube. Freie Schussbahn.

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Volker Lange arbeitet heute auf der Polizeistation Ehrenfeld. 

Lange muss entscheiden, ob sein Kollege abdrücken soll oder nicht. Er sagt nein. Zu groß scheint die Gefahr, dass der Kidnapper Geiseln mit in den Tod nehmen könnte. Überall am Bus hängen Schnüre, die auf Sprengfallen hindeuten: „Außerdem wussten wir nicht, ob es ein oder zwei Täter waren, da zunächst von einem Schützen in einem karierten Hemd die Rede war. So schnell wären wir nicht am Bus gewesen, um den zweiten zu stoppen.“

Abwarten. Anfangs ahnten die Einsatzkräfte nicht, dass sich der Geiselnehmer Leon Bor, 31 Jahre alt, den Kampfanzug und seine Maske mit Brille gerade über sein kariertes Hemd gezogen hatte. Das Motiv seiner Tat ist bis heute unklar.

Als er den Bus kapert, brüllt der in Russland geborene Israeli: „Alle still – Russenmafia.“ Der damalige Leitende Polizeidirektor Winrich Granitzka übernimmt, ein zähes Ringen beginnt. Per Handy versucht die Polizei, Kontakt mit dem Täter zu halten.

Bor agiert unberechenbar. Manche Businsassen herrscht er rüde an, bedroht oder quält sie. Als ein elf Jahre alter Junge durch die zerborstene Heckscheibe flüchtet, hebt der Kidnapper seine Smith & Wesson, um ihn zu töten. Der Wiener Hans Buchner wirft sich in die Schusslinie: „Um Gottes willen! Bitte nicht das Kind!“ Eine Kugel trifft ihn in die Brust.

Im Bus ist es heiß. Bor wird nervös, feuert gleich mehrfach nach draußen auf den Asphalt. Der Akku seines Handys ist bald leer. Den schwer verletzten Buchner herrscht er an: „Geh raus! Hol Wasser! Und bring mir ein Handy mit!“ Sollte der Wiener nicht zurückkehren, so die Drohung, müsse seine Frau dran glauben.

Zugriff nach dem Tod einer Touristin

Buchner hangelt sich durch die Heckscheibe nach draußen und wird von Polizisten in Empfang genommen. Er überlebt per Not-OP. Als Bor gegen 17.30 Uhr eine Touristin erschießt, erteilt der Polizeiführer das Kommando für den Zugriff. Inzwischen ist klar, dass es sich um einen Einzeltäter handelt.

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Der österreichische Tourist Heinz Buchner, der schwere Schussverletzungen erlitten hat,  kriecht auf einen Polizeiwagen zu, nachdem er aus dem Busfenster gesprungen ist.

Bor hat die meisten Busfenster zugehängt. Nur vorne am Fahrerhaus klafft ein großer Spalt. „Dort stand der Geiselnehmer, da haben Kollegen dann Sperrfeuer hineingeschossen, um ihn von den Businsassen zu trennen und zu verwirren“, erzählt Lange. Gleichzeitig stürmen SEK-Männer über das Heckfenster und vorne am Einstieg. Ein Gewehrprojektil streckt den Geiselnehmer nieder. Am Boden liegend schießt er sich in den Kopf.

Jetzt zählen alle die Sekunden: „Zunächst war nicht klar, dass es sich bei den Sprengvorrichtungen, die der Täter bei sich trug, um Attrappen handelte“, so Lange. Sofort wurden die Geiseln aus den Fenstern gehoben. „Die Menschen weinten, wollten uns gar nicht mehr loslassen und ich weinte mit ihnen.“

Bei den Worten wird die Stimme des bulligen Polizeiführers auch 25 Jahre später noch weich. Seine Augen glänzen. Sie hatten es geschafft. Noch heute trifft sich am 28. Juli die damalige Reiseleiterin mit ihren Rettern. Sie feiern das Überleben.