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Ein Insider packt ausSo laufen die Drogendeals auf dem Kölner Neumarkt

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Nahezu öffentlich werden die Drogen am Neumarkt verkauft.

Köln – Bevor er sprechen will, muss Andreas Werner sich erst einmal stärken. Eben hat der 55-Jährige in der Substitutionsambulanz an der Lungengasse seine tägliche Dosis Subutex eingenommen, ein Ersatzstoff für Heroin und verträglicher als Methadon, findet Werner. In der Puszta-Hütte schräg gegenüber bestellt er sich jetzt eine Portion Gulasch und ein Kölsch. Es ist Dienstagmittag, 14 Uhr.

Andreas Werner, der eigentlich anders heißt, ist gebürtiger Kölner, er bewohnt ein Zimmer in einer städtischen Unterkunft. Wann und wodurch genau sein Leben vor Jahrzehnten aus den Fugen geriet, lässt sich heute nicht mehr sagen. Seit 30 Jahren verkehre in der Drogenszene am Neumarkt, sagt Werner. Er kennt sie alle: die Dealer und die Käufer, die Abhängigen, die Streetworker, die Polizisten, die hier täglich nach dem Rechten sehen und Kuriere und Drogenhändler festnehmen. Unter der Maßgabe, dass weder sein richtiger Name, noch ein Foto in der Zeitung auftauchen, ist Werner bereit, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen Einblick in sein Leben und in die Abläufe auf dem Neumarkt zu geben.

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Auch er, sagt Werner, sei früher oft festgenommen worden, das letzte Mal vor sechs Jahren. Es habe Zeiten gegeben, „da hat die Polizei mich ein paar Mal pro Woche mitgenommen.“ Klassische Beschaffungskriminalität. Diebstahl, Raub und manchmal auch der ein oder andere Drogendeal – den aber nur ab und zu. Vom Rauschgift verkaufen habe er sich „im Großen und Ganzen“ ferngehalten“, sagt er. Insgesamt zehn Jahre seines Lebens habe er im Knast verbracht. Vier Jahre am Stück in Rheinbach waren der längste Aufenthalt. Einen Beruf habe er nicht gelernt, ein paar Jahre habe er auf dem Bau gejobbt. Gerüste auf- und abgebaut, gestrichen, lackiert.

Im Gefängnis kalten Entzug gemacht

Vieles von dem, was der 55-Jährige sagt, lässt sich nicht überprüfen. Ein ehemaliger Gefängnisbediensteter allerdings, der Werner schon mehrfach als Gefangenen betreut hat, bestätigt auf Nachfrage immerhin zahlreiche Details. Zum Beispiel dieses: Hinter Gittern machte Andreas Werner jedes Mal kalten Entzug. „Das ist brutal“, schildert Werner. „Dein Hirn macht mit dir, was es will, du musst stärker sein als dein Kopf.“

Inzwischen nehme er kein Heroin mehr, nur noch Subutex. Beides gibt es auf dem Neumarkt auch illegal zu kaufen: ein Bubble (0,2 Gramm) Heroin für zehn Euro, acht Milligramm Subutex für acht Euro, sagt Werner. Auch Kokain – 0,2 Gramm für 20 Euro. Wer die richtigen Leute kenne, könne sich auf dem Neumarkt alles besorgen lassen: von Marihuana bis Viagra. Wer aber nicht aufpasst, gerate schnell an die Falschen. „Es gibt Typen, die pulen Rinde vom Baum ab und verkaufen dir das als Heroin. Beides sieht ähnlich aus. Aber wer nicht genau hinguckt, ist auch selbst schuld.“

Keine festen Strukturen unter den Dealern

Unter den Kleindealern gebe es keine festen Strukturen, sondern verschiedene Verkäufer, Zwischenhändler, Kuriere, Großhändler. Deutsche, Russen, Afrikaner. Manche sind selbst drogenabhängig und brauchen das Geld für den nächsten Schuss. „Eigentlich verkauft auf dem Neumarkt jeder, der Bock hat. Es ist ein ständiges Hin und Her, ein großes Kuddelmuddel.“ Werner fasst es so zusammen: „Es gibt die Leute, die was haben. Und es gibt die, die nichts haben. Das sind die armen Schweine, die in den sauren Apfel beißen.“

Drogenszene Neumarkt5 gepixelt

Ein Mann wird am Neumarkt in Gewahrsam genommen. 

Und wer sind die dicken Fische, die Strippenzieher im Hintergrund? „Keine Ahnung“, sagt Werner und hebt abwehrend die Hände. „Das ist auch besser so. Wenn du keinen Stress willst, sei wie die drei Affen: Augen zu, Ohren zu, Mund zu.“ Denn jeder, der auf dem Neumarkt sein Heroin kaufe, kämpfe ums Überleben. „Nur wenn du gerade bleibst, ist alles gut, dann passiert dir nichts“, sagt Werner. Wer andere bei der Polizei anschwärze oder in seiner Vernehmung auspacke, um eine mildere Strafe zu kriegen, der riskiere dagegen viel. „Andere anzinken ist das Schlimmste, was du tun kannst. Unterste Schublade.“ Und wer es doch tut? Werner zieht die Schultern hoch und trinkt sein Kölsch aus. „Das spricht sich rum. Im Knast triffst du alle wieder. Und dann: Kopf ab, dann hängst du am Baum.“

„Viele Kollegen sind schon tot leider"

Der 55-Jährige schiebt die Metallschale mit einem Rest Gulaschsoße beiseite. Immer wieder sinkt sein Kopf auf die Brust, seine Augen fallen zu. Wie lange er dieses Leben auf Ersatzstoff noch durchhalte, wisse er nicht, sagt Andreas Werner. Im Moment gehe es ihm „bescheiden“. Er habe keine Schmerzen, aber er sei ständig müde – die Nebenwirkungen des Subutex. „Viele Kollegen von früher sind schon tot leider“, sagt er. „Es ist hart, wenn du abhängig bist.“ Immerhin: Die Streetworker am Cäcilienkloster, die sich um die vielen Abhängigen rund um den Neumarkt kümmern, seien „sehr in Ordnung“, betont er, die seien nett. „Die kümmern sich. Das ist gut.“

Werner steht auf, er verabschiedet sich. Noch kurz ein paar Leuten auf dem Neumarkt Hallo sagen, dann mit der Straßenbahn ins Hotelzimmer. „Aufs Bett legen, Fernseher an, meine Ruhe haben“, sagt er. „Und das war’s für heute.“