Auch wegen der Eröffnung des neuen Konsumraums gibt es immer mehr Junkies und Dealer auf dem Neumarkt.
Anwohner fürchten sich, abends über die Straße zu gehen, Geschäftsleute schließen ihre Läden früher.
Im Interview erklärt Polizeidirektor Martin Lotz, was die Polizei dagegen tun kann – und auch, warum sie nicht zu viel tun möchte
Köln – Herr Lotz, Anwohner klagen über immer mehr und immer aggressiver auftretende Dealer und Junkies rund um den Neumarkt. Stellt die Polizei das auch fest?
Martin Lotz: Was wir feststellen, ist, dass immer mehr Personen auf dem Neumarkt auftauchen. Das liegt am neu eröffneten Drogenkonsumraum und war ja durchaus auch so beabsichtigt. Und die Drogenkonsumenten kommen natürlich nicht zum Neumarkt, konsumieren dort und fahren wieder nach Hause. Manche haben eine so enge Taktung, dass sie alle paar Stunden konsumieren. Das heißt: Sie gehen da gar nicht erst weg. Dadurch ergeben sich auch für die Dealer größere Absatzmöglichkeiten. Diese Gesamtgemengelage führt dazu, dass auf dem Neumarkt und im Umfeld jetzt ein bisschen mehr Bewegung drin ist. Das steigert bei dem einen oder anderen Passanten möglicherweise das subjektive Unsicherheitsgefühl. Wir registrieren derzeit aber nicht mehr Straftaten. Die meisten Personen dort treten auch nicht aggressiv auf, aber es gibt natürlich Ausnahmen.
Unsere Innenstadt-Präsenzkräfte sind häufiger auf dem Neumarkt, seitdem dort mehr los ist. Gleichzeitig dürfen wir aber auch nicht zu viel machen.
Nicht? Das müssen Sie erklären.
Auf dem Weg in den Drogenkonsumraum haben die Menschen natürlich Drogen dabei. Der Konsum selbst ist straffrei, aber der Besitz nicht. Sie alle auf dem Weg in den Konsumraum zu kontrollieren, wäre sozusagen ein „gefundenes Fressen“ für die Polizei. Das wollen wir aber nicht und das ist ja auch sozialpolitisch nicht gewollt. Von daher müssen wir die Kontrollen dort mit Augenmaß durchführen. Gegen die Dealer gehen wir natürlich konsequent vor.
Wie denn?
Meistens sind die Dealer auf dem Neumarkt kleine Fische. Kürzlich ist es uns aber gelungen, einen Dealer festzunehmen, der schon ein bisschen mehr organisiert und Drogen vertrieben hat. Wir haben eine größere Menge Betäubungsmittel in einer Wohnung in der Nähe des Neumarkts sichergestellt. Solche Erfolge gelingen uns aber nicht jeden Tag und führen nicht dazu, dass wir den Neumarkt auf Dauer trockenlegen.
Der Drogenkonsumraum schließt um 15.30 Uhr. Danach sieht man Junkies bis in die Nacht hinein in Hauseingängen oder auch ganz offen auf der Straße, wie sie sich Heroin spritzen. Anwohner beschweren sich oft: Die Polizei sieht das zwar, greift aber nicht ein. Warum ist das so?
Drogenkonsum ist nicht strafbar. Es ist keine Lösung, Schwerstabhängige zu vertreiben. Das würde die Probleme dieser Menschen nicht lösen und das ist vorrangig ihre Abhängigkeit. Platzverweise sind ebenfalls keine Lösung, da die Menschen nach dem Konsum harter Drogen in der Regel nicht gewahrsamsfähig sind und die Durchsetzung letztlich eine Fahrt in eine Klinik bedeuten würde. Also – keine dauerhafte Lösung! Die Polizei ist bei Schwerstabhängigen meist der falsche Ansprechpartner, da unsere Maßnahmen keine Lösung für das Ursprungsproblem, also die Abhängigkeit, sein können. Natürlich sehen wir uns als Teil der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, aber eben nicht alleine. Unseren Teil tun wir so gut das geht, wie es Sinn macht und verantwortbar ist. Aber es findet alles seine Grenzen auch im juristisch Machbaren.
Vor allem auf dem Treppenabgang zur U-Bahn auf dem Neumarkt wird offen gedealt. Muss die Polizei diese Stelle stärker in den Blick nehmen?
Das deutet sich so an, ja. An dieser Stelle ist keine polizeiliche Videobeobachtung. Da tummeln sich die Dealer natürlich häufiger. Es ist ein ständiges Katz und Maus-Spiel. Dealer „riechen“ die Polizei, auch wenn wir in Zivil auftauchen. Mal gewinnen wir, mal sind die Dealer schneller. Man darf sich das aber nicht vorstellen, als würden wir da offen als Polizei rumlaufen. Fakt ist aber auch, dass wir die Dealer kennen und die uns. Das macht es für uns nicht einfacher.
Zur Person
Martin Lotz ist Leitender Polizeidirektor, Chef der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz und somit verantwortlich für den Wach- und Wechseldienst der Polizei in Köln.
Haben Sie den Eindruck, dass sich auf dem Neumarkt in den letzten Monaten etwas zum Positiven verändert hat?
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, das hat sich toll entwickelt. Das ist leider nicht der Fall, überrascht mich aber auch nicht. Es gibt nun mal das Angebot für die Drogenkonsumenten am Neumarkt, zum Beispiel den neuen Konsumraum, den ich sehr begrüße. Er ist immens wichtig für die Menschen, die ihn nötig haben. Aber die Begleiterscheinungen kann man eben auch nicht einfach wegbeamen. Der Betreuungsbedarf für Schwerstabhängige, Obdachlose und soziale Randgruppen generell orientiert sich halt nicht an Bürozeiten. Deshalb ist das Problem auch nicht mit einem Drogenkonsumraum alleine zu lösen. Es gibt sicher noch viel zu tun, was darüber hinausgeht.
Was hat aus Ihrer Sicht jetzt höchste Priorität am Neumarkt?
Zwei Dinge: Zum einen muss das Betreuungsangebot erhöht werden für die Menschen, die man dort mit den Angeboten auch bewusst anlockt. Streetworker zum Beispiel, die ihnen helfen, den Drogenkonsumraum zu finden und die darauf achten, dass sie sich auch ordentlich benehmen. Da müssen Toiletten hin, damit niemand seine Notdurft draußen verrichtet und was zu einer Verdreckung des Neumarkts führt. Zweitens muss man diesen Platz wieder der Bevölkerung widmen, überall dort, wo die Gesellschaft einen Platz belegt, funktioniert es. Auf dem Neumarkt ist das sicher nicht ganz einfach, andererseits ist der Neumarkt eben auch ein Paradeplatz, das Zentrum der Innenstadt von Köln. Da könnte man den Menschen viele tolle Möglichkeiten anbieten. Aber das kann man nicht übers Knie brechen, das braucht Zeit.
Im Moment erlebt man eher das Gegenteil von öffentlicher Belebung: Das Eiscafé am Josef-Haubrich-Hof zum Beispiel schließt zwei Stunden früher, weil die Dealer ab 18 Uhr den Platz übernehmen.
Das ist bedenklich und geht in die falsche Richtung. Damit geben wir langsam Teile des Neumarktes und der Umgebung auf. Das führt noch stärker dazu, dass die Gesellschaft sich zurückzieht und ist genau das Gegenteil von dem, was ich eben sagte: Dass man das Umfeld belebt, dass die Bevölkerung Kölns sich den Neumarkt und die Umgebung zurückholt und sich dort wohlfühlt.