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Homophobe GewalttatSechsstündige OP nötig – 44-Jähriger in Köln schwerstverletzt

Lesezeit 5 Minuten
Notaufnahme Uniklinik 0511

Die Krankenwagenanfahrt zur Zentralen Notaufnahme (ZNA) der Universitätsklinik Köln. Dort wurde das Opfer operiert.

Köln – Nasenbein zertrümmert, Zungenspitze amputiert, Unterkiefer und Oberkiefer mehrfach gebrochen, Mittelgesicht vom Schädel getrennt. Zehn Zähne raus, Gebiss verschoben, Gesichtsnerven gekappt, Zunge taub. Das sind nur die schwersten der Verletzungen, die ein 44-jähriger Mann aus dem Ruhrgebiet erlitt, nachdem ihm ein Mann in rosa Ballettkleid vor der Sonderbar in der Altstadt am 3. September gegen 23 Uhr mit Anlauf in den Rücken gesprungen war.

Täter verlor bei Flucht rosa Ballettrock

Andreas Müller, der seinen echten Namen aus Sorge nicht öffentlich machen will, stürzte wie ein gefällter Baum mit dem Gesicht aufs Pflaster. Der Täter, der außer dem rosa Ballettrock ein pinkes T-Shirt und eine schwarze Kappe trug, flüchtete.

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Der 44-Jährige direkt nach der Tat

Zwei Monate nach der brutalen Attacke sieht Müller besser aus als es ihm geht. Unter dem rechten Auge zeichnet sich ein dunkler Schatten ab, er trägt eine provisorische Zahnprothese und kann den Mund nur einen Spalt weit öffnen.

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Nach einer sechsstündigen Operation in der Uniklinik, bei dem die Kiefer gerichtet und etliche Platten zur Stabilisierung eingesetzt wurden, konnte er nur über einen Katheder Flüssignahrung schlucken – die Kiefer waren so zugenäht worden, dass er den Mund nicht öffnen konnte. „Ich hoffe, dass ich den Mund irgendwann wieder normal bewegen kann“, sagt er.

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Die Kiefer wurden zusammengenäht.

Der 3. September war ein warmer Spätsommertag. Müller war mit seinem Kumpel Peter Engels (Name ebenfalls geändert) zum Sommerkarnevalsfest Jeck im Sunnesching gefahren, es sei ein „wunderbarer, ausgelassener Tag“ im Deutzer Jugendpark gewesen. Müller und Engler nennen sich „Herzenskölner“ – sie haben eine Dauerkarte für den 1. FC Köln, lieben kölsche Musik und den Karneval, auch im Sommer.

Freunde wollten noch Spießbratenbrötchen essen

Gegen 22 Uhr gingen die beiden zurück Richtung ihres Hotels am Heumarkt und wollten in der Altstadt noch ein Spießbratenbrötchen essen. Vor der Sonderbar habe eine Gruppe mit drei Junggesellen gestanden, erinnert sich Engler, alle zwischen 35 und 40 Jahre alt.

„Der eine trug dieses rosa Kleid, die anderen beiden schwarze T-Shirts, auf denen zwei Worte standen.“ Was auf den T-Shirts stand, können die Männer nicht mehr erinnern. „Aber es sah so aus, als sei der Mann mit dem rosa Kleid der Junggeselle, der künftige Bräutigam.“

Homophobe Beleidigung

„Nach ihr Schwuchteln, wollt ihr mal richtige Schwänze sehen?“, habe einer der Männer gegrölt. „Wir haben eher perplex gefragt: Was ist denn mit Euch los?, und wollten weitergehen. Wir haben gemerkt, dass die aggressiv sind und wollten keinen Streit.“ Müller betont, dass er an dem Tag nicht viel getrunken habe.

„Wir waren sehr entspannt und wollten den Abend mit etwas zu essen ausklingen lassen. Aber die haben nicht aufgehört zu pöbeln.“ Türsteher der benachbarten Bars hätten schließlich geschlichtet. Die Freunde gingen weiter Richtung Rhein.

Mit Anlauf in den Rücken gesprungen

Wenig später hätten die zwei Männer mit den schwarzen T-Shirts, die die Verfolgung aufgenommen hatten, wieder vor ihnen gestanden. Sie hätten weiter gepöbelt, geschubst, auch geschlagen. Was dann geschah, kann Andreas Müller nicht erinnern. Er spürte einen dumpfen Schmerz im Rücken und ging zu Boden. „Der Typ mit dem rosa Kleid, ein kräftiger, trainierter Typ, vielleicht 100 Kilo, ist ihm mit Anlauf in den Rücken gesprungen“, sagt Engler.

Nach dem dumpfen Aufprall blutete Müller aus Mund, Nase und Ohren. Eine Krankenschwester, die zufällig vor Ort war, versorgte ihn notdürftig, bis Polizei und Rettungswagen kamen. Der Täter im rosa Tutu lief weg. Vor dem Biermuseum verlor er sein Kleid.

„Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich Glück hatte, dass ich nicht waagerecht in einem schwarzen Auto nach Hause gefahren wurde“, sagt Müller. „So viel Glück hatte der Mensch in Münster nicht.“

Malte C., 25 Jahre alter trans Mann, der am Rande des CSD in Münster niedergeschlagen wurde, nachdem er einer homophob angegriffenen Frau geholfen hatte, schlug auf der Straße auf und starb an seinen schweren Verletzungen. Es war der schlimmste von zahlreichen brutalen Übergriffen mit homophoben Hintergrund, einige davon in Köln.

„Natürlich waren die Typen schwulenfeindlich“

Andreas Müller ist nicht homosexuell. Er lief mit Aloha-Kette und buntem Hawaiihemd verkleidet mit seinem Kumpel durch die Stadt. „Natürlich waren die Typen schwulenfeindlich, so grotesk das ist: Ein rosa Ballettkleid zu tragen und dann so homophob auszurasten“, sagt Müller. Die Ursache für den menschenverachtenden Angriff ist für ihn allerdings sehr zweitrangig.

Zweimal ist der 44-Jährige in der Uniklinik operiert worden, „mindestens zehn Platten“ stabilisieren sein Gesicht. Bis heute hat er Kopfschmerzen, sobald er sich bückt, und regelmäßig Ohrenschmerzen. Ein Teil des Gesichts und die gekappte Zunge sind taub. Er macht Physiotherapie, um den Mund wieder besser bewegen zu können – momentan kann er kaum kauen, isst nur weiche Nahrungsmittel „und auch die schlucke ich eher runter“.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Seine Arbeit kann er nicht ausüben, er ist krankgeschrieben und lebt von Krankengeld – „wie ich das Geld für die neuen Zähne und all das, was noch kommt, aufbringen soll, weiß ich noch nicht“. Er hat den Opferhilfe-Verein Weißen Ring kontaktiert, der sofort Hilfe angeboten hat. „Wir waren an diesem Tag zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Müller. „Für mich geht es jetzt darum, mein altes Leben zurückzubekommen. Eines Tage würde ich gern wieder ein Spießbratenbrötchen essen können." Vor allem aber, sagt er, „wäre schön, wenn die Täter ausfindig gemacht werden würden“.

Die Kölner Polizei ermittelt und nimmt Hinweise unter 0221 / 229-0 oder per Mail an poststelle.koeln@polizei.nrw.de entgegen.